Die islamische Welt wird gegen den Westen aufgehetzt - und braucht dringend Reformen

Der Aufruhr in der muslimischen Welt bietet in der Totalen, um einen Begriff aus der Welt des Films zu bemühen, ein trügerisch einheitliches Bild: Gleich in etlichen Ländern gehen Menschen auf die Straßen, um ihrer Wut über einen den Propheten Mohammed schmähenden Film im Besonderen und über eine gefühlte Islamfeindlichkeit des Westens im Allgemeinen Ausdruck zu verleihen.

Angesichts der Ermordung des amerikanischen Botschafters Christopher Stevens in Bengasi oder des Sturmes auf die deutsche Botschaft im Sudan wächst nicht nur im Westen die Angst vor einem nahöstlichen Flächenbrand mit unabsehbaren Folgen. In der Nahaufnahme jedoch wird deutlich, dass die politischen, sozialen, religiösen und psychologischen Hintergründe etwa im Iran völlig andere sind als in Ägypten, andere im Jemen als in Libyen. Die Wut ist diffus, speist sich aus unterschiedlichen Quellen und ist weitgehend irrational. Um zum Angriff auf die Botschaft der Bundesrepublik, die mit dem Hetzvideo aus den USA nichts zu tun hat, aufstacheln zu können, wurden einfach krude Anschuldigungen fabriziert.

Doch eines ist sicher: Es handelt sich derzeit nicht um einen veritablen Volkaufstand im Sinne des Arabischen Frühlings. Bislang sind es nur Minderheiten, die dort virulent sind, aufgehetzt von militanten Islamisten und Al-Qaida-Anhängern.

Die Islamisten hatten die Arabellion fast verschlafen und sind nun bemüht, die Wut der Menschen für ihre Zwecke einzuspannen. Jahrzehnte der Tyrannei, der Korruption und der Misswirtschaft haben zur Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten geführt. Islamistische Rattenfänger lasten die Schuld an der Misere dem Westen an. Nun trifft es wohl zu, dass vor allem die Amerikaner nicht immer glücklich agiert haben; die Skandale von Abu Ghraib und Guantánamo, die Kriege gegen die islamischen Staaten Irak und Afghanistan etwa haben die USA diskreditiert. Doch zugleich nährt Amerika Sehnsüchte nach einem besseren Leben, tragen die Menschen in der islamischen Welt amerikanische Kleidung und nutzen amerikanische Technik. Der technologische, soziale und wirtschaftliche Rückstand der islamischen Welt, die im Mittelalter noch führend war, geht aber nur zum Teil auf die drückende Dominanz des Westens zurück. Der größte Hemmschuh liegt in der fortschrittsfeindlichen Wagenburgmentalität reaktionärer Strömungen des Islam.

Europa konnte erst richtig aufblühen, nachdem Aufklärung und Reformation die eisernen Fesseln religiöser Dogmen gesprengt hatten. Derartige Reformen hat der Islam nie durchlaufen. Im Gegenteil: Starke Kräfte wie die Salafisten empfehlen als Heilslösung nun die radikale Rückwendung zu den strengen Lebensregeln des siebten Jahrhunderts - dem Zeitalter Mohammeds also. Doch gerade Reformen mit dem Abbau von Denkverboten sind unabdingbar, will die islamische Welt prosperieren. Wer Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit nie erlebt hat, muss annehmen, der Mohammed-Film sei zumindest mit staatlicher Duldung entstanden.

Al-Qaida und andere Terrorgruppen können nur im Chaos florieren; daher versuchen sie überall Hass zu säen, um jede Form der Konsolidierung und Aussöhnung zu verhindern.

Ob das Strohfeuer um den Hetzfilm tatsächlich zu einem Flächenbrand wird, hängt davon ab, ob es den gemäßigten Kräften gelingt, ihren Einfluss ausreichend geltend zu machen. Der größte Verlierer eines regionalen Großkonflikts wäre gewiss nicht der Westen. Es wären die Völker der Region selber. Die amerikanische Regierung weiß sehr genau, warum sie dem israelischen Regierungschef Netanjahu unbedingt einen Angriff auf iranische Atomanlagen ausreden muss. Kein anderes Ereignis würde die islamische Welt so geschlossen hinter militanten Islamisten vereinen.