Erfolgreiche Annäherung: Das Christianeum in Othmarschen kooperiert mit der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule in Osdorf.

Othmarschen/Osdorf. Häufig wollen sie nichts voneinander wissen: In Hamburg konkurrieren Gymnasien und Stadtteilschulen miteinander und Schüler und Eltern beider Schulformen sehen die jeweils andere skeptisch. Doch ganz behutsam nähern sich beide Schulformen jetzt an: Das Christianeum in Othmarschen und die Geschwister-Scholl-Stadtteilschule in Osdorf setzen hamburgweit ein Zeichen und kooperieren. Auch an anderen Orten gehen Schulleitungen, Schüler und Lehrer aufeinander zu: In Lohbrügge bekommen Gymnasium und Stadtteilschule ein gemeinsames Schulgebäude.

Als Meneske Gökce und ihre Mitschüler von der Stadtteilschule in Osdorf das erste Mal in den Bus stiegen und eine Viertelstunde später am Gymnasium Christianeum ankamen und in die Schule gingen, fühlten sie sich ein bisschen wie im Zoo. "Alle haben uns angeguckt, weil wir nicht von dieser Schule sind", sagt die 16-Jährige. Sie fielen auch deshalb auf, weil es etlichen von ihnen anzusehen ist, dass ihre Eltern ursprünglich nicht aus Deutschland kommen. Drei Viertel aller Schüler an der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule haben einen Migrationshintergrund. "Ich habe mich dann mit ein paar Schülern unterhalten. Die waren herzlich und dachten, ich sei eine Austauschschülerin", sagt Meneskes Mitschülerin Duygu Keklikci und lacht. Dabei lebt sie gleich um die Ecke am Osdorfer Born. Obwohl beide Stadtteile geografisch nahe beieinanderliegen, unterscheiden sie sich doch deutlich in ihrer sozialen Struktur und die Schüler wissen kaum etwas voneinander. "Weil an unserer Schule viele Migranten sind, sprechen wir häufig in unserer Muttersprache. Am Gymnasium werden mehr Fremdwörter benutzt", hat Aycan Özdemir, 16, festgestellt.

"Wir dachten, es wäre gut, die Schüler einmal zusammenzubringen", sagt Kerstin Otto, die Deutsch und Englisch am Christianeum unterrichtet. Gemeinsam mit ihrer Freundin und ehemaligen Kommilitonin Susanna Stelljes von der Stadtteilschule hat sie das Projekt Perspektivwechsel auf die Beine gestellt. Gymnasiasten und Stadtteilschüler zweier Klassen haben dabei zusammen für jeweils einen Tag an verschiedenen Schwerpunktthemen gearbeitet. Die heutige 10a des Christianeums war im Mai zu Besuch an der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule. Die Stadtteilschüler der 10f waren dann im September in Othmarschen zu Gast. "Die Begegnung der beiden Schulen bedeutet, dass unsere Schüler über ihre sehr unterschiedlichen Lebensbereiche, Wurzeln und Wünsche nachdenken und so hoffentlich auf beiden Seiten Vorurteile aufbrechen und das Verständnis füreinander wächst", sagt Diana Amann, Schulleiterin des Christianeums.

Die Schüler beider Schulen haben sich mit Themen beschäftigt wie "Konflikte von Jugendlichen" oder der Frage "Was ist deutsch?". Damit hatte sich Junayd Veder, 16, von der Stadtteilschule vorher noch nie auseinandergesetzt: "Ich dachte immer, ich sei der Einzige, der sich hier nicht zu Hause fühlt." Erst vor sechs Jahren ist Junayd aus Kenia nach Deutschland gekommen. Es ging auch darum, über Vorurteile zu sprechen und sie abzubauen. "Ich hatte Bedenken, dass man uns für reiche Bonzen hält", sagt Leo Auberger, 16, vom Christianeum. "Und wir hatten Angst, dass sie schlecht von uns denken und dass wir nicht mithalten können", sagt Duygu Keklikci von der Stadtteilschule. Welche Schulform sie besuchen, war den Schülern egal, sie sehen das nicht so kompliziert und hatten andere Bedenken: "Am Anfang hatte ich Angst, mit Leuten zusammenarbeiten zu müssen, die ich nicht kenne", sagt Elisabeth Graaf, 15, vom Christianeum. Das habe sich schnell gelegt.

Selbstverständlich ist solch ein Aufeinanderzugehen nicht. Manchmal bilden sich regelrechte Fronten: Als die Schulbehörde die Idee hatte, eine Dependance der Stadtteilschule Blankenese am Gymnasium Rissen einzurichten, hatte sich das Gymnasium massiv gewehrt. "Teilweise wurden sogar getrennte Eingänge und Schulhöfe gefordert", heißt es aus der Behörde. Die Eltern hatten sich dafür eingesetzt, die Stadtteilschule stattdessen an der Grundschule Iserbrook einzurichten. Mittlerweile haben Schulentwicklungsplan und die Schulbehörde festgelegt, dass am Gymnasium Rissen zusätzlich die Stadtteilschule Rissen mit unterkommt. In Lohbrügge wird das geplante Schulgebäude von Stadtteilschule und Gymnasium eines der größten Schulbauprojekte der Stadt. In einem gemeinsamen Forum beider Schulen können die 2200 Schüler dann zusammen Mittag essen oder Feste feiern und sich kennenlernen wie die Schüler aus Osdorf und Othmarschen: "Mir kam es gleich vor, als ob wir uns schon Jahre kennen", sagt Duygu aus Osdorf. Egal, ob Stadtteilschule oder Gymnasium, sind sie eben alle Jugendliche mit ähnlichen Interessen. "Am Ende sind die Unterschiede nur klein. Wir gucken die gleichen Fernsehserien und hören die gleiche Musik." Das Projekt soll mit anderen Klassen wiederholt werden. Im kommenden Durchgang wird das Projekt zudem wissenschaftlich begleitet.