Mehrere junge Männer misshandeln 27-Jährigen am Bahnsteig. Als er am Boden liegt, treten sie noch auf ihn ein. Polizei sucht Zeugen.

Neustadt. Tatort der brutalen Prügelattacke war wieder einmal ein Bahnhof mitten in der Stadt. Und wieder schienen die Täter - laut Polizei mindestens drei junge Osteuropäer - keine Grenzen und keine Hemmungen zu kennen, als sie in der Innenstadt, am Bahnsteig der U 2 in der Haltestelle Gänsemarkt, über einen 27-Jährigen herfielen, ihn krankenhausreif schlugen und mit Kopftritten misshandelten, als er bereits regungs- und wehrlos am Boden lag. Danach verließen sie bei bester Laune den Tatort. Jetzt erst, ganze neun Monate nach der Tat, geht die Polizei mit einer Fahndung an die Öffentlichkeit und sucht deren Hilfe.

So massiv der Angriff auch war, so glimpflich kam der Krankenpfleger davon: Jakob K. hatte schwere Prellungen und mehrere Platzwunden erlitten - lebensgefährlich verletzt wurde der Deutsch-Russe, der in der Nähe von Ahrensburg lebt, glücklicherweise nicht. Nur durch Zufall?

Es ist der 7. Januar, ein Sonnabend. Kurz vor 5.30 Uhr treffen das spätere Opfer und die Täter auf dem Bahnsteig aufeinander. "Hier wurde er nach kurzer Ansprache aus einer kleinen Gruppe von Osteuropäern heraus angegriffen", sagt Polizeisprecherin Sandra Levgrün. Drei der noch unbekannten jungen Männer schlagen gleichzeitig auf den 27-Jährigen ein. Sie halten auch dann nicht ein, als das Opfer zu Boden geht. Levgrün: "Als der Geschädigte bereits regungslos am Boden lag, drückte ihn der erste Täter hinter die Notrufsäule. Der zweite Täter trat dem Geschädigten nun gegen den Kopf."

Aus der Nähe beobachten vier Passanten - drei junge Männer und eine Frau im Alter zwischen 21 und 27 Jahren - die brutale Attacke. Als sie Jakob K. zur Hilfe eilen und schlichten wollen, werden sie gleich von den Männern bepöbelt und ebenfalls angegriffen. Doch die couragierten Helfer flüchten, kommen noch einmal mit heiler Haut davon. Gegen die unbekannten Täter ermittelt die Polizei jetzt wegen gefährlicher Körperverletzung. Ein versuchter Totschlag werde ihnen nicht zur Last gelegt, weil die Verletzungen nicht lebensbedrohlich gewesen seien, sagt Levgrün. Drei der Schläger sind auf dem Überwachungsvideos zu erkennen: Männer, zwischen 20 und 30 Jahre alt, mit dunklen Jacken, kurzen oder rasierten Haaren. Einer von ihnen trug ein zerrissenes, weißes T-Shirt. Zeugen werden gebeten, sich bei der Polizei zu melden: Telefon 428 65 67 89.

Es ist nicht die erste, massive Gewalttat in einem viel frequentierten Bahnhof. Einem Bahnhof, der nicht in einem sozialen Brennpunkt liegt, sondern in bester Innenstadtlage. Im Mai 2011 stach ein 16 Jahre alter Intensivstraftäter im Bahnhof Jungfernstieg einen 19-Jährigen ohne jeden Grund nieder und tötete ihn. Messerstecher Elias A. wurde im Dezember 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Was zu der drastischen Eskalation am Gänsemarkt führte und ob die Täter ihr betrunkenes Opfer provozierten, ist ungewiss. Zumal Jakob K. gegenüber der Polizei zu den Hintergründen der Attacke geschwiegen hat. Aus Angst vor der Rache der Täter?

Sein Aussageverhalten war mit ein Grund dafür, dass sich die Ermittlungen in die Länge zogen und die Polizei erst jetzt mit Fotos aus einem Überwachungsvideo der Hochbahn an die Öffentlichkeit geht. Der Geschädigte habe sich nicht kooperativ gezeigt und in seinen drei Befragungen kaum Angaben zu den Tätern gemacht, sagt Levgrün. Ein weiterer Grund für die Veröffentlichung erst neun Monate nach der Tat: "Eine Öffentlichkeitsfahndung stellt einen großen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Dargestellten dar."

Erst wenn alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft und die Täterfotos von den Beamten aller Hamburger Dienststellen in Augenschein genommen worden seien, könne die Staatsanwaltschaft eine Veröffentlichung bei einem Richter beantragen. Nicht zuletzt hätten beim Übergriff am Gänsemarkt alle Zeugen erst ermittelt und vernommen werden müssen.

Die vier Passanten hatten jedoch nicht beobachtet, warum die Männer plötzlich so aggressiv auf Jakob K. losgegangen sind. Sie wollten nur helfen - ein anständiges, gleichwohl riskantes Verhalten. Die Polizei rät davon ab, in derart unwägbaren Situationen selbst tätig zu werden. Welche Konsequenzen Zivilcourage haben kann, erlebte ein 42-Jähriger am Neujahrsmorgen 2011, als er einen Streit zwischen drei jungen Männern und einem älteren Herrn am S-Bahnhof Veddel schlichten wollte. Die Männer gingen gleich auf ihn los, schlugen ihn nieder und traten gegen seinen Kopf. Ein Zeuge erinnerte sich später: "Der Kopftritt erinnerte mich an einen Freistoß." Artur G. musste elf Tage in der Klinik bleiben, litt lange unter den psychischen Folgen.

Die Hochbahn hat bis zum Ende der eigenen Zählung 2010 rund 200 Gewaltfälle jährlich registriert. Um die U- und S-Bahnen sicherer zu machen, hat der Senat im Vorjahr eine Sicherheitspartnerschaft mit Polizei, HVV, S- und Hochbahn geschlossen. Statt 560 gibt es nun 670 Sicherheitsmitarbeiter im Hamburger Nahverkehr.