In dem ehemaligen Fischer- und Lotsendorf Blankenese ziehen sich auch gut betuchte Bürger einmal im Jahr einen “Blaumann“ über: an Ostern.

Vom "Dorf" sprechen Einheimische gern, wenn sie sich überihren Stadtteil unterhalten. Sie meinen damit genau genommen den Kern rund um den Marktplatz, wo nicht nur der Wochenmarkt ist, sondern zugleich auch das gesellschaftliche Leben der Blankeneser pulsiert, vornehmlich am Sonnabend. Dann nämlich, wenn Blankenese auf den Beinen ist und schnell noch vor Ladenschluss in die Geschäfte hetzt. Dann hat es auch die "Bergziege" nicht leicht, womit nicht etwa das gleichnamige Tier gemeint ist. Es ist der Kosename der Alteingesessenen für den Kleinbus der Linie 48, der sich unermüdlich vom Bahnhof aus durch die engen Straßen Blankeneses und das Treppenviertel kämpft.

Marineblau und Jagdgrün im Trend

Blankenese, der Name des ehemaligen Fischer- und Lotsendorfes im Westen Hamburgs, 13 Kilometer von der City entfernt, ist schillernd und eignet sich für manches Klischee. "Mehr als ein Blankeneser kann ein Hamburger nicht werden", titelte einst eine Zeitung. Und die Trendfarbe im "Dorf"? Klar, immer noch dominieren maritimes Blau oder dezentes Jagdgrün, Barbour-Jacken statt gelber Friesennerze. Ebenso gibt es auch Trendplätze, wo man lässig seinen Cappuccino trinkt oder sein Eis genießt, etwa in der Eisdiele Casa del Gelato - sehen und gesehen werden rund um den Marktplatz. Und ja: Anwälte, Senatoren, Reeder, Promis wie Otto Waalkes leben hier auch, aber ebenso Normalbürger wie etwa Elblotsen.

Aber mal weg von den Klischees, hin zu den Ur-Blankenesern: Einige von ihnen haben Stammbäume, die 500 Jahre und länger zurückreichen. Viele Blankeneser kennen sich seit ihrer Kindheit. Einige sammeln und stapeln im "Blaumann" gemeinsam Holz fürs Osterfeuer am Strandweg, jedes Jahr. Ein Beispiel für einen Traditionsnamen: Breckwoldt, so hieß vor 200 bis 300 Jahren beinahe jede zweite Blankeneser Familie.

"Riviera der Stadt" wird das Viertel am Berghang auch gern genannt. Warum? Es gibt Strände, Leuchttürme, Fernblick. Und versteckte Plätze, von idyllischen Cafés bis zum Lädchen mit Buddelschiffen. "Das Montevideo des Nordens", befand einst Dichter Gorch Fock über Blankenese, und Poet Hans Leip schwärmte über das "Dorf, das wie ein Eden liegt". Jürgen Weber, Erster Vorsitzender des Blankeneser Bürgervereins, sagt: "Blankenese ist für mich der maritimste Teil von Hamburg, ein moderner Stadtteil mit langer Tradition, mit dörflichem Charakter und einer vielfältigen Bevölkerungsstruktur, mit einem guten sozialen Mix."

Das kleinste Amtsgericht der Stadt

Nähert man sich dem Stadtteilkern vom Blankeneser Bahnhof her - ein historischer Bau, dessen Gelände und Umgebung vor einiger Zeit völlig neu gestaltet und modernisiert wurden -, so dominieren auf den ersten Blick Apotheken und Banken entlang der Blankeneser Bahnhofstraße, der Pulsader des Stadtteils. Bekannt: Dal Fabbro, ein italienisches Restaurant, wo einst Grafiker Horst Janssen zu Gast war. Aber auch das kleinste Amtsgericht Hamburgs ist in Blankenese. Und es gibt das Blankeneser Kino, ein plüschiges, preisgekröntes Stadtteil-Kino. Es empfiehlt sich ein Abstecher in den Hessepark, Baurs Park oder Goßlers Park. Oder aber ins Treppenviertel, ins Hanggebiet, das bis zum Süllberg hochreicht. Tausende Treppenstufen erfordern gute Kondition. Verschlungene Pfade führen zu immer wieder neu entdeckten Häuschen, unscheinbaren wie auch mächtigen Bauten. Und fast alle mit einem Top-Blick auf die Elbe - ein Beispiel hierfür ist die Villa des Komikers Otto Waalkes.

Tante Emma lebt

Ein Hauch von Italien weht über den Hang. Die Gassen haben Namen wie Möllers Treppe, Bornholdts Treppe, Mitteltreppe und bilden ein Labyrinth. Dort wohnen Kaufleute, Künstler und Kapitäne, Ur-Blankeneser wie Zugezogene. Übrigens: Auch Igel, Fledermäuse und Greifvögel sind mitunter dort zu sehen. Schon früher gab es hier Schuster, Milchläden und mehr. Die Tante-Emma-Tradition lebt dort längst wieder auf. An der Blankeneser Hauptstraße 71 gibt es ein kleines Ladengeschäft, das nostalgisches Alt-Spielzeug verkauft; es hat nur dienstags von 17 bis 18.30 Uhr geöffnet. In der Hans-Lange-Straße 23 ist der Treppenkrämer zu finden, ein romantisches Ladengeschäft mit Bistro. Dort gibt es Brötchen, kleine Speisen,Kuchen, Souvenirs. Es ist eines der kleinsten Cafés Hamburgs. Die Torten aus eigener Herstellung und das Krämerambiente locken nicht nur Stammgäste, sondern auch Touristen. Legendär ist der Kaffeegarten Schuldt von 1877. Ein lauschiger Platz: die Süllbergsterrasse Nr. 30. Hier gibt es noch selbst gemachten Kuchen vom Blech, und man brüht auf Wunsch mitgebrachtes Kaffeepulver auf, wie vor 100 Jahren.

Puppen aus drei Jahrhunderten

Lohnend ist auch ein Besuch beimFischerhaus an der Elbterrasse, ein "Tweehus" (Doppelhaus). Im Jahre 1709 urkundlich erwähnt, stellt es eines der ältesten erhaltenen BlankeneserFischerhäuser dar. Nicht nur wegen der Altentagesstätte ist es ein Treffpunkt für viele Blankeneser. Das Museumszimmer im Gebäude wurde seit 1967 durch private Spenden ergänzt. Nicht weit entfernt, am Sörensenweg 4a, hat Hans-Joachim Kerres sein Atelier für Kunst und Heilkunst. Der Kunsttherapeut zeigt nicht nur seine Plastikenund Farben-Werke, sondern gibt zudemindividuelle Zeichen- und Malkurse für Kinder und Erwachsene. Auch Kranke können durchs Malen und Gestalten wieder Kraft schöpfen.

Von seinem Atelier sind es nurwenige Gehminuten zum Elbstrand. Dort befinden sich beispielsweise das Restaurant Kajüte SB 12, direkt am Strandweg, der Blankeneser Segel-Club (BSC) mit Klubhaus, etwas weiter der Mühlenberger Segel-Club (MSC). Auf der Elbe sieht man hier auch die Blankeneser "Tuckerboote", dieselbetriebene urige 10-PS-Boote aus Holz, die von ein paar Liebhabern gehalten werden.

Ein Highlight ist der Römische Garten, ein herrlicher Ort für ein Picknick. Am Rande des Stadtteils liegt das Puppenmuseum. Elke Dröscher präsentiert dort "Kulturgeschichte aus drei Jahrhunderten". Im Sven-Simon-Park eröffnete die Galeristin 1986 das Puppen-Haus. Hört sich trocken an, ist es aber nicht. Pro Jahr kommen Zigtausende Besucher aus aller Welt in das Landhaus am Elbhang. In der Villa wohnen mehr als 600 Puppen, darunter viele Liebhaberexemplare - elegant bis einfach, mit charmantem Lächeln oder Gouvernantenblick. Faszinierend im Museum sind die fein gearbeiteten Puppenstuben. Einst lernten die jungen Damen der feinen Gesellschaft daran die Benimmregeln. Wer Blankenese nicht allein erkunden mag: Stadtteilführer präsentieren die schönsten Schätze bei Themen-Spaziergängen. Dabei kann selbst manch Einheimischer noch etwas dazulernen über sein mystisches "Dorf".

In der nächsten Folge am 8.10.: Farmsen-Berne

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