Der Aufschrei der Liberalen gegen das Betreuungsgeld ist kalkuliert - aber gut begründet

Angela Merkel besitzt die Gabe, ohne große Worte kleine Demütigungen auszusprechen. In der vergangenen Woche war es erneut so weit: "Herr Rösler ist gerne Vizekanzler - und das kann ich gut verstehen", sagte die Bundeskanzlerin. Was sie damit meinte: Merkel ist die Köchin, und der FDP-Chef soll schön dankbar sein, dass er ihr Kellner in dieser seit drei Jahren vor sich hin regierenden Koalition sein darf. Inzwischen liegen genügend Indizien dafür vor, dass Merkel in der FDP keinen Partner auf Augenhöhe sieht, sondern einen zumeist lästigen Mehrheitsbeschaffer.

Der Umgang der Kanzlerin mit den Liberalen hat längst Nachahmer gefunden. Man muss in der Fraktion von CDU und CSU schon sehr lange suchen, um hier Vertreter zu finden, die unaufgefordert die FDP loben würden. Das Spiel von Koch und Kellner setzt sich in den tieferen Ebenen fort. Die eigenmächtige Überarbeitung des Betreuungsgeldes aufseiten der Union stellt dabei nur ein weiteres von vielen Beispielen eines erschreckend unkommunikativen und zutiefst argwöhnischen Miteinanders dar.

Die Geschichte dieses großen Misstrauens begann am 27. September 2009, an jenem Wahlabend, der Union und Liberale zusammenführte. Die siegestrunkene FDP glaubte zu der Zeit noch, es handele sich um eine Liebesheirat. Doch die Zuneigung blieb einseitig: Bereits die Koalitionsverhandlungen gerieten zur Generalprobe einer dauerhaften Demütigung des kleinen Partners. Weil der schwarz-gelbe Vier-Jahres-Vertrag mit Prüfaufträgen und Finanzierungsvorbehalten verwässert wurde, blieb gleich am Anfang von der liberalen Steuersenkungsagenda nichts mehr übrig. Später folgte Merkels einsame Entscheidung, nach der Katastrophe von Fukushima nicht nur die von der FDP protegierte Laufzeitenverlängerung der Atomkraftwerke zurückzunehmen, sondern die Wende zu den erneuerbaren Energien gleich zur Chefsache zu erklären. Die Liberalen mussten mitziehen, die Fäuste in der Tasche geballt.

Sie dachten, sie könnten später punkten: indem sie eine Anhebung der Pendlerpauschale forderten; indem sie die Abschaffung der Praxisgebühr verlangten; indem sie für eine Reform der Umlage für die Ökoenergien stritten. Stets zog die Union die Brandmauern hoch. Der einzige Erfolg in der Koalition, auf den Rösler in den 16 Monaten als FDP-Vorsitzender zurückblicken kann, hat mit Inhalten nicht allzu viel zu tun: Er schaffte es, gegen den Widerstand Merkels Joachim Gauck als Bundespräsidenten durchzusetzen.

Darüber freute sich Rösler wiederum derart infantil, dass er völlig aufgekratzt die Kanzlerin in einer Talkshow mit einem Frosch verglich. Das Verhältnis zwischen Merkel und ihrem Vizekanzler ist seitdem von Misstrauen geprägt - und zwar von beiden Seiten. Auch diese Episode sollte man in Erinnerung behalten, wenn man nun die Liberalen in ihrer Opferpose betrachtet.

Der Aufschrei der FDP gegen den Betreuungsgeld-Kompromiss ist kalkuliert. Er dient auch nicht der Sache an sich. Den Liberalen geht es weder um weitere Änderungen an der ohnehin parteiintern ungeliebten Maßnahme, noch haben sie ein ernsthaftes Interesse daran, familienpolitisches Profil zu zeigen. Die FDP will einfach mal wieder ernst genommen werden. Sie sehnt sich nach einer Politik auf Augenhöhe, die die Union ihr seit drei Jahren verweigert. So wie es Rösler in seiner Antrittsrede im Mai 2011 versprach, will die FDP wenigstens auf der Zielgeraden noch Ergebnisse liefern. Andernfalls droht ihr bei der Bundestagswahl in zwölf Monaten ein Desaster. Daran kann selbst Chefköchin Merkel kein Interesse haben. Offiziell will sie mit ihrem Kellner Rösler auch in der nächsten Legislatur ein Bündnis schmieden. Also muss Merkel jetzt liefern - an die FDP.