Eine Glosse von Elisabeth Jessen

Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es. Wer Kinder hat, weiß, dass das so nicht stimmt. Was waren das noch selige Zeiten, als sich der Nachwuchs widerstandslos in Strampelanzüge packen ließ, als die Farben von Mützen und Handschuhen noch gleichgültig waren.

Doch schon im Kindergarten ging es los, dass manches Sweatshirt mehr geliebt war als andere. Zur Fußball-Weltmeisterschaft oder EM führten wir Dauerdiskussionen, ob ein Fußballtrikot Alltagskleidung ist oder ob es nur auf den Sportplatz gehört.

Heute weiß ich, dass das Kinkerlitzchen waren. Inzwischen ist das einzige Kriterium für Coolness, ob man sich mit den Klamotten in der Schule blicken lassen kann. Dunkelblau ist eine Unfarbe - jedenfalls wenn nicht mindestens ein greller Aufdruck das Kapuzenshirt ziert. Die Kleider des Bruders aufzutragen kommt nun so überhaupt gar nicht mehr infrage.

Dabei war das so praktisch und überaus preiswert. Aber inzwischen ist der kleine Bruder fast so groß wie der große, der Neukauf also unvermeidlich. Ein handfester Streit ebenso. Camouflage, schrille Muster in Neongelb sind für ihn cool, für mich indiskutabel. Irgendwo hört das Recht auf freie Entfaltung eines Zehnjährigen schließlich auf. Am Ende einigten wir uns auf Jeans und ein schrilles Muster in Rot-Hellblau-Dunkelblau sowie bunt gestreifte Langarmshirts. Das begehrte Shirt mit dem Konterfei Homer Simpsons blieb im Laden. Nur über sein Taschengeld, lautete mein Motto. Er kapitulierte. Ein Etappensieg. Aber mir ist klar: Die Zeit der Tattoos kommt noch.