New York ist es definitiv. London, Paris, Tokio und Rio de Janeiro auch. Und was ist mit Hamburg? Da scheiden sich die Geister.

Hamburg. Die Bevölkerung der Erde - gegenwärtig mehr als sieben Milliarden Menschen - wird immer urbaner. Vor allem in Asien wachsen sogenannte Megastädte mit beängstigender Geschwindigkeit aus dem Boden.

Megastädte - darunter versteht man städtische Ballungsräume mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. In manchen dieser Giganten leben mehr Menschen als in mittelgroßen Staaten. So hat die japanische Agglomeration Tokio-Yokohama - die größte der Welt - fast 38 Millionen Einwohner, etwa so viele wie ganz Polen. In Mexiko-Stadt leben 24 Millionen Menschen, New York, Seoul, Mumbai oder São Paulo liegen auch in dieser Größenordnung.

Nicht jede Megastadt ist zugleich auch eine Weltstadt. Doch viele von ihnen sind es. Der Begriff Weltstadt ist schwer zu fassen, und die Frage angesichts dieser rasanten urbanen Entwicklung ist, ob Deutschland überhaupt noch Städte von Weltgeltung besitzt.

Ist Hamburg noch eine Weltstadt? Zugegeben - in der Sicht eines patriotischen Hamburgers ist dies eine ketzerische Frage. Und in dessen Augen ungefähr so sinnvoll, als wolle jemand wissen, ob der Papst eigentlich katholisch ist. Aber bei der Beantwortung der Frage nach der Weltstadt hilft die Liebe zur Heimat, der "Kantönligeist", wie man in der Schweiz so nett sagt, nicht recht weiter. Es fällt einem der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann ein, der auf die Frage, ob er sein Land liebe, knurrte: "Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau."

Es müssen also Fakten her. Historisch gesehen hatte Hamburg bereits in der Zeit der Hanse, die es 1241 zusammen mit Lübeck zur Abwehr von Seeräubern und wirtschaftlichen Rivalen gründete, eine ganz erhebliche überregionale Bedeutung. Der Hanse gehörten zu ihrer Blütezeit 85 europäische Städte an, die 200 Kampfschiffe aufbieten konnten; sie vermochte, es mit mächtigen Fürsten aufzunehmen und sogar Könige vom Thron zu stoßen.

Und heute? Was zeichnet Hamburg vor anderen Städten aus - was versetzt unsere Stadt in die Lage, mit der Liga der Megastädte mitzuhalten? Die Hansestadt hat mit Ohlsdorf immerhin den größten Parkfriedhof der Welt. Gut, dieses Argument ist vielleicht etwas morbide und zu wenig zukunftsweisend. Aber: Wir haben den größten Seehafen Deutschlands und den zweitgrößten in Europa. Das würde zwar noch mehr für Rotterdam als Weltstadt sprechen, aber das ist doch schon etwas. Auch ist Hamburg mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern immerhin die sechstgrößte Stadt der Europäischen Union - und die größte Stadt, die nicht eine EU-Hauptstadt ist. Obendrein einer der wichtigsten Medienstandorte in Europa, eine der führenden Kongressstädte der Welt sowie Sitz des Internationalen Seegerichtshofs. Man könnte hinzufügen, dass Hamburg zudem die brückenreichste Stadt Europas ist und Venedig, Amsterdam und London in dieser Hinsicht gleich zusammengenommen hinter sich lässt.

Aber reicht das alles für einen Weltstadt-Status? Was ist das überhaupt, eine Weltstadt? "New York, Rio, Tokio", hieß ein Hit der deutschen Popgruppe Trio Rio 1986 - und da kommen wir der Sache schon näher. Seit Jahrzehnten erstellen Soziologen, Geografen und andere stadtforschend Berufene Ranglisten, die sich an den unterschiedlichsten Faktoren orientieren. Solche Listen gibt es inzwischen viele. Übergreifend kann man sagen, dass eine Weltstadt eine zentrale Bedeutung für große Teile der Welt besitzen muss - auf wirtschaftlichem, kulturellem oder politischem Feld. Am besten natürlich auf allen dreien. Zweifellos gilt das in der Geschichte für Städte wie Rom, Konstantinopel oder London, die Operationszentralen von Weltreichen waren. Nicht einmal alle Megastädte von heute erfüllen diese Kriterien.

Für die Gegenwart stellte der in Wien geborene Amerikaner John Friedmann 1986 eine "Weltstadthypothese" auf, die zum Kern der modernen Weltstadtforschung wurde. Diese These definiert Weltstädte durch ihre Bedeutung als vernetzte Wirtschaftszentren und ihren Einfluss auf umliegende Regionen. Eine hierarchisch gegliederte, definitive Rangfolge der Weltstädte lehnte Friedmann zwar ab, erstellte aber eine Liste von 30 Weltstädten, die nach verschiedenen Kategorien wie "weltweite finanzielle Artikulation", "multinationale Artikulation" gegliedert ist sowie nach Merkmalen nationaler und subnationaler Wichtigkeit.

In dieser Liste, die von London, New York und Tokio angeführt und 1991 zuletzt aktualisiert wurde, taucht Hamburg überhaupt nicht auf - wohl aber Frankfurt, München und die Rhein-Ruhr-Region mit der 10 Millionen Menschen umfassenden Agglomeration Düsseldorf, Köln, Essen und Dortmund. Von den europäischen Metropolen sind Paris, Amsterdam, Zürich, Madrid, Mailand, Lyon und Barcelona verzeichnet.

Einen etwas anderen Ansatz wählte die in Den Haag geborene amerikanische Stadtsoziologin Saskia Sassen in den 90er-Jahren. Die Professorin prägte den Begriff "Global City" für Städte, die im Zentrum eines transnationalen Städtesystems stehen, in dem die wichtigsten Finanzmärkte, Zentralen von Banken und transnationalen Konzernen sowie Unternehmensberatungen, Werbeagenturen oder Prüfungsfirmen konzentriert sind. Nach diesen Kriterien führen New York, London, Tokio und Paris entsprechende Listen an.

Eine deutsche Beteiligung auf den vorderen Plätzen gibt es mit Frankfurt am Main. Doch da Sassens Struktur polyzentrisch ist, also mehrere Zentren aufweisen kann, taucht auch Hamburg neben München, Berlin und Düsseldorf in einem erweiterten Kreis der Global Cities auf. Denn Hamburg als Zentrum einer starken Metropolregion und mit seiner merkantilen Bedeutung weist danach immerhin in Teilen die Funktion einer solchen Global City auf.

Zwischen der traditionell definierten Weltstadt als einem vorwiegend politisch-kulturellen Zentrum und einer Global City als globalem wirtschaftlichen Zentrum wird allerdings noch einmal unterschieden - wobei beides zusammenfallen kann - wie im Fall von London oder Paris. Das vermag Hamburg nicht zu leisten.

Es gibt natürlich schon bei der schieren Größe gewaltige Unterschiede im direkten Vergleich der europäischen Metropolen: London etwa hat im Ballungsraum - Stadt plus Umfeld - 13 Millionen Einwohner, Paris 10 Millionen, Moskau gar 15 Millionen. Die russische Hauptstadt ist damit die größte Agglomeration Europas. Dagegen fallen die deutschen Agglomerationen Berlin (4,3 Millionen) Hamburg (2,6 Millionen) und München (gut zwei Millionen) deutlich ab.

Dass Deutschland, das mit 82 Millionen Menschen die größte Einwohnerzahl der EU aufweist, keine so gewaltigen Städte hat, liegt unter anderem an der geschichtlich bedingten föderalen Struktur unsers Landes. Paris etwa als traditioneller Kern eines zentralistisch verwalteten Staates nahm naturgemäß eine andere Entwicklung. Die französische Hauptstadt hat zudem noch eine kulturelle Funktion bezüglich des Französischen als Weltsprache, die auch in Teilen Kanadas, Polynesien oder in vielen Staaten Afrikas gesprochen wird.

Berlin war in den 20er-Jahren ohne Zweifel in jeder Hinsicht eine Weltstadt; der Krieg mit Zerstörung und Teilung brachte eine schmerzhafte historische Zäsur. Auch Hamburgs Bedeutung war, siehe oben, schon einmal größer. Die wachsende Kooperation mit dem Ostseeraum, auch mit den früher abgeschotteten osteuropäischen Staaten, hat für die Hansestadt wiederum positive Zukunftsperspektiven eröffnet.

Die Forschung räumt ein, dass objektive, messbare Kriterien für den Status einer Weltstadt nur schwer zu erstellen sind. Ist zum Beispiel Lagos, die Hauptstadt Nigerias, mit ihren fast elf Millionen Einwohnern und erheblichem Einfluss auf ihre Umgebung eine Weltstadt? Oder ist es eher der bedeutende Bankenplatz und Verkehrsknotenpunkt Zürich, das kaum eine halbe Million Einwohner hat? Die wirtschaftliche Bedeutung einer Stadt ist statistisch gut erfassbar, die politische wohl auch noch - doch die kulturelle Ausstrahlung nur schwer. Im Fall Hamburgs könnte die umstrittene Elbphilharmonie wesentlich dazu beitragen - sofern sie jemals fertig wird.

Die US-Wissenschaftlerin Sassen arbeitet auch an dem Global Cities Index mit, der zuletzt für 2012 erstellt wurde. Unter den wichtigsten 66 Städten der Welt taucht Hamburg gar nicht auf; Berlin nimmt Rang 20 ein, Frankfurt 23, München 31. Kriterien dieser Liste sind unter anderem Geschäftsaktivität, politisches Engagement oder Informationsaustausch.

Differenzierter geht das Globalization and World Cities Research Network (Forschungsnetzwerk für Globalisierung und Weltstädte) vor. Dessen Rangliste gliedert sich, ähnlich wie bei Rating-Agenturen, in eine Bewertung von Alpha ++ bis Gamma -. In der obersten Kategorie liegen wie gewohnt London und New York, auf Alpha sind dann Städte wie Amsterdam, Moskau, Peking, São Paulo, Frankfurt, Brüssel oder Mumbai eingestuft, auf Alpha - liegen etwa Bangkok, Istanbul, München oder Zürich. Berlin, Düsseldorf und Hamburg tauchen in der Kategorie Beta + auf - zusammen mit Athen, Kairo, Manila, Stockholm, Prag oder Rom.

Der frühere Hamburger Polizeipräsident und Innenstaatsrat Dirk Reimers, heute Geschäftsführer der Deutschen Nationalstiftung, hält wenig von derartigen Listen: "Das Etikett Weltstadt ist meist Ergebnis einer Bewertung - und bei dieser Bewertung gibt es nicht nur objektive Kriterien. Hamburg ist in der ganzen Welt bekannt, das liegt daran, dass es seine Existenz der Verbindung in die Welt verdankt. Das unterscheidet die Stadt von vielen anderen Städten - auch größeren. Zur Identität Hamburgs gehört es, weltweit vernetzt zu sein; es ist das Ur-Gen dieser Stadt. Und insofern ist Hamburg eine Weltstadt."

Die in Hamburg äußerst beliebte US-Generalkonsulin Inmi Patterson, die in der ganzen Welt herumgekommen ist, hat eine klare Meinung dazu: "Hamburg ist immer eine Weltstadt gewesen", sagt die gebürtige Koreanerin. "Und seit Jahrhunderten ein führender Handelsplatz. Per Definition musste es in seinem Lebensstil kosmopolitisch sein. Es hat stets über seine Grenzen hinaus auf den Rest der Welt gesehen und sich dauernd erneuert. Ein gutes Beispiel dafür ist Hamburgs Innovation bei der Schaffung einer grünen Umwelt. Und man sollte auch seine führende Rolle in der Integration erwähnen. Insgesamt meine ich, dass es eine Stadt ist, die Tradition und Modernität gut ausbalanciert".

Der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Professor Christian Hacke, der unter anderem in Hamburg lehrte und in der Metropolregion lebt, hält Hamburg zwar auch "für eine der schönsten Städte der Welt", aber insgesamt eher nicht für eine echte Weltstadt. Jedoch: "In der weltpolitischen Geschichte war der Händler, der Kaufmann, immer ein Abenteurer, den ich als Wissenschaftler beneidet habe. Den Mut zu haben, Grenzen zu überschreiten und auch große persönliche Risiken auf sich zu nehmen, früher sogar für Leib und Leben - das ist ein toller Menschenschlag, der sich in Hamburg immer gehalten hat. In diesem Sinne ist Hamburg Tor zur Welt; es wird kosmopolitischer Geist gelebt und erneuert. Hamburg ist damit ein Eckpfeiler für Deutschland als Handelsmacht."

Christian Hacke, Autor eines Standardwerks über die amerikanische Außenpolitik, beklagt allerdings, dass das Universitäre in der Hansestadt "leider hinterherhinkt", dass die Uni Hamburg nie Weltniveau erreicht habe.

Ist Hamburg also eine Weltstadt oder doch nicht? "Die Frage ist relativ leicht zu beantworten", sagte jemand, der es wissen muss. Hans-Ulrich Klose, deutscher Spitzenpolitiker aus Hamburg, war von 1974 bis 1981 Erster Bürgermeister der Hansestadt und ist als Bundestagsabgeordneter und in verschiedenen Ämtern durch die ganze Welt gereist.

"Wenn Sie im Ausland sagen, dass Sie aus Hamburg kommen, dann brauchen Sie nicht zu erklären, was Hamburg ist. Alle kennen es. Das gilt in gleicher Weise für Berlin - es sind beides Weltstädte." Großzügig fügt Klose hinzu: "Und ich vermute, München gehört auch noch dazu."