Eine Niederlage am Sonntag in Frankfurt würde die mit Rafael van der Vaart verbundene Aufbruchstimmung abrupt beenden

"Der HSV tanzt auf der Rasierklinge." Ist in diesen Tagen von vielen Fans des Klubs zu hören. Weil der "Dino" der Bundesliga mit Millionen, die er gar nicht hat, nur so um sich geworfen hat. Risiko. Für neue Spieler hat sich der Verein stark verschuldet. Aufsichtsrats-Boss Alexander Otto sagt dazu: "Um in die Zukunft zu investieren, kann es erforderlich sein, kalkulierte Risiken einzugehen. Die Verschuldung ist vertretbar." Der Vorstandsvorsitzende jedoch des nächsten HSV-Gegners Eintracht Frankfurt, Heribert Bruchhagen, spricht von "Wettbewerbsverzerrung". Weil sich der HSV von Gönner, Sponsor oder Mäzen Klaus-Michael Kühne seine Spieler kaufen lässt.

Im Gegensatz dazu mehren sich im HSV die Stimmen, die völlig unaufgeregt befinden: "Wir stehen zwar tief in den roten Zahlen, aber was soll schon passieren? Der HSV weiß mit Otto und Kühne zwei der reichsten Männer Deutschlands und Europas an seiner Seite - alles ist gut."

"Geld schießt keine Tore." So hieß früher eine Fußballweisheit. Ein Spruch, dessen Haltbarkeitsdatum schon lange abgelaufen ist. Selbst im Amateurbereich sind Sponsoren und Mäzene schon seit Jahr und Tag gang und gäbe, Einwände wurden stets schon im Keime erstickt. Geldgeber kommen und gehen, sie pushen einen Verein - so lange, bis das Geld knapp wird. Letzterer Umstand allerdings dürfte bei einem Milliardär wie Kühne durchaus etwas länger dauern ...

Der HSV 2012 jedoch hat nicht nur Sorgen finanzieller Art. Am Sonntag steht der Klub sportlich wieder einmal und recht früh in der Saison am Scheideweg.

Wenn die Rieseneuphorie, die seit 14 Tagen in der Stadt um Zugang Rafael van der Vaart herrscht, in einer Niederlage in Frankfurt enden würde, dann stünde der HSV nicht nur weiterhin ohne einen Punkt im Abstiegskeller. Zugleich hätte dann innerhalb von nur 90 Minuten die so herbstlich-schöne Hamburger Aufbruchstimmung ein brutales Ende gefunden.

Selten war deshalb ein Erfolgserlebnis des sieglosen HSV so nötig wie an diesem Wochenende. Der HSV tanzt nicht nur finanziell auf der Rasierklinge. "Jetzt kann keiner mehr sagen, dass wir nicht die Qualität hätten, dieses Spiel in Frankfurt gewinnen zu können."

Zu dieser Aussage hatte sich Trainer Thorsten Fink in diesen Tagen hinreißen lassen - und genau das ist das Thema. Es gibt jetzt keine Ausreden mehr. Weder für die Mannschaft noch für die Klubführung, auch nicht für den Coach. Es wurde alles und viel mehr für den Klassenerhalt des HSV getan. Fink setzt mit seinem Qualitätsspruch nicht nur die Spieler unter Druck, sondern auch sich selbst. Ganz gehörig sogar.

Deswegen sollte an diesem Sonntag in Frankfurt ganz dringend "etwas" geholt werden. Am besten mit einem überragenden Rafael van der Vaart, mit einer fehlerlosen Abwehr, einem kämpferisch wie spielerisch überzeugenden Mittelfeld und einem Sturm, der den Gegner durch permanentes Toreschießen durcheinanderwirbelt und demoralisiert.

Denn schlecht war doch bislang, dass der HSV zuletzt in jedem seiner Mannschaftsteile fast alles schuldig geblieben ist. Gut daran ist aber, dass dieser runderneuerte HSV dank der in letzter Minute gehobenen Qualität nun zum Siegen verdammt ist. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Die HSV-Kolumne "Matz ab" finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab