Wilfried M. soll 22 Autos angezündet haben. Das Hamburger Landgericht verurteilt den 55-Jährigen zu vier Jahren und drei Monaten.

Hamburg. Wieder und wieder dreht er sich um. Selbst als sein Verteidiger wegen vermeintlicher Ermittlungspannen auf Freispruch plädiert, wandert sein Blick von einem Zuschauer im hinteren Teil des Gerichtssaals zum nächsten. Er sitzt da wie immer: in seinem ausgeleierten, weißen T-Shirt, die langen schütteren Haare fallen bis auf die Schultern, am linken Handgelenk trägt er eine goldfarbene Uhr. Es ist ein bohrender, zuweilen herablassender Blick, der wohl suggerieren soll: Mir kann hier niemand etwas.

Doch Wilfried M. muss ins Gefängnis. Gestern hat das Landgericht den 55-Jährigen zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Zehn hochwertige Autos hat er bei drei Brandstiftungen in Bramfeld, Osdorf und Marienthal zwischen Mai und Dezember 2011 nach Überzeugung des Gerichts angezündet. Und das ist noch längst nicht alles: Die Kammer unter Vorsitz von Richterin Ulrike Taeubner ist sich sicher, dass zwölf weitere ausgebrannte Autos auf sein Konto gehen. Erst während des laufenden Prozesses hatte die Polizei ermittelt, dass ihm genetische Spuren auf Grillanzünderpackungen zugeordnet werden können, die an Brandorten in Lokstedt (25. März) und Rothenburgsort (2. April) gefunden worden waren. Beinahe wäre dabei noch ein Holzhaus abgebrannt, in dem sich eine Mutter und ihre kleine Tochter befanden. Die Fälle werden dem 55-Jährigen in einer gesonderten Anklage zur Last gelegt. In ein bis zwei Monaten dürfte neu verhandelt werden.

Das erste Urteil gegen einen Hamburger Serienbrandstifter - es ist vor allem das Verdienst der Hamburger Polizei. Am 29. Mai 2011 beobachten Zivilfahnder in der Nähe von drei brennenden Autos am Kroonhorst in Osdorf einen Radfahrer. Als sie ihn auffordern, stehen zu bleiben, tritt er plötzlich in die Pedale. Doch den Beamten gelingt es, Wilfried M. von seinem blauen Damenrad zu zerren. Er kommt ihnen gleich verdächtig vor: Sie finden zwei Feuerzeuge in seiner Tasche, außerdem trägt er dicke angesengte Arbeitshandschuhe. Am nächsten Morgen lassen sie Wilfried M. zwar wieder frei - aber von da an auch nicht mehr aus den Augen. Heimlich observieren sie den 55-Jährigen, bringen einen Peilsender an seinem Auto an. Zeitweise wird auch seine Wohnung per Video überwacht.

2011 lastet ein gewaltiger Druck auf der Hamburger Polizei. Fast täglich gehen Autos in Flammen auf - doch die Beamten machen kaum einen Täter dingfest. Grund: Die meisten sind schon über alle Berge, wenn die Autos brennen. Auf der Jagd nach Brandstiftern patrouillieren nachts ganze Hundertschaften auf den Straßen. Am Ende des Jahres sind weit mehr als 300 Autos angezündet worden (bis jetzt in diesem Jahr: rund 110). Die Polizei hat vor allem erlebnisorientierte Jugendliche, Linksradikale oder Autonome im Visier.

Doch Wilfried M. ist nichts davon.

In Lurup, wo der 55-Jährige lebt, gilt er als Sonderling mit Messie-Allüren. Als einer, der ausrastet, wenn man ihn nur schief anguckt. Der immer exakt 99,99 Liter Benzin tankt, erst seinen Wagen voll, den Rest in Kanister. Der bei McDonald's aus Geiz Klopapier stiehlt und den Nachbarn gegenüber dem Abendblatt als "widerlichen und unberechenbaren Menschen" beschreiben. In seiner Wohnung, wo die Polizei 132 Schuss scharfe Munition, Brandbeschleuniger und Videos von Bränden sicherstellt, türmen sich Zeitungen und Bücher meterhoch. Der vielfach Vorbestrafte hat kaum soziale Kontakte, stalkt eine Ex-Freundin, will nicht arbeiten. "Wer arbeitet, ist sowieso bescheuert", erzählt er dem Gericht.

Seit Mai 2011 überwacht die Polizei per GPS-Peilung die Bewegungen von Wilfried M. in der Öffentlichkeit. Den an seinem Auto befestigten Sender entdeckt er indes Monate später - und brüstet sich noch vor einem Freund damit. Trotzdem fährt er in seiner zugemüllten Mercedes-Limousine am 22. Dezember zum zweiten Brandanschlag nach Bramfeld. "Letztlich wollten Sie wohl zeigen, dass Sie schlauer sind als die Polizei", mutmaßt Richterin Taeubner. Um mögliche Verfolger in jener Nacht zu entdecken, dreht er in Tatortnähe mit seinem Mercedes unentwegt Runden, sogenannte Tunnelrunden. Doch diesmal schläft die Polizei: Erst nachträglich wertet sie das Bewegungsprofil aus. Drei Autos zündet Wilfried M. in dieser Nacht an, beim Löschen werden ein Vater und sein Sohn durch Rauchgas verletzt. Sechs Tage später das gleiche Spiel. Am 28. Dezember beobachtet ein Polizist, wie Wilfried M. an der Feldstraße drei Reservekanister mit Benzin befüllt. Dann fährt er nach Marienthal und dort wieder mehrere "Tunnelrunden", bevor er aussteigt und die Gegend sondiert - während seine Verfolger aus Angst vor Entdeckung Abstand halten. An der Claudiusstraße zündet er zwei Mercedes, einen BMW und einen Toyota an. Und parkt danach am Hauptbahnhof, wo er von einem Spezialkommando überwältigt wird. Die Ermittler finden unter anderem benzingetränkte Lappen und einen leeren Reservekanister, der Kofferraum stinkt nach Benzin. Gegenüber der Polizei spielt Wilfried M. indes den Unschuldigen und hat für sein Erscheinen an allen drei Tatorten absurde Ausreden parat ("wollte spazieren gehen"). Er kommt sofort in U-Haft.

Was den 55-Jährigen getrieben hat, hat sich der Strafkammer nicht erschlossen. Seit Mitte Juni ist gegen den schweigenden Angeklagten verhandelt worden, ein reiner Indizienprozess, an dessen Ende das Gericht keinen Zweifel an der Schuld von Wilfried M. hegt. "Vielleicht wollten Sie sich nur wichtig machen", mutmaßt Taeubner. Zumindest im rechtlichen Sinne psychisch krank sei er nicht - auch wenn der Gutachter "deutliche Auffälligkeiten" in seiner Persönlichkeit festgestellt habe.