Die evangelische Kirche kommt bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle voran

Die Sünden von gestern verfolgen die Kirche. Jetzt ermittelt der Staatsanwalt gegen die frühere Hamburger Bischöfin Maria Jepsen und ihren ehemaligen Lübecker Amtskollegen Ludwig Kohlwage. Der Verdacht: Sie sollen schon vor Jahren gewusst haben, dass ein früherer Pastor aus Ahrensburg Jugendliche missbraucht hat - und haben geschwiegen. Im Juristendeutsch heißt das Strafvereitelung. Es bedeutet: Hier wurde möglicherweise verhindert, dass eine kriminelle Tat aufgeklärt und der Täter bestraft wird. Noch ist es ein Verdacht. Aber die bisher bekannten Fakten sind erschreckend genug. Schließlich ist die Bischöfin genau wegen dieses Vorwurfs im Juli 2010 zurückgetreten.

Warum kommt unser Rechtsstaat erst jetzt in Bewegung? Wer will das unverständlich lange Zögern den Opfern plausibel erklären? Zumal erst eine Anzeige aus dem Umfeld der Opfer den Staatsanwalt überhaupt hat ermitteln lassen. Dabei sind die Details bekannt. Sogar das Thema Schuld im Zusammenhang mit den traurigen Ereignissen in Ahrensburg wurde breit angesprochen. Im kommenden Dezember ist es immerhin zwei Jahre her, dass der beschuldigte Pastor öffentlich eingestand: "Ich bin schuldig geworden" und: "Ich habe Leid zugefügt." Er habe Jugendliche und jugendliche Erwachsene "zu Opfern meiner sexuellen Übergriffe gemacht". Vorwürfe gegen ihn gab es seit Ende der 70er-Jahre. Mindestens seit 1999 wusste die Kirchenleitung davon. Die völlig unverständliche, viel zu milde Reaktion damals: Der Pastor wurde versetzt und kam in der Gefängnisseelsorge erneut mit Jugendlichen zusammen. Zu dieser Zeit waren viele Taten noch nicht verjährt. Inzwischen schon. So hat die Zeit eine Bestrafung verhindert. Aber die Wunden sind noch lange nicht verheilt.

Aber die Zeit kirchlicher Schweigespiralen ist vorbei. Jepsens Nachfolgerin Kirsten Fehrs hat das unselige Erbe ihrer Amtsvorgängerin mutig angenommen und einen mühevollen Prozess der Versöhnung begonnen, inklusive zahlreicher persönlicher Gespräche mit den Opfern. Das ist der wichtigste Weg, Buße zu tun: die schmerzvolle Begegnung mit denen, die immer noch leiden.

Die Ära der Vertuschung ist vorbei. Das zeigt auch die Berufung unabhängiger Experten, die im Auftrag der Nordkirche die Missbrauchsfälle dokumentieren sollen, ebenso die Auswirkungen auf die Gemeinde. Auch eine, wie in der katholischen Kirche ebenfalls praktizierte, finanzielle Entschädigung der Opfer soll kommen. Und es ist richtig, dass die Kommissionsmitglieder nicht aus den Reihen der Kirche stammen. Streiten kann man allerdings über die Begründung der Bischöfin Fehrs, als "traumatisierte Institution" könne die Kirche selbst die Aufarbeitung nicht leisten.

Traumatisiert sind die Opfer, nicht jene, die die Täter noch deckten. Jahrzehntelang hatten die Kirchenoberen - ob evangelisch oder katholisch - nur ein Ziel fest im Blick: die eigene Kirche vor dem Skandal zu bewahren. Dass dies auf Kosten der Opfer geschah, haben sie leider zu spät erkannt. Völlig fehlgeleitet war auch die Nächstenliebe, mit der auf Bischofsebene die Täter behandelt wurden: Sie wurden oft nur versetzt, auch an Dienstorte, an denen sie wieder mit Jugendlichen zusammentrafen.

Ein weiteres Problem bleibt aber noch: Wie kann die Kirche in Zukunft ähnlich Schlimmes verhindern? Zum Beispiel, dass sie in ihren Reihen die einschlägig Vorbestraften ausfindig macht. Deshalb hatte das Bistum Speyer vor einem Jahr 1000 Mitarbeiter aufgefordert, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, in dem auch Vorstrafen wegen Sexualtaten oder Verstöße gegen die Fürsorgepflicht vermerkt sind. Vier Bistumsbeschäftigte sind dem nicht nachgekommen. Ihnen drohen Abmahnung und Gehaltskürzung. Die Kirchen sind auf dem richtigen Weg.