Wie viele Spanier flüchten Sara Barragán und Ana Oliván vor der Wirtschaftskrise. Die beiden Frauen suchen Arbeit und Perspektive.

Hamburg. Sara Barragán sitzt in einem Café an der Elbe, als plötzlich die Sonne hinter den Wolken hervorkommt. Reflexartig schiebt die junge Spanierin ihren Oberkörper nach vorne, lässt ihr Gesicht vom Licht überfluten, schließt die Augen. Die Sonne, hohe Temperaturen - das vermisst die Frau aus Barcelona. Aber deswegen ist sie ja auch nicht hier, sondern "für mein Leben", wie sie sagt. Barragán würde das jetzt gern erklären, doch sie stockt. Immer wenn sie zu einem Satz in Deutsch ansetzt, holt sie tief Luft und seufzt leise.

Diese komplizierte Sprache, die sie seit gut einem Jahr lernt, geht ihr noch nicht leicht über die Lippen. Besonders, wenn die 33-Jährige mit den kurzen schwarzen Haaren und der sanften Stimme über diese großen Dinge sprechen soll: Hamburg, Spanien, die Krise. Und ihr Leben irgendwo dazwischen.

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Sara Barragán ist mit ihrer Freundin Ana Oliván Ende Juli nach Hamburg gekommen. Die beiden haben sich vor einem Jahr bei einem Deutschkursus in Barcelona kennengelernt. Jetzt leben sie in einer WG in Eppendorf, bewohnen zusammen ein Zwölf-Quadratmeter-Zimmer, schlafen in einem Doppelbett. Barragán ist angehende Erzieherin, hat gerade ein Praktikum in einer Eppendorfer Kita gemacht. Die Erzieherinnen waren sehr angetan von ihr. Oliván ist studierte Pianistin und lässt sich jetzt zur Zahnhygienikerin weiterbilden, eine Hamburger Praxis möchte sie gern anstellen.

Noch zögert die 34-Jährige, ob sie das Angebot annehmen soll. Hamburg ist für beide noch kein endgültiger Schritt, noch ist es ein Suchen nach neuen Perspektiven. Barragán sagt: "Ich möchte auf ein Leben im Ausland vorbereitet sein, wenn Spanien zugrunde geht. In Hamburg habe ich Zukunft." Sara Barragán und Ana Oliván gehören zu einer Generation junger Spanier, die ihrem Land nicht mehr vertrauen. Sie erzählen Geschichten von einer Gesellschaft, in der die Wirtschaftskrise wütet; von Freunden, die keine Arbeit mehr finden und täglich bei Facebook über die spanische Politik schimpfen; von Familien, die nur noch von der Rente der Großeltern leben; von Menschen, die auf der Straße handgreiflich werden. "Die Stimmung ist sehr aggressiv", sagt Sara Barragán.

Sie gehört noch zu den vermeintlich Glücklichen. Sie hatte noch Arbeit in Barcelona, schlug sich zuletzt mit mehreren Jobs durch: Schmuck entwerfen und verkaufen, Häkelkurse geben, nebenher für die Ausbildung zur Erzieherin büffeln. Sie arbeitete sieben Tage die Woche. Freizeit? Praktisch nie. Das Geld reichte trotzdem kaum zum Leben.

Und es gebe viele, denen es noch viel schlechter gehe, sagt sie. Diese Menschen landen dann, wenn sie es zu Hause nicht mehr aushalten, bei Carolina Martinez, die einmal die Woche für das Diakonische Werk Hamburg in einer Sprechstunde an der Königstraße in Altona Zugezogene aus Spanien berät. "Manche kommen direkt vom Hauptbahnhof, haben den Koffer noch in der Hand. Sie haben keine Arbeit, keine Wohnung und können kein Wort Deutsch", sagt die 31-Jährige.

Diese Menschen wissen nicht mehr weiter. Spanien hält den traurigen Weltrekord bei der Arbeitslosenquote: 25,4 Prozent. Bei den jungen Menschen bis 25 hat nicht mal mehr die Hälfte noch einen Job. Deshalb kommen immer mehr von ihnen. Nach Daten des Statistikamts Nord hat sich die Zahl der Spanier, die 2011 nach Hamburg gezogen sind, im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt - auf 829, mehr als die Hälfte von ihnen sind noch keine 30 Jahre alt.

Und allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres sind weitere 318 hinzugekommen. Zum Vergleich: 2008, im Jahr vor dem Einsetzen der spanischen Wirtschaftskrise, zogen insgesamt nur 285 Spanier in die Hansestadt. Meistens rettet sie hier fürs erste ihr persönliches Netzwerk. Auch Sara Barragán und Ana Oliván haben zunächst bei anderen Spaniern gewohnt. Doch wer dann keinen Job findet, landet schnell auf der Straße und wird zum Fall für das Fachamt für Wohnungsnot, weiß Migrationsberaterin Martinez.

Dennoch rollt die Wanderungswelle weiter. Auch im Hamburg Welcome Center, der Beratungsstelle der Stadt für Zugezogene, spürt man sie. "Es ist eine wachsende Nachfrage von Menschen mit spanischer Nationalität erkennbar", berichtet Nicole Serocka, Sprecherin der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Die Spanier fragten vor allem Sprachkurse und Sprachförderangebote nach. "Viele von ihnen haben jedoch keine 100 oder 150 Euro für einen Sprachkursus", sagt die Migrationsberaterin. Für eine Zukunft in Hamburg nehmen junge Spanier viel auf sich. Auch den Kulturschock, der sie hier erwartet. Oliván erzählt, sie habe in der ersten Nacht in Hamburg kein Auge zugemacht: "Keine schreienden Nachbarn, kein Lärm auf der Straße. Es war so leise!"

Auch die kühle norddeutsche Art macht den jungen Frauen aus Barcelona zu schaffen: Die Leute hier hätten auf sie zunächst sehr kalt gewirkt, erzählt Barragán. Dann aber habe sie erkannt: "Hamburger sind wie Zwiebeln, die man schälen muss." Inzwischen lieben die beiden vieles an Hamburg. Die Menschen hörten einander zu, der Alltag sei viel entspannter, die Straßen viel sauberer.

Die 16 Kinder in der Eppendorfer Kita haben Sara Barragán auch schon ins Herz geschlossen. Nach wenigen Tagen begrüßten sie die junge Spanierin überschwänglich. "Das war so toll!", sagt Barragán und strahlt. Und wenn es um Kindererziehung geht, dann funktioniert es inzwischen sogar mit dem sperrigen Deutsch: "Komm zu mir! Schuhe aus! Finger weg! Aufpassen! Jetzt sofort!" Diese Vokabeln bringt die Spanierin mit der sonst so leisen Stimmen inzwischen im Kommando-Ton hervor.

Vielleicht können Sara Barragán und Ana Oliván sich ja doch mit dieser schroffen Stadt anfreunden. Auf den Sommer verzichten, um eine Zukunft zu haben? Gut möglich, sagen beide.