Verein wollte private Einrichtung in Wilhelmsburg gründen. Behörde fürchtete die Konkurrenz. Jetzt geht man an der Fährstraße zusammen.

Wilhelmsburg. Die Wilhelmsburger Schule Fährstraße wird die erste Schule in Deutschland, in der Waldorfpädagogen und Lehrer aus einer Regelschule zusammenarbeiten. Dies ermöglicht eine bisher beispiellose Kooperation zwischen Schulbehörde und dem Verein Interkulturelle Waldorfpädagogik in Hamburg. In der vergangenen Woche trafen sich die Lehrer der Schule mit Pädagogen der Waldorfinitiative mit Vertretern der Schulbehörde. Jetzt wurde abgestimmt: Sowohl die Wilhelmsburger Lehrer als auch die Waldorfpädagogen sind für das Vorhaben. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat seine Zustimmung zu einem zehnjährigen Schulversuch, der die Vorteile der beiden pädagogischen Ausrichtungen verbinden soll, bereits erteilt.

Angestoßen wurden die Pläne von der Waldorfinitiative selbst. Sie hatte erwogen, auf der Elbinsel eine Privatschule zu errichten, seit 2009 der interkulturelle Waldorfkindergarten an der Georg-Wilhelm-Straße eröffnet worden war. "Im vergangenen November wurde aus dem Gedanken eine konkrete Idee, die wir der Schulbehörde vorstellten", sagt Projektleiterin Christiane Leiste.

Die Behörde machte der Initiative einen überraschenden Vorschlag: Statt eine eigene Bildungseinrichtung zu gründen, sollten die Waldorfanhänger ihre Pädagogik lieber an einer bestehenden Schule einbringen. Die Behörde hatte offensichtlich die Befürchtung, dass die sogenannten bildungsnahen Wilhelmsburger Familien ihre Kinder aus den öffentlichen Schulen nehmen würden. "Übrig geblieben" für die staatliche Schule wären dann Kinder mit eher problematischem Hintergrund. "Mit dem Schulversuch kann es gelingen, bildungsbeflissene Familien an diesen Schulstandort zu binden und eine soziale Separierung zu verhindern", erklärt Behördensprecher Peter Albrecht das Vorhaben.

Die zwölfköpfige Waldorfinitiative begrüßte den Vorschlag der Schulbehörde. "Gerade die bildungsfernen Kinder können von unserer Pädagogik profitieren", sagt Christiane Leiste. Der Schritt heraus aus den "überwiegend bildungsbürgerlichen und kaum interkulturell geprägten Schichten und Vierteln" sei nur konsequent - schließlich wurde die erste Waldorfschule 1919 für Arbeiterkinder gegründet. "Unser Ziel ist eine Schule für alle", so die Pädagogin. "Eine Waldorfschule, die kein Schulgeld kostet, ist ein wichtiger Baustein zur Chancengleichheit."

Während die Initiative im nächsten Sommer beginnen wollte, wird es voraussichtlich doch bis zum Schuljahr 2014/2015 dauern, bis das Projekt an den Start geht. Nach den Herbstferien wird sich zunächst eine Gruppe aus Pädagogen beider Einrichtungen bilden. Die soll ausarbeiten, welche Aspekte der pädagogischen Richtungen im Unterrichts- und Schulprofil verankert werden. "Es gibt viele Berührungspunkte", sagt Schulleiterin Ulrike Klatt.

Am wichtigsten für die Kinder im Reiherstiegviertel seien positive zwischenmenschliche Beziehungen, außerdem feste Strukturen, Geduld und mehr Zeit zum Lernen. Darauf ist das pädagogische Konzept des Fährstraßen-Kollegiums bereits ausgerichtet. Als ergänzende Elemente aus der Waldorfpädagogik könnten hinzukommen: die künstlerisch-musische Ausrichtung, der ganzheitliche Ansatz, der neben der Wissensvermittlung auch die emotionalen und die handwerklich-künstlerischen Aktivitäten in den Vordergrund stellt, der Verzicht auf Noten und die "Entschleunigung" des Lernens. Wie viel Waldorf letztendlich in der Schule stecken wird, muss noch verhandelt werden. Es gehe aber nicht darum, die Ideologie von Rudolf Steiner in die staatliche Unterrichtspraxis zu überführen, betont Behördensprecher Peter Albrecht.

Bislang ist die Grundschule Fährstraße dreizügig. Wenn die etwa 20 Kinder, deren Eltern sich bislang für die neue Schulform interessieren, dazukommen, soll sie zu einer Schule mit vier parallelen Klassen heranwachsen. Geht es nach der Initiative, sollen vier Waldorfpädagogen die ersten Klassen im Team mit den Regelschullehrern unterrichten.

Fünf Monate haben Schulbehörde und Waldorfinitiative bereits verhandelt, doch es gibt weiteren Diskussionsbedarf. Etwa bei der Schulzeit. Während die Schulbehörde von einem Fortbestehen als reine Grundschule ausgeht, rechnet die Waldorfinitiative mit dem Heranwachsen zu einer Gesamtschule auf zwölf, beziehungsweise 13 Jahre. "Sonst macht das alles keinen Sinn", sagt Christiane Leiste. Ziel der Waldorfpädagogik sei es unter anderem, das stressige Thema "Gymnasialempfehlung" zu einem so frühen Zeitpunkt für Kinder und ihre Eltern zu vermeiden. Zudem seien die Leistungen von Waldorfschülern durchaus vorzeigbar: So habe die Rudolf-Steiner-Schule in Harburg 2012 den besten Abiturschnitt von ganz Hamburg hingelegt.