Eisbärin Victoria, Hagenbecks letzte Nachzucht der weißen Riesen, könnte jetzt selbst erstmals Mama werden.

Stellingen. Ich, in die Höhle? Och nöööh, kann ich nicht noch ein bisschen draußen bleiben ...? Dirk Stutzki seufzt. Sein "Mädchen", Eisbärin Victoria, zickt ein wenig rum. Ihr Blick sagt deutlich, was ihr nicht gefällt: Sie hat einfach keine Lust zum Reinkommen. Außer locken kann der Tierpfleger da wenig tun - denn eine ausgewachsene Bärin gegen ihren Willen in ihre Höhle für den Winter zu stopfen, ist in etwa eine so gute Idee, wie einem Elefanten anzubieten, er könne sich zu einem auf den Schoß setzen.

Dabei meint es Stutzki doch nur gut mit der Bärin. Der Reviertierpfleger des neuen Eismeer-Geheges in Hagenbecks Tierpark kennt die Hamburger Deern bereits, seit sie im Dezember 2002 im damaligen alten, baufälligen Gehege von Mutter Fanny zur Welt gebracht wurde. "Völlig überraschend für uns, denn Fanny und Theo, unser Eisbärenpaar, war mit 24 Jahren schon recht alt", sagt Stutzki. Umso größer war die Freude über den tapsigen Nachwuchs. Der jetzt, im Alter von knapp zehn Jahren, zum ersten Mal selbst Mutter werden könnte. Deshalb versucht Dirk Stutzki auch, Victoria für den Winter in die sogenannte Wurfbox zu manövrieren. Damit sie die nötige Ruhe hat - vor Eisbärenmann Blizzard.

In der Natur ziehen sich trächtige Eisbärinnen von November bis März in selbst gegrabene Eishöhlen zurück, um ihre Jungen zur Welt zu bringen. Eine Begegnung mit einem Männchen könnte in dieser Zeit tödlich für die kleinen Bären enden. Denn die größten lebenden Raubtiere der Erde (neben Kamtschatka- und Kodiakbären) machen, wenn sie hungrig sind, auch vor Artgenossen nicht Halt.

Ob Victoria in freudiger Erwartung ist, kann Stutzki jedoch nicht mit Sicherheit sagen. Entsprechende "Interaktionen" zwischen ihr und Blizzard habe es gegeben, seit die beiden Bären im April dieses Jahres zusammengelassen wurden. Doch während Victoria im besten Alter für eine Mutterschaft ist, sei der aus dem Rostocker Zoo stammende Bärenmann noch ein wenig grün hinter den Ohren, sagt Stutzki.

Ach ja, grün. Das ist Blizzard wahrlich nicht nur hinter den Ohren. Algen, die sich in seinen röhrenförmigen Haaren eingenistet haben, haben aus ihm einen Grünbären gemacht. Da ist Victoria, die schon länger von ihm im Innenteil der Anlage getrennt lebt, deutlich ansehnlicher, sagt Stutzki - nur, dass außer den Tierpflegern niemand die Bärin derzeit sehen kann.

Eine majestätische Erscheinung, vom Aussterben bedroht, in Einzelfällen fast hysterisch verehrt und als Botschafter für den Klimawandel immer wieder plakativ genutzt: Die Rolle von Ursus maritimus, wie der Eisbär wissenschaftlich genannt wird, ist vielfältig. Die exzellenten Schwimmer mit der schwarzen Haut, der blauen Zunge und den Körpermaßen von bis zu 3,40 Meter Länge und 800 Kilogramm Gewicht bewohnen die nördlichen Polarregionen und können, wie erst vor einigen Jahren bekannt wurde, mit den sehr nahe verwandten Braunbären fruchtbare Nachkommen zeugen.

Doch das hat in Hamburg niemand vor. Hier hätte man sich gefreut, wenn Victoria bereits von ihrer Interimsliebe Lloyd trächtig geworden wäre - mit ihm hatte sie vier Jahre während des Umbaus des Eismeer-Geheges im "Zoo am Meer" in Bremerhaven verbracht. Doch dort war nichts passiert - so ruhen die Hoffnungen jetzt auf Blizzard.

Einen ordentlichen Winterspeck hat sich Victoria auf alle Fälle angefressen, mit dem sie die drei isolierten Monate ohne Nahrung überstehen kann. "Hunger hat sie jetzt schon keinen mehr", sagt Stutzki, der der Bärin vorher jeden Tag fünf Kilogramm Rindfleisch, zwei Kilogramm Fisch und dazu einige Äpfel und Möhren gefüttert hat. Und ab und zu einige Leckerlis: "Wir haben ein spezielles Feld, in dem die Bären graben können; dort verstecken wir schon mal Erdnüsse", verrät Stutzki.

Mit ihrer dicken Fettschicht ist die "ausgemachte Wasserratte" (Stutzki: "War sie schon als Baby") jetzt bereit, in der schall- und geruchsisolierten Wurfbox die nächsten Monate zu verbringen. "Die Temperatur liegt dort zwischen null und zehn Grad, und wir überwachen die Box mit Ton- und Videoaufnahmen", sagt Stutzki. Sollte es bis Januar kein Anzeichen von Nachwuchs geben, dürfte Victoria zurück raus auf die Anlage. Doch eigentlich hoffen alle, die mehr als 100 Jahre alte Tradition der Eisbärenzucht bei Hagenbeck fortsetzen zu können. Um schon bald fragen zu können: Wer war eigentlich noch dieser Knut ...?

Liebe Leser, dieses war die 150. und damit letzte Folge der wöchentlichen Kolumne "Sewigs Tierwelt". Nächste Woche lesen Sie zum Abschluss die tierischen Highlights aus drei Jahren und 150 Arten.