“Stark verlärmt“: Viele Hamburger wohnen an lauten Straßen und haben sich damit arrangiert - wie die Bewohner der Stresemannstraße.

Altona. Es ist kein Lastkraftwagen, es ist ein Monster. Gerade eben ist die Ampel an der Kreuzung von Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee auf Grün gesprungen. Mit aufheulendem Gebrüll setzt der 40-Tonner sich langsam in Bewegung. Kurz bevor das Fahrzeug in den nächsten Gang hochschaltet, holt der Motor noch einmal alles heraus. Auf der Eisenbahnbrücke, die die Kreuzung quert, rollt wenig später eine S-Bahn in Richtung Sternschanze. Ihre metallenen Räder scheppern auf den Gleisen und übertönen nur mühsam den Dieselmotor des in der Haltebucht wartenden Busses.

Fünf Minuten stehe ich an dieser Kreuzung. Dann bin ich am Ende. In meinem Kopf dröhnt es, mein Herz rast. Es fällt mir schwer, einzelne Geräusche zu unterscheiden. Moped, Bus, Lkw, Eisenbahn - alles vermischt sich zu einem undefinierbaren Lärmbrei. Meine Augen suchen etwas Rettendes; mein Blick fällt auf ein Plakat mit einem glücklich aussehenden Paar, das für eine Hochzeitsmesse auf Hamburgs Flughafen wirbt. Aber irgendwie bekomme ich das nicht zusammen und frage mich eigentlich nur: "Kann man hier leben?"

Man kann. Hasan Sarioglu wohnt seit drei Jahren an dem Ort, wo die Stresemannstraße die Max-Brauer-Allee kreuzt und wo tagaus, tagein der Verkehr rollt. Stockt. Und wieder rollt. Und wieder stockt. Vor einigen Tagen hat die Stadtentwicklungsbehörde in ihrem Lärmaktionsplan die Stresemannstraße als "stark verlärmt" eingeordnet und berichtet, dass Tag für Tag hier rund 27 000 Fahrzeuge entlangfahren. Doch Sarioglu hat sich mit dem Lärm arrangiert. "Wenn ich die Fenster geschlossen habe, höre ich kaum etwas", erzählt der Mann, der nicht nur an der Kreuzung wohnt, sondern dort auch den Destina-Tabakladen betreibt.

Wir stehen in seinem Laden und reden. Der Verkehrslärm ist nur gedämpft zu hören. Nur wenn Kunden die Tür öffnen und eintreten, wird es für einen Moment laut. Dann verstummt unser Gespräch. Der Kaffee kostet einen Euro, doch die meisten Kunden von Hasan Sarioglu wollen eine Schachtel Zigaretten oder holen sich eine Büchse Bier aus dem Kühlschrank. Eine S-Bahn fährt über die Brücke. Die Erschütterungen sind kaum zu spüren. Das Rattern der Räder klingt weiter weg als erwartet.

Er lebe gern in dieser Gegend, erzählt Hasan Sarioglu. "Neun Jahre habe ich in Harburg gewohnt, dort war es wirklich langweilig." Hier, an der Kreuzung, hingegen pulsiere das Leben. Die S-Bahnen höre er kaum. "Der eigentliche Lärm kommt von der Straße, wenn ein schwerer Laster anfährt." Doch für Sarioglu wiegt das die Vorteile der Gegend nicht auf. Zum Schanzenviertel sind es ein paar Hundert Meter. In der Nähe gibt es reichlich Geschäfte. "Und an einer Straße zu wohnen bedeutet nun mal, dass es dort lauter ist", sagt er und fügt hinzu: "Außerdem ist es in Hamburg eigentlich überall laut."

Verkehrslärm ist in der Tat in Hamburg ein großes Problem. Bis zu 120 000 der rund 1,8 Millionen Hamburger litten tags darunter, heißt es in dem Lärmaktionsplan der Stadtentwicklungsbehörde. Nachts seien sogar rund 144 000 Hamburgerinnen und Hamburger von Lärm oberhalb der Grenze betroffen, wo Maßnahmen zur Lärmminderung empfohlen würden.

Mandy Steinohrt lächelt. Ihr zweijähriger Sohn hält sich wacker auf seinen kleinen Beinen und schaut den unbekannten Besucher mit großen Augen an. Durch das geöffnete Klappfenster kriecht der Verkehrslärm in das Wohnzimmer. Von hier oben - die junge Frau, ihr Sohn und ihr Lebensgefährte wohnen in der obersten Etage - hat man einen guten Blick auf die Kreuzung. Der Feierabendverkehr fließt zäh in alle vier Richtungen. Auf der Brücke begegnen sich ein ICE und die S-Bahn.

Selbst bei geschlossenen Fenstern sei der Lärm - wenn auch gedämpft - zu hören, erzählt Mandy Steinohrt. Hier oben kommt der allerdings weniger vom Straßen-, sondern eher vom Schienenverkehr. Die junge Frau sieht es ähnlich entspannt wie ihr Nachbar Hasan Sarioglu. "Man gewöhnt sich daran", sagt sie. "Glücklicherweise liegt unser Schlafzimmer zum Hinterhof hinaus. Da ist es etwas ruhiger."

Auch hier wieder das Lob des Urbanen. Ausgehen, einkaufen, spazieren gehen im nahen Wohlers Park - alles auf engstem Raum. Großstädte ziehen Menschen magisch an und wachsen. Metropolen wie Hamburg sogar noch mehr. Mandy Steinohrt hat schon zwischen ihrem 8. und 15. Lebensjahr in der Dreieinhalbzimmerwohnung gelebt, bevor sie für ein paar Jahre nach Schleswig-Holstein zog. "Dort war es sehr ruhig - fast zu ruhig."

Das Büro des Lärmschutzexperten der Stadtentwicklungsbehörde, Hans-Heinrich Wendland, liegt nur einen Steinwurf vom Rödingsmarkt entfernt. Vom Quietschen der U-Bahn-Räder hört der Beamte nichts. Zu mächtig sind die Mauern der Behörde. In Hamburg gebe es kaum noch Häuser mit Einfachverglasung, sagt Wendland. "Das dämpft den Straßenlärm in den Wohnungen." Wer allerdings neu baut, muss sicherstellen, dass die von außen verursachte durchschnittliche Lärmbelästigung 35 Dezibel nicht überschreitet. Zum Vergleich: Ein normales Gespräch zwischen zwei Menschen ist um die 60 Dezibel laut. Allerdings gelten diese Lärmschutzvorgaben nur für Neubauten. Bei den älteren, begehrten Gebäuden seien die Mieter auf den guten Willen des Vermieters angewiesen.

Besonders laut ist es immer dann, wenn die Straße an beiden Seiten eng und mehrgeschossig bebaut ist. "Dann kann der Lärm nicht weg", sagt Wendland. Felix Lund lebt an der Stresemannstraße. Der Wohlers Park liegt ein paar Hundert Meter von seiner Wohnung entfernt und bietet für seine beiden Kinder Platz, um zu toben und zu spielen. Die Nähe zum Schanzenviertel mit seinem Flair möchte der junge Mann genauso wenig missen. "Wenn die Straße nicht so befahren wäre, hätten wir hier paradiesische Zustände."

Von paradiesischen Zuständen träumt auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). "Wir sind geradezu darauf versessen, die Elektromobilität voranzutreiben", sagte er im Frühjahr in einem Interview mit dem Magazin "Stern".

Wenn der Verkehrslärm verschwunden sei, könnten die Balkone wieder zu den Straßen ausgerichtet werden. Scholz' Vision: Dann ist nur noch "sssssss" zu hören.