Mieterverein: Verdoppelung der Prozesse. Verein sagt Eigentümer tricksen bei Kündigung, weil sie leere Wohnungen teurer verkaufen wollen.

Hamburg. Rund 80.000 Euro Schadenersatz - das klingt auf den ersten Blick ziemlich gut. Ein Mandant von Rechtsanwalt Helmut Voigtland hat diese Summe von seinem früheren Vermieter erhalten. Der Eigentümer hatte seinen Mieter mithilfe einer Eigenbedarfsklage aus der Wohnung in Harvestehude vertrieben, war dann aber selbst nicht eingezogen. Vielmehr verkaufte er die nun leere Wohnung mit einem Gewinn von 300.000 Euro.

Wenn jemand zwangsweise aus seiner Wohnung wegziehen müsse, dann sei das oft bitter, sagt Voigtland. "Leben Sie 20 oder 30 Jahre in einer Wohnung, dann geben Sie mit einem erzwungenen Auszug auch ein Stück dieses Lebens auf." An diesem Befund ändere auch nichts die Tatsache, dass die meisten Auseinandersetzungen über Eigenbedarf mit einem Vergleich endeten. "Für die meisten Mieter ist der Fall mit ihrem Auszug abgeschlossen, und sie schauen nicht zurück", sagt Voigtland. Darauf setzte auch der Vermieter seines Mandanten. Doch dieser ließ nicht locker. Nachdem die Wohnung über ein Jahr leer stand, verklagte er seinen ehemaligen Vermieter auf Schadenersatz. "Er muss die Kosten für den Umzug und die Differenz zur höheren Miete in der neuen Wohnung über fünf Jahre bezahlen", sagt Voigtland.

Allerdings hält der Anwalt dies für "viel zu wenig". So blieb dem Vermieter auch bei fast 80.000 Euro Schadenersatz noch reichlich Geld von seinem Gewinn übrig. Eigentlich müsste der Staat auch den unrechtmäßig erworbenen Gewinn abschöpfen, sagt Voigtland.

+++ Was Vermieter dürfen und was nicht - so urteilen die Gerichte +++

+++ Wenn der Vermieter Eigenbedarf anmeldet +++

+++ Schon 5400 Hamburger sind ohne Wohnung +++

Der Mieterverein zu Hamburg beobachtet unterdessen nach den Worten seines stellvertretenden Vorsitzenden Siegmund Chychla "einen deutlichen Anstieg" von Rechtsstreitigkeiten, in denen es um Eigenbedarf gehe. "Immer wenn der Markt enger wird, halten Vermieter den Zeitpunkt für gekommen, Wohnungen zu verkaufen." Es habe in den vergangenen beiden Jahren nicht nur bei den Mieten deutliche Steigerungen gegeben. "Auch auf dem Immobilienmarkt sind die Preise explodiert."

Genaue Zahlen kann Chychla, der Leiter der Rechtsabteilung beim Mieterverein ist, zwar nicht nennen. "Ich schätze aber, dass sich die Zahl der Eigenbedarfsprozesse in den letzten Jahren verdoppelt hat." Für Mieter ist die Lage oft schwierig, zumal der Bundesgerichtshof zuletzt die Rechte der Vermieter eher gestärkt hat. "Wenn ein Mieter mehr als zehn Jahre in der Wohnung lebt, liegt die Kündigungsfrist bei zwölf Monaten", sagt Chychla.

Der Mieterverein geht davon aus, dass mancher Vermieter "einfach trickst". Da würden "Kinder mobilisiert", und es werde erklärt, die Tochter wolle unbedingt in die Wohnung ziehen, sagt Chychla. "Am Ende steht die Wohnung dann ein, zwei Jahre leer und wird anschließend teuer verkauft." Um bis zu 30 Prozent höher sei der Preis für eine unbewohnte Wohnung, sagt der Mietervereinsvize. Rechtsanwalt Voigtland kann die Schätzung von Chychla zwar nicht bestätigen. Aber auch er geht von einer "hohen Dunkelziffer bei den Tricksereien" aus.

Heinrich Stüven, Vorsitzender des Grundeigentümerverbands in Hamburg, glaubt dagegen nicht, dass Vermieter vermehrt mit Tricksereien Mieter aus den Wohnungen vertreiben, um die Immobilie dann teuer zu verkaufen. "Immerhin drohen dem Vermieter erhebliche rechtliche Konsequenzen", sagt Stüven. Allerdings sagt auch Stüven, dass die rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Vermieter und Mieter im Zusammenhang mit Eigenbedarf gestiegen sind. "Meist geht es aber darum, dass Menschen, die eine Immobilie gekauft haben, dann dort auch einziehen wollen." Im Großen und Ganzen - darüber sind Mieterverein und Grundeigentümer sich einig - gehen Mieter und Vermieter in Hamburg aber pfleglich miteinander um. "Ich gehe davon aus, dass 95 Prozent der Vertragsverhältnisse zwischen Vermieter und Mieter ohne Streit geregelt werden", sagt Stüven. Er führt das darauf zurück, dass der Bundesgerichtshof zuletzt auch in kleineren Fragen geurteilt habe. "Dadurch ist ein gewisses Maß an Rechtssicherheit entstanden."

Chychla sieht das ähnlich. "Seit der Mietrechtsänderung im Jahr 2001 ist die Zahl der Streitigkeiten zwischen Mietern und Vermietern zurückgegangen." Im vergangenen Jahr habe der Mieterverein im Auftrag seiner Mitglieder rund 650 gerichtliche Auseinandersetzungen geführt. "Im Jahr 1997 zählten wir genauso viele Rechtstreitigkeiten. Damals aber hatten wir 12.000 Mitglieder weniger." Derzeit gehören dem Mieterverein zu Hamburg nach eigenen Angaben 62 000 Haushalte in der Hansestadt an. Auch wenn Chychla stolz auf die 560 gewonnenen Auseinandersetzungen verweist, ist er doch froh, dass die meisten Streitigkeiten gar nicht erst vor Gericht landen. "Zwischen 98 und 99 Prozent der Fälle werden einvernehmlich gelöst." Darin sehen sowohl Chychla als auch Stüven eine wichtige Aufgabe ihrer beiden Organisationen.