Einige Spitzfindigkeiten unserer Sprache. Häufig sind es nur wenige Buchstaben, die den großen Unterschied ausmachen

Das Kurzwarengeschäft Knopf, Zwirn & Lange, in dem bereits meine Großmutter die für ihren Handarbeitskorb benötigten Stoßbänder, Fingerhüte und Stecknadeln mit farbigen Glasköpfen gekauft hat, kündigt im örtlichen Anzeigenblatt sein 125-jähriges Jubiläum an. Es mag ja sein, dass die Inhaberinnen, zwei hochbetagte Damen, ihre Reißverschlüsse und Perlmuttknöpfe sauber geordnet haben, doch mit der deutschen Sprache gehen sie weniger ordentlich um. Komposita mit -jährig geben nämlich eine Zeitdauer bzw. das Alter an, das sich ja von der Geburt bis heute ununterbrochen weiterzählt - ein zweijähriger Aufenthalt in England oder das zweijährige Kind meiner Schwester.

Ein 125-jähriges Jubiläum bedeutete genau genommen, dass seit 125 Jahren ununterbrochen ein und dasselbe Jubiläum gefeiert wird, was nicht anzunehmen ist. Es hätte natürlich 125-jähriges Bestehen heißen müssen.

Dagegen bezeichnen Zusammensetzungen mit -jährlich eine Zeitspanne, nach deren Ablauf sich etwas wiederholt: das jährliche Schützenfest oder der vierteljährliche Kontoabschluss. Bei Miet- und Arbeitsverträgen sollte der Laie genau aufpassen. Eine halbjährige Kündigung bedeutet, dass die Kündigungsfrist ein halbes Jahr dauert, während sich bei einer halbjährlichen Kündigung die Möglichkeit zur Kündigung jedes halbe Jahr wiederholt.

Manch einer mag diese Semantik als Spitzfindigkeit empfinden und anregen, in der Umgangssprache nicht gar so pingelig zu sein. Das sind wir bis hinein in die Nachrichtensprache auch gar nicht. Zum Beispiel ist das Wort unbe schadet kein Adjektiv (das unbeschä digt lautet), sondern eine Präposition mit Genitiv im Sinne von "trotz". Unbe schadet des heftigen Aufpralls blieb das Auto nahezu unbeschädigt. Leider bleibt unbeschadet der Grammatik die Sprache an dieser Stelle selten unbeschädigt.

Auch die strenge Unterscheidung zwischen den Demonstrativpronomina der gleiche/derselbe droht zu verwischen. Bezeichnet wird eine Identität des einzelnen Lebewesens oder einer Sache bzw. die Identität der Art oder Gattung. Wenn sich jedoch aus dem Zusammenhang ergibt, welche Identität gemeint ist, wird kein Unterschied mehr gemacht - da mögen sich Leser, die mit ihrem Sprachbuch unter dem Kopfkissen schlafen, noch so sehr in Albträumen wälzen. Wir hören sowohl, er habe denselben Vornamen wie sein Vater, als auch, er trage den gleichen Vornamen. Sie trafen sich heute um die selbe Uhrzeit wie auch um die gleiche Uhrzeit wie gestern.

Wenn jedoch Missverständnisse möglich sind, müssen wir es genau nehmen. Fahren die beiden Außendienstmitarbeiter eines kleinen Handwerkbetriebs denselben Firmenwagen, bedeutet das, dass sich die beiden einen einzigen Wagen teilen und ihn abwechselnd benutzen müssen. Falls sie aber den gleichen Wagen fahren, hat der Chef zwei Firmenwagen desselben Fabrikats gekauft.

Dringt die präzise Mathematik in die Sprache, wird's häufig reichlich unpräzise. Fast jede Berichterstattung über Wahlergebnisse oder Umfragen erinnert an Egon Krenz, dessen größte Sorge es bekanntlich war, dass die Addition seiner gefälschten Zahlen 104 Prozent ergeben könnte.

Nehmen wir einmal an, die FDP wüchse in einer Umfrage von vier auf acht Prozent (was zurzeit allerdings nicht zu erwarten ist), so hätte sie nicht vier Prozent gewonnen, sondern 100 Prozent, denn sie hätte sich ja verdoppelt. In diesem Fall sprechen wir von Punkten. Die Grünen haben im Deutschlandtrend zwei Prozentpunkte zugelegt, die CDU und die SPD hingegen jeweils einen Punkt verloren.

Rast ein Autofahrer mit 80 Stun denkilometern am Kindergarten vorbei, geht es weniger um die Gefährdung des Verkehrs als um eine angebliche Gefährdung der deutschen Sprache. Es müsse Kilometer pro Stunde heißen (km/h), lautet die Belehrung von allen Seiten. Allerdings kann eine Tageszeitung kein Physikbuch sein. Der Fahrer ist weder 80 Kilometer weit gefahren, noch war er eine Stunde lang unterwegs. Für die Strecke am Kindergarten benötigte er ganze 20 Sekunden. Der Duden erlaubt den Begriff Stundenkilo meter. Ich fürchte, wir werden uns daran gewöhnen müssen.