Das Niveau sinkt - auf den Universitäten, in den Schulen und den Medien. Einige sprachliche Fehlleistungen sind nicht auszumerzen

Helga Oltmanns, Jahrgang 1933 und eifrige Leserin dieser Kolumne, ist dankbar, dass sie als Schülerin noch intensiv die Grammatik und Rechtschreibung der deutschen Sprache lernen musste - aus heutiger Sicht kann sie sogar sagen: lernen durfte. Deshalb gehe ihr der Hut hoch, so schreibt sie, wenn sie in Zeitungen lese oder im Radio und Fernsehen höre, wie Journalisten, Moderatoren und Autoren "grausam mit der Grammatik umgehen". Sie fragt: Wie besteht man das Abitur mit solchen Sprachkenntnissen? Kann die jetzige Lehrergeneration es auch nicht besser?

Die Klagen über den Verfall der Jugend sind so alt wie das Gilgamesch-Epos, das erste erhaltene schriftliche Zeugnis der Menschheit. Wenn es seitdem wirklich von Generation zu Generation abwärts gegangen sein sollte, müssten wir heute im Bärenfell Grunzlaute von uns geben und die Frauen an den Haaren in die Höhle zerren.

Dennoch scheint es angebracht zu sein, jetzt die Alarmglocken zu läuten. Der Germanist Gerhard Wolf stellt nach einer Umfrage an deutschen Universitäten über die Studierfähigkeit der Studenten fest: "Das Niveau sinkt" ("Der Spiegel" 40/2012). Das treffe auch auf die angehenden Lehrer zu. Prof. Wolf: "Wir entlassen Lehrer, die bei ihren Schülern nach meiner Schätzung maximal die Hälfte aller Fehler überhaupt noch erkennen können."

Es wäre zu einfach, als Älterer nun alle Deutschfehler in den Medien auf die mangelnde Schulbildung des Berufsnachwuchses zu schieben. Vielmehr sind bestimmte grammatische, orthografische und stilistische Fehler der geschriebenen und gesprochenen Nachrichtensprache nicht auszumerzen. Sie sind quasi medienimmanent und haben sich in der Hochsprache festgesetzt wie Flöhe im Hundefell.

Elisabeth Iversen, bereits 87 Jahre alt, hat auf mehreren DIN-A4-Seiten derartige Fehlleistungen zusammengestellt, die ihr in der "Tagesschau", aber auch - das sei nicht verschwiegen - im Abendblatt begegnet sind. Greifen wir einige Beispiele heraus.

Da ist einmal das doppelte Präteritum (Vergangenheit), der vollkommen überflüssige Purzelbaum rückwärts ins Plusquamperfekt (Vorvergangenheit): Die Gastwirtschaft war am Sonntag gut besucht gewesen . Wieso "gewesen"? Sie war gut besucht. Das reicht zur Aussage und zur Annahme einer gefüllten Tageskasse, die die Räuber dann abends mit dem Beil abräumten.

Immer wieder werden die Ermordeten sprachlich zu Mördern gemacht: Der Leichnam des Getöteten wurde überführt . Wessen wurde er überführt? Der Tat? Das Verb überführen gibt es nämlich doppelt mit unterschiedlicher Bedeutung und Konjugation: Das erste "überführen" bedeutet "jemandem eine Tat nachweisen" und hat das 2. Partizip überführt , das andere "überführen" drückt die Tätigkeit "von einem Ort zum anderen bringen" aus mit dem 2. Partizip übergeführt . Bringen wir also unser unschuldiges Opfer nicht unnötig in Verdacht. Es wurde selbstverständlich nach Hamburg übergeführt .

Das ist nicht anders zuordbar. Zuordbar? Ob Sie es glauben oder nicht: Das Adjektiv heißt zuordenbar , sich zuordnen lassend. Wer nun glaubt, der Duden sei von gestern, dem sei gesagt: Im Wahrig steht's nicht anders.

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass manche Leute nicht einfach sterben, sondern versterben ? Das klingt irgendwie ehrerbietiger, um nicht zu sagen: untertäniger.

Bei Dirk Bachs Tod war die Wortwahl gemischt. Das hing wohl mit der jeweiligen Einschätzung des Dschungelcamps zusammen. Bei allen anderen Menschen, ob König oder Bettler, gibt es einheitlich nur ein Verb am Ende ihrer Tage: Sie sterben , und zwar ganz ohne Vorsilbe.

Als Parasit hat sich seit Langem das Wort zunächst in der Agentursprache eingenistet, und jeder Praktikant, der seine erste Meldung verfasst, gebraucht dieses Adverb, um vermeintlich professionell zu klingen: Die Zahl der Opfer des Flugzeugabsturzes war zunächst (anfangs, zu Beginn) nicht bekannt. Natürlich war die Opferzahl zunächst nicht bekannt. Die Polizei muss ja erst einmal suchen und zählen. Die Frage ist nur, ob die Zahl beim Redaktionsschluss bekannt ist. Falls nein, dann war die Zahl der Toten bisher (bis jetzt) nicht bekannt. Das klingt einfacher und weniger verschroben.