... und die Natur die Zeugemutter. Der Kampf um das Deutsche ist älter als der Kampf gegen die Anglizismen

Als Gott die Menschen erschaffen hatte, verstanden sie sich untereinander. Alle sprachen dieselbe Sprache. Jedenfalls berichtet die Bibel nichts Gegenteiliges. Erst als sie in Babylon dabei waren, voller Übermut einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel reichen sollte, wurde der Herr zornig und verwirrte ihre Zungen. Sie verstanden sich nicht mehr. Jeder sprach eine andere Sprache.

Deutsch steht zurzeit an zehnter Stelle in der Rangliste der Muttersprachen vor dem Französischen. Noch. Denn während die Franzosen ihre Sprache per Gesetz schützen, verunstalten wir im Zeitalter der Werbetexter, iPhone-Nutzer und SMS-Stotterer unser Deutsch freiwillig so lange und so gründlich, bis weder Deutsche noch Engländer es verstehen.

Wir schlagen nicht mehr nach, wir suchen nicht mehr im Lexikon, und wir schreiben keine Briefe mehr. Heutzutage wird gegoogelt, gesurft und gesimst. Selbst die Buchstaben geraten in Gefahr, durch Emoticons und Smileys ersetzt zu werden. Doch nicht um den was weiß ich wievielten Artikel wider das Denglische geht es heute. Das wäre Kärrnerarbeit und gemahnte an Sisyphus. Wir wollen weiter zurückgreifen.

Seit den Meistersingern von Nürnberg bemühten sich immer wieder gebildete Leute, die deutsche Sprache durch Spracharbeit, Sprachreinigung oder Sprachpflege zu kultivieren. Damals ging es noch nicht gegen das Englische. Friedrich der Große sprach mit Voltaire und sogar mit seinen Hunden französisch. Bis zum Ersten Weltkrieg waren in Hamburg Gallizismen, aus dem Französischen stammende Ausdrücke, gang und gäbe. In der täglichen Umgangssprache breiter Schichten wurden Begriffe wie Trottoir (Bürgersteig), Billett (Fahrkarte), Coupé (Abteil), Kondukteur (Schaffner) oder Perrong (Bahnsteig) wie selbstverständlich gebraucht. Im Zuge der Propaganda gegen den Kriegsgegner Frankreich begann 1914 die große Welle der Eindeutschungen.

Bereits im 17. Jahrhundert hatten sich viele Gelehrte und fast alle bedeutenden Dichter jener Zeit zu Sprachgesellschaften zusammengeschlossen, um in kulturreformerischer Absicht der deutschen Sprache einen gleichberechtigten Rang neben dem Französischen und den akademischen Sprachen zu verschaffen. In Hamburg stiftete Philipp von Zesen (1619-1689) im Jahre 1643 die Teutschgesinnete Genossenschaft mit 207 Mitgliedern. Pastor Johann Rist (1607-1667) aus Ottensen gründete 1658 in der Hansestadt den Elbschwanenorden .

Zesen fand für viele Fremdwörter Eindeutschungen, die uns heute selbstverständlich erscheinen, z. B. Angelpunkt (Pol), Augenblick (Moment), Ausflug (Exkursion), Bücherei (Bibliothek), Emporkömmling (Parvenü), Entwurf (Projekt), Farbgebung (Kolorit), Gesichtskreis (Horizont), Glaubensbekenntnis (Credo), Gotteshaus (Tempel), Grundstein (Fundament), Kreislauf (Zirkulation), Leidenschaft (Passion), Mundart (Dialekt), Nachruf (Nekrolog), Rechtschreibung (Orthografie), Sinngedicht (Epigramm), Sterblichkeit (Mortalität), Wahlspruch (Devise), Weltall (Universum) oder Zerrbild (Karikatur). Bei der Sprachreinigung schossen die Reformer jedoch teilweise über das Ziel hinaus, wenn sie versuchten, die Mumie in Dörrleiche , den Anatom in Entgliederer , das Kloster in Jungfernzwinger , den Botaniker in Krautbeschreiber , die Pistole in Meuchelpuffer , die Pyramide in Spitzgebäude , das Fenster in Tageleuchter , den Harem in Weiberhof und - allumgreifend - die Natur in Zeugemutter umzubenennen.

Seine gelehrten, aber volksfernen Gegner unterschoben Philipp von Zesen, um ihn lächerlich zu machen, auch den Gesichtserker für die Nase, der aber gar nicht von ihm stammte.

Noch weiter ins Volkstümliche ging Michael Richey (1678-1761), ein Professor am Hamburger Akademischen Gymnasium, der sogar den heimischen Dialekt im Idioticon Hamburgense erfasste. Er ist damit der Vater aller Mundartwörterbücher unserer Stadt ( Idioticon von idiotisch für gewöhnlich, ungebildet). Schon damals schien das Hamburgische auf ähnlich große Resonanz gestoßen zu sein wie heute im Abendblatt. Während die 1. Auflage 1743 des Wörterbuchs nur 47 Seiten umfasste, war die 2. Auflage 1755 bereits auf 374 Seiten angewachsen.

Der Verfasser, 71, ist "Hamburgisch"-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags