Stephane Hessel, 94 Jahre alter Star der Occupy-Bewegung, war der prominenteste Gast des Zukunftscamps auf Kampnagel.

Winterhude. Wäre er bis in die hinteren Flächen von Kampnagel vorgedrungen - Stephane Hessel hätte dort zustimmend gelächelt oder mit dem Kopf genickt. Auf einem Gang der Hamburger Kulturfabrik rollen roboterähnliche Maschinchen herum, versehen mit Parolen wie "We are not your slaves" (Wir sind nicht eure Sklaven) oder "Defend the right to protest" (Verteidigt das Recht zu protestieren).

Gegen gesellschaftliche Missstände aufzustehen, das hat Stephane Hessel in seiner Streitschrift "Empört euch" eindringlich propagiert.

Der deutsch-französische Bestsellerautor, Holocaust-Überlebende und frühere Uno-Diplomat ist der Stargast der offenen Tagung "VernetztRaute". Schon bevor Michael Göring, Vorsitzender der veranstaltenden "Zeit"-Stiftung, den "jüngsten 94-Jährigen, den ich kenne", zur Matinee begrüßt hat, haben sich einige der 1000 Besucher in der voll besetzten Halle k6 von ihren Stühlen erhoben. Hessels 29-seitiges Büchlein war und ist eben nicht nur Begleittext und Anstoß für die Occupy-Bewegung und der großen Jugenddemonstrationen in Madrid und Israel.

"Wofür lohnt es sich zu kämpfen?", heißt das Thema dieses Vormittags. "Für die Werte der Demokratie", macht Hessel den Zuhörern klar. Er, 1917 in Berlin geboren und seit 1937 französischer Staatsbürger, empfiehlt den Besuchern, sich als Erstes als Deutsche zu empfinden und sich als Zweites sogleich als Europäer dem Weltgeschehen zu widmen. Der ehemalige Resistance-Kämpfer liegt damit ganz auf der Linie des 93-jährigen Helmut Schmidt ("Der ist ja noch um einiges jünger als ich"), den Hessel bewundert. "Europa sehe ich immer als Aufgabe, nicht als etwas Bestehendes", appelliert Hessel ans Publikum. "Es gibt viele Denker, aber die Akteure fehlen noch", sagt Hessel.

Als ein Vorbild für andere sieht sich Hessel, der im Vorjahr mit "Engagiert euch!" ein zweites kleines Werk herausgebracht hatte, indes nicht. "Ich empfinde mich als Botschafter." Die Schriftsteller Sartre und Camus, das waren seine Vorbilder. Auf Nachfragen aus dem Publikum fällt dem französischen Intellektuellen außer Helmut Schmidt und dessen Kritik an der Finanzpolitik noch Daniel Cohn-Bendit ein. Der deutsch-französische Grünen-Politiker und Pariser Alt-68er sei "ein außerordentlicher, prinzipientreuer Mensch".

Auch wenn es längst nicht jedem im Saal gefällt und die Diskussion selten in die Tiefe geht, plädiert Hessel dafür, dass die jungen Leute die Parteien mit Leben erfüllen sollten. Hessel ist und bleibt ein Idealist: "Wir müssen mehr Respekt untereinander finden." Zum Abschied sagt er: "Viel Mut, viel Vertrauen. Machen Sie es gut!"

Bei einer der zahlreichen weiteren Veranstaltungen des viertägigen Zukunftscamps diskutieren später am Nachmittag der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel und der Jenaer Soziologieprofessor Wolfgang Rosa mit der Autorin Annette Jensen tiefgründiger und umfassender über Wachstum sowie alternative Lebens- und Arbeitsformen. Bis sich aus dem Publikum eine Personalentwicklerin aus Hamburg meldet und fragt: "Können wir nicht mal ein Zukunftscamp weltweit machen?" Gewiss eine gewaltige Aufgabe, aber eine Vision, die auch Stephane Hessel gefallen dürfte.