Es wird wahrscheinlicher, dass Milliarden-Garantien der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein in Anspruch genommen werden.

Hamburg. "Das ist ja dünn", dachten viele der 3500 Mitarbeiter der HSH Nordbankin Hamburg und Kiel, als am 18. Oktober eine Mail des Vorstands bei ihnen einging. "Die gestrige Bekanntgabe des Weggangs von Herrn Dr. Lerbinger kam für alle kurzfristig und überraschend", heißt es darin zu der völlig unerwarteten Ablösung des Vorstandsvorsitzenden. Der verbleibende Vorstand - Constantin von Oesterreich, Torsten Temp und Edwin Wartenweiler - werde aber "intensiv an den Ihnen bekannten Themen arbeiten" und die Mitarbeiter, auf die man im Übrigen zähle, auf dem Laufenden halten.

Ganze vier Sätze zu einem Führungswechsel in brisanter Lage, das war nicht das, was sich die Mitarbeiter an Informationen gewünscht hatten. Auch sonst äußerte sich der Vorstand in den Tagen darauf mit keinem Wort. Anfang dieser Woche setzte Lerbingers Nachfolger von Oesterreich, der morgen das Amt antritt, seine Mannschaft dann doch noch ausführlicher ins Bild - und sein Bild der HSH Nordbank ist brisant, auch und vor allem für die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, denen 85 Prozent der HSH gehören.

"Es ist richtig, dass die Bank stärker unter externen Einflüssen leidet, als zuvor erwartet wurde - Stichworte sind die Schifffahrtskrise und der Euro", so von Oesterreich in einem Schreiben an die Mitarbeiter. Bei der Umsetzung des neuen Geschäftsmodells "Bank für Unternehmer" habe die HSH "die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht", der Gesamtertrag sinke, die Kreditrisikovorsorge steige, und die Kernkapitalquote falle unter die gesetzlich vorgeschriebene Quote von zehn Prozent.

Dann folgt der Satz, der den Bürgern in Hamburg und Schleswig-Holstein größte Sorgen machen muss. "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil der Garantie der Länder in einigen Jahren in Anspruch genommen werden könnte, steigt." Der Vorstandschef bezieht sich dabei auf die sieben Milliarden Euro, mit denen die beiden Länder noch für ihre Bank bürgen. Zum Vergleich: Der gesamte Jahresetat Hamburgs liegt bei knapp zwölf Milliarden Euro.

Nun ist es nicht so, dass an Elbe und Förde demnächst Schecks über Milliarden ausgestellt werden und sämtliche Sozialleistungen gestrichen werden müssten - derartige Darstellungen seien "unsachlich überzeichnet", so von Oesterreich. Tatsache ist aber, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Bank die Milliarden-Garantie der Länder in Anspruch nehmen wird, bereits zur Jahresmitte von 38,8 auf 41,4 Prozent gestiegen war und nun weiter "steigt", wie der HSH-Chef einräumt. Doch wie hoch? Derzeit werde keine neue Zahl veröffentlicht, teilte die HSH auf Abendblatt-Anfrage mit und verwies darauf, dass schon im Halbjahresbericht die Inanspruchnahme der Garantie als "nicht ausgeschlossen" bezeichnet wurde. Spätestens am 6. November, wenn von Oesterreich der Bürgerschaft Bericht erstattet, wird er wohl konkreter werden müssen.

Die Wahrscheinlichkeit für die Inanspruchnahme der Garantie sagt nichts darüber aus, wie viel Geld dann fließen müsste und wann, es geht ausschließlich darum, ob überhaupt ein Cent gezahlt werden muss. Ohnehin muss die HSH bei Verlusten die ersten 3,2 Milliarden Euro aus eigener Kraft tragen ("Erstverlusttranche"). Erst darüber hinaus darf sie die "Zweitverlustgarantie" der Länder antasten. Obwohl die Bank davon noch weit entfernt ist - zuletzt lagen die Verluste bei 233 Millionen Euro -, ist das Risiko enorm. Beispiel Schifffahrt: In der Branche, in der derzeit Heulen und Zähneklappern herrscht, hat die HSH noch Kredite über 36 Milliarden Euro laufen. Wenn davon nur zehn Prozent ausfallen sollten, träte wohl der Garantiefall ein.

Um die Bank und ihre Kapitalquoten zu stützen, sind die Länder bereit, die Garantie wieder auf die ursprünglichen zehn Milliarden Euro zu erhöhen. "Dies ist wichtig in den laufenden Gesprächen mit den Rating-Agenturen", freut sich von Oesterreich über den "Vertrauensvorschuss der Anteilseigner". Tatsächlich habe man auch schon einiges erreicht. "Die Wahrheit ist aber auch: Die Bank konnte die Erwartungen nicht voll erfüllen" - das kann als Kritik an Lerbinger interpretiert werden.

Der neue Chef fordert von den Mitarbeitern nun, dass sie "entschlossen" und mit "Disziplin" ans Werk gehen. "Unsere Anteilseigner halten uns den Rücken frei, jetzt müssen wir liefern!" Was genau er damit meint, will er am 14. November auf Mitarbeiterversammlungen in Hamburg und Kiel erläutern. Besonders heimelig dürfte es dabei nicht zugehen. Dennoch haben die HSHler von Oesterreich einen liebevollen Spitznamen verpasst: Sissi.