Eine Glosse von Norman Raap

Es ist Sonnabend, beste Sendezeit und schon dunkel. Ein Streifenwagen mit Lübecker Kennzeichen rast mit Blaulicht über die spärlich beleuchtete Seewartenstraße auf St. Pauli. "Zielperson am Mühlenteich!", hören die Zuschauer des TV-Krimis im Polizeifunk - im Lübecker Polizeifunk. Dann springt die "Zielperson" von der Hamburger Kersten-Miles-Brücke auf die Helgoländer Allee in den Fernsehtod. Vom Lübecker Mühlenteich, den schon Thomas Mann in "Buddenbrooks" erwähnte, keine Spur.

"Tote lügen besser" heißt die Episode, die in Lübeck spielt, aber allem Anschein nach in der falschen Hansestadt gedreht wurde. Die zwar kein Holstentor, kein Marzipan und kein Buddenbrookhaus zu bieten hat, aber als Kulisse offenbar lieber genommen wird als das Original, das Thomas Mann nur als "mäßigen Handelsplatz an der Ostsee" bezeichnete.

Alster und Elbe statt Trave und Mühlenteich: Das macht doch nichts, das merkt doch keiner. Wie sonst ist zu erklären, dass vor wenigen Tagen sogar eine Kfz-Werkstatt in der Hamburger Neustadt für Dreharbeiten zum Sitz der fiktiven "Lübecker Rundschau" umdekoriert wurde? So ganz neu ist das Phänomen nicht: Schon 1959 standen Nadja Tiller, Liselotte Pulver und Hansjörg Felmy für die "Buddenbrooks" in Hamburg vor der Kamera. Und Thomas Mann - als hätte er's geahnt - nennt seinen Geburtsort Lübeck im Roman an keiner Stelle. Hamburg dagegen schon.