Während Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz in Indien Gespräche führt, besuchen Mitglieder der Delegation das Armenviertel Shastri Park.

Die Luft steht in den nicht einmal zwei Meter breiten Gassen. Fliegen schwirren auf Kopfhöhe, sie bilden ein schwarzes Dach. In der Nase sammelt sich ein Geruch aus Abwasser, Fäkalien, Fett der Garküchen und Fleisch aus den kleinen Ziegenschlachtereien. Mal wieder ist der Strom ausgefallen. Deshalb ist es mitten am Tag finster in Shastri Park, einem Slum in Neu-Delhi.

18.000 Menschen leben in der 40 Jahre alten Siedlung im ehemaligen Schwemmgebiet des Flusses Yamuna. Ihre Abwässer fließen in offenen Rinnsteinen neben den schmalen Wegen aus Beton. Damit sie nicht verstopfen und die Gassen überschwemmen, schaufeln die Bewohner die Kanäle regelmäßig frei. Die Hinterlassenschaften liegen in großen oder kleinen Haufen direkt auf dem Weg.

Frisches Trinkwasser kommt mit dem Tankwagen. Das aus den Leitungen sollte nicht getrunken werden. Es kommt aus niedriger Tiefe und ist mit Fäkalien verschmutzt. Es ist nicht klar, ob die Kinder, die es dennoch trinken, es nicht wissen oder es ihnen egal ist.

Auf diese Weise leben sieben Millionen Menschen in Neu-Delhi. Das sind mehr als 40 Prozent der Bevölkerung. Landesweit sind es nahezu 200 Millionen Menschen, die in Slums hausen. Also Siedlungen mit unzureichenden Versorgungssystemen. Es gibt dort keine oder nur kaum Wasserver- und -entsorgung, Sanitäreinrichtungen, Abfallentsorgung, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, Gemeindezentren und soziale Sicherungssysteme. Selbst Menschen oberhalb der Armutsgrenze leben mittlerweile so, weil es in Indien einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum gibt. Hinzu kommt, dass Slum-Bewohner wegen der mangelnden Preisregulierung für Trinkwasser häufig mehr bezahlen müssen als die Mittel- oder Oberschicht.

"Es ist unverständlich, dass Menschen so leben müssen. In Indien ist Geld genug da", sagt Guido Rettig, Vorstandschef vom TÜV Nord über den Besuch in Shastri Park. "Ich bewundere aber die Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diese Zustände wenigstens abzumildern." Rettig ist Delegationsmitglied der Indien-Reise des Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD). Der hat - zeitgleich zu dem Besuch eines Teils der Delegation in dem Slum - Gespräche mit Politikern, Unternehmern und potenziellen Geschäftspartnern geführt und dabei für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen geworben. Er wies auch darauf hin, dass die schlechte Infrastruktur des südasiatischen Landes ein Handelshemmnis sei und verbessert werden müsse, um den Transport der Güter sicherzustellen.

Der indische Handelsminister Anand Sharma habe sehr ausführlich erläutert, welche Projekte und Reformen dazu in der Planung seien, berichtete Scholz. Das Treffen hatte im kleinen Kreis stattgefunden. Auch über das Freihandelsabkommen, das gegenwärtig zwischen der Europäischen Union und Indien verhandelt wird, habe man gesprochen. "Ich bin mir sicher, dass es für den Wohlstand Europas wichtig ist, Handelsschranken abzubauen", sagte Scholz. "Dass wir davon in Hamburg profitieren, ergibt sich ja fast von selbst." Minister Sharma hatte die Hansestadt im Mai besucht und dabei den Hafengeburtstag eröffnet.

Zuvor hatte der Bürgermeister bei einem Treffen des Dachverbandes der indischen Industrie- und Handelskammern FICCI die Werbetrommel für den Wirtschaftsstandort Hamburg gerührt. Rund 20 000 Hamburger Firmen seien bereits direkt oder indirekt mit Auslandsgeschäften verbunden, sagte Scholz. Er hob die Bedeutung des Hamburger Hafens hervor. "Hamburg hat den modernsten Containerhafen der Welt", sagte er. Heute liefen zwei Drittel der Exporte von indischem Tee und Teppichen nach Europa über Hamburg.

Das ist einer der Gründe, weshalb auch Jens Meier, Geschäftsführer der Hafenbehörde HPA, mit nach Indien gereist ist. Indien, dessen Mittelschicht in wenigen Jahren rund 500 Millionen Menschen zählen wird, gilt als hoffnungsvoller Zukunftsmarkt.

Meier schränkt aber nach dem Besuch im Slum ein, dass man die Möglichkeiten realistisch einschätzen müsse. Ein plötzlicher Wirtschaftsboom sei wegen der schieren Größe allein nicht zu erwarten. "Der Besuch zeigt, dass das Land einen langen Weg vor sich hat, auf dem wir es aber gern begleiten wollen." Überrascht war er davon, wie vergleichsweise gut organisiert es in dem Slum zugeht. "Natürlich herrschen hier katastrophale hygienische Zustände. Aber die Menschen sind nicht unterernährt. Sie machen sogar Sport." Tatsächlich spielen auf einer nicht bebauten Fläche junge Männer Cricket, den indischen Volkssport. Einige haben sogar Handys. Im Slum gibt es kleine Geschäfte, Handwerker und Gemüsehändler. Es gibt lachende Kinder, viele von ihnen sprechen englisch.

Unterm Strich aber ist die Lage der Menschen prekär. Das durchschnittliche Monatseinkommen einer fünfköpfigen Familie beträgt 5000 Rupien, das sind etwa 70 Euro. Dass sie es sich noch lange leisten können, dort zu leben, ist unwahrscheinlich. Gerade vor zwei Wochen hat die Verwaltung Shastri Park offiziell anerkannt. Damit ist es zwar nicht mehr möglich, die einst illegale Siedlung zu räumen. Doch gerade diese Sicherheit hat zur Folge, dass die Grundstückspreise steigen.

Ein Quadratmeter kostet hier 150 Euro. Ein Slum gleich nebenan ist bereits seit Längerem von Neu-Delhi anerkannt. Dort kostet der Quadratmeter schon das Zehnfache. Von einer der vielen Müllhalden in Shastri Park gibt es einen guten Blick auf ein neues, modernes Hochhaus. Es handelt sich um die Royal Bank of Scotland.