Überfall am Gänsemarkt: Die Hamburger Polizei und Justiz warten neun Monate mit der Veröffentlichung der Fotos. Kritik kommt von der CDU.

Neustadt. Ein Mann wird auf einem Bahnsteig niedergeprügelt. Dass sie bei ihrer Tat von Überwachungskameras gefilmt werden, stört die Schläger nicht. Selbst als Fahrgäste schlichten wollen, hören sie nicht auf, ihr Opfer zu misshandeln. Im Gegenteil: Augenzeugen müssen fürchten, selbst angegriffen zu werden. Geschehen ist diese Tat im Januar im U-Bahnhof Gänsemarkt.

Die Täter flüchten und können bis heute nicht ermittelt werden. Obwohl es Aufzeichnungen gibt, die die Tat in ihren grausamen Einzelheiten zeigen, warten Polizei und Staatsanwaltschaft neun Monate, bis sie mit Fotos der Schläger an die Öffentlichkeit gehen. Dabei hat sich die öffentliche Fahndung als gutes Mittel erwiesen hat, flüchtige Täter etwa zur Selbstanzeige zu bewegen. Erst im August hatte sich ein 16-Jähriger gestellt, der einen Bäckermeister auf dem U-Bahnhof Wandsbek-Markt verletzt hatte - nur einen Tag nachdem im Internet Aufnahmen von ihm und der Tat zu sehen waren.

Es wirft Fragen auf, dass die Ermittler im aktuellen Fall so lange warteten: "Innensenator Michael Neumann muss jetzt erklären, warum ein solches Verbrechen im öffentlichen Raum erst nach dem Ablauf von fast einem Jahr zusammen mit der Öffentlichkeit aufgeklärt wird", kritisiert der CDU-Innenexperte Karl-Heinz Warnholz. "Das ist im Sinne der Verbrechensprävention ein herber Rückschlag."

Die Polizei hat schon bewiesen, dass es deutlich schneller geht. Nur sechs Wochen nachdem ein Mann einen anderen am S-Bahnhof Veddel ins Gleisbett geschubst hat, gingen die Ermittler Anfang August mit einem Foto des Täters an die Öffentlichkeit - einen Tag später stellte sich der Mann. Im Fall von Frank-Christian Wittkopf, der eine Frau in Alsterdorf erst überfallen und dann vergewaltigt haben soll, war die Polizei sogar noch schneller: Nur acht Tage vergingen, bis die Ermittler das Fahndungsfoto veröffentlichten.

Noch schneller sind ihre Kollegen in Berlin: Als im Mai eine 35-Jährige im Bahnhof Alexanderplatz von einem Maskierten bewusstlos geschlagen und ausgeraubt wird, vergehen keine zwei Tage, bis die Ermittler mit einem Video von der Tat an die Öffentlichkeit gehen. Der Täter wird von einem Bekannten erkannt und einen Monat später festgenommen, als er in Köln bei Rot über eine Straße spaziert. Die Personalienkontrolle bringt die Fahndung ans Licht.

Sosehr es auf den ersten Blick erstaunt, dass die Polizei im Fall der U-Bahn-Schläger vom Gänsemarkt neun Monate braucht, um ein Fahndungsfoto zu veröffentlichen, so korrekt haben sich die Ermittler auch nach Ansicht der Justizbehörde verhalten - zumindest wenn es um den Wortlaut des Gesetzes geht. "Die Anforderungen an die Veröffentlichung eines Fahndungsfotos sind sehr, sehr hoch", sagt Pia Böert, Sprecherin der Justizbehörde.

Die Vorschriften seien in Paragraf 131 der Strafprozessordnung niedergelegt. Erst wenn keine anderen Ermittlungsansätze mehr erfolgversprechend seien, könne überhaupt eine Öffentlichkeitsfahndung eingeleitet werden. "Die Überlegung dahinter ist, dass so eine Fahndung einen massiven Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt", so Böert.

Zumal Polizei und Staatsanwaltschaft nicht eigenmächtig Fahndungsfotos veröffentlichen dürfen. Dafür ist immer ein Beschluss durch einen Richter nötig. Erfüllten die Ermittler die gesetzlichen Hürden nicht, liefe ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft schnell ins Leere.

Aus Berlin heißt es dazu: "Die Öffentlichkeitsfahndung darf nur äußerst restriktiv angewandt werden", sagt Staatsanwalt Martin Steltner. Im Fall des Alexanderplatz-Raubes habe es kaum Zeugen gegeben, zudem sei die Qualität der Überwachungsbilder nicht gut gewesen. Man habe sich entschieden, schnell an die Öffentlichkeit zu gehen, um mögliche Erinnerungen von Zeugen nicht verblassen zu lassen.

Allerdings, so Steltner, sei dies nicht die Regel: Nach der Vergewaltigung einer jungen Frau in Berlin-Neukölln verging fast ein Jahr, bevor die Polizei die Öffentlichkeit um Mithilfe bat. Grund: Die Ermittler mussten die Aussage des schwer traumatisierten Opfers abwarten, das dazu erst ein halbes Jahr später fähig war.

Im Fall Gänsemarkt sucht die Polizei weiter Zeugen: Tel. 428 65 67 89.