Erster Tag im Kunstfehlerprozess gegen ehemaligen Leiter der Großhansdorfer Thoraxchirurgie. Ein Kollege hat ihn angezeigt.

Großhansdorf. Chefarzt Detlev B. sah akuten Handlungsbedarf. An jenem Morgen im April 2008 ließ er von seinem Patienten ab, eilte in den benachbarten Saal und riss dort kurzerhand die Operation an sich. So stellt es der langjährige Leiter der Thoraxchirurgie des Krankenhauses Großhansdorf am ersten Verhandlungstag im Kunstfehlerprozess gegen ihn dar. Wenige Minuten nach dem Beginn von B.s operativen Bemühungen war der Patient tot, weil der Arzt - so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft - den falschen Hauptbronchus durchtrennt hatte. "Wir haben den Patienten auf dem Tisch verloren", wie eine Ärztin vor Gericht formuliert.

Vor Gericht droht jetzt noch etwas ganz anderes verloren zu gehen: der gute Ruf des Krankenhauses in Großhansdorf (Kreis Stormarn), das heute LungenClinic heißt. Denn nach der Operation wurde ein offensichtlich falscher OP-Bericht angefertigt. Der Patient sei an einer Blutung verstorben, hieß es dort. Und die Ärzte, die im Saal dabei waren, als B. Hand anlegte, schwiegen, statt die Behörden einzuschalten. Erst vier Monate später erstattete einer von ihnen Anzeige: Oberarzt Martin N., 62. Chefarzt B., 63, mittlerweile Leiter der Thoraxchirurgie im Evangelischen Krankenhauses Bielefeld, ist deshalb wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

B. ist eine beeindruckende Erscheinung. Flankiert von zwei Anwälten betritt er den Gerichtssaal: groß, mit schlohweißem, dennoch vollem, gelocktem Haar. Der weiße Vollbart, an den Backen bis auf einen dünnen Strich ausrasiert, kontrastiert mit seiner roten Gesichtshaut. Den dunkelblauen Anzug ziert ein schneeweißes Anstecktuch. B. sieht sich als Opfer. Das Krankenhaus hat ihm nach dem Vorfall gekündigt. "Die Operation ist der Aufhänger gewesen, um mich loszuwerden", sagt der Chefarzt. Es habe damals mehrere Arbeitsgerichtsverfahren gegeben, unter anderem habe man ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen.

An jenem Morgen des 18. April sollte bei dem 69-Jährigen ein vom Krebs befallener Teil des rechten Lungenflügels herausoperiert werden. Das Team bestand aus dem Oberarzt Martin N. und der jungen Assistenzärztin Nilofar N. (33). Bei den vorbereitenden Arbeiten an der Lunge kam es zu einer Blutung. Die sei rasch gestillt worden, so N. Dann sei plötzlich B. aus dem benachbarten Operationssaal herübergekommen und habe gesagt: "Ich übernehme die OP." B. schildert die Situation ganz anders. Jemand sei zu ihm gekommen und habe gesagt, im Nachbarsaal werde seine Hilfe benötigt, es habe eine massive Blutung gegeben. Nebenan habe er erfahren, dass die zentrale Pulmonalarterie verletzt sei. Sie versorgt den rechten Lungenflügel mit Blut. "Das war eine lebensgefährliche Situation, da habe ich entschieden, da musst du einsteigen", sagt B. N. sagt, er habe keine Hilfe benötigt. Aber er schweigt, als der Chef übernimmt. Kann man das: Einfach so in eine halb begonnene Operation einsteigen? Ja, findet B. Die Frage der Vorsitzenden Richterin Helga von Lukowicz, ob er nicht auch als Assistent seinem erfahrenen Kollegen N. hätte helfen können, versteht er nicht. "Assistieren? Das hätte ich nicht gekonnt", sagt der Chefarzt.

B. und N. sind schon seit den 90er-Jahren Kollegen. B. sagt über N., mit seinen chirurgischen Leistungen sei er nicht zufrieden gewesen. N. sagt über B., ihr Verhältnis sei "euphemistisch gesagt angespannt gewesen". Möglicherweise haben sich die beiden Chirurgen im OP-Saal deshalb angeschwiegen. Mit fatalen Folgen für den Patienten. B. durchtrennt, offenbar ohne Ankündigung, den linken Hauptbronchus (Verbindung zwischen Luftröhre und linkem Lungenflügel). Der Patient kann nicht mehr beatmet werden und stirbt. B. stellt seinen Schnitt als Versuch dar, das Leben des Patienten zu retten. Die am Montag vernommenen Zeugen stützen diese Version nicht.

Bei dem Versuch, den Abläufen auf die Spur zu kommen, wird der Gerichts- zeitweise zum Operationssaal. Ausführlich schildert der Chefarzt, wie er den rechten Hauptbronchus "scharf präpariert" und dann "abgesetzt" (durchtrennt und eine der beiden Öffnungen geklammert) hat, wie er sich zum linken Hauptbronchus vorgearbeitet und ihn durchschnitten hat. Und immer habe es "Hektik bei der Anästhesie" gegeben. "Das Ganze ist schon stressig, das können Sie mir glauben." B. hat die Geräte mitgebracht, die er verwendet hat. Außerdem gibt es eine Puppe, die auf den Tisch des Sachverständigen gelegt wird, um dem Gericht zeigen zu können, wo geschnitten wurde. Am Ende eines Tages mit vielen medizinischen Fachbegriffen bleibt ein Ruf haften - der verzweifelte Ruf des Anästhesisten am Morgen des 18. April: "Ich kriege keine Luft in den Patienten."

Der Prozess wird heute fortgesetzt.