Die Elbphilharmonie als Lachnummer? Der Intendant macht sich damit angreifbar

Woran erkennt man in Hamburg, dass der Herbst naht und die Klassik-Konzertsaison beginnt? Am zerknirschten Herumgedruckse und Gegrantel von Intendant Christoph Lieben-Seutter, dass er doch auch keine Ahnung habe, wann seine Elbphilharmonie eröffnet werde. Mal wieder nicht. Immer noch nicht. Niemand hat die. Ansonsten sei natürlich alles auf dem besten aller denkbaren Wege, und überhaupt werde dann alles wunderbar. In dieser Saison jedoch hat Lieben-Seutter sich mit seiner Fatalismus-Ansage selbst übertroffen: "Jetzt ist die Elbphilharmonie sowieso einmal als Lachnummer um die Welt gegangen", kommentierte er das Hauen und Stechen um die Prestigebaustelle, auf der, international bestens sichtbar, seit Monaten so gut wie nicht mehr gebaut wird.

Auch nach mittlerweile fünf Dienstjahren an der Elbe hat Lieben-Seutter seine womöglich genetisch bedingte Wiener Selbstironie nicht im Griff. Wenn es Hanseaten vor den Augen des Rests der Welt derart an die Ehre geht, verstehen sie solche bissigen Späßchen nur sehr bedingt. Ein Intendant, der in diesem Zusammenhang öffentlich verkündet, dass er das Planen für seinen Spielplan eingestellt hat, macht sich angreifbar. Schlimmstenfalls macht er sich überflüssig.

Das Lachen über die Zustände ist uns allen eh schon längst vergangen. Zu viele Dilettanten haben dem Jahrhundert-Kulturprojekt Elbphilharmonie das Image versaut - einige, aber zu wenige sind dafür zur Verantwortung gezogen worden. Mit seiner Einschätzung, die Elbphilharmonie sei eine weltweite Lachnummer, trifft ihr Eröffnungshoffnungsintendant tragischerweise ins Schwarze. Anfang dieses Jahres erst hatte Lieben-Seutter seine letzte verunglückte Pointe vom Stapel gelassen: Es sei für das Projekt als Ganzes völlig egal, ob die Eröffnung 2013, 2014 oder 2015 stattfinde. Auch eine Einstellung für dessen Chef.

In der global vernetzten Klassikbranche, in der ab einem gewissen Niveau jeder jeden kennt (ohne ihn deswegen von Herzen mögen zu müssen), ist der Ex-Wiener, der unter solchen Umständen arbeiten muss und will, längst zum Sorgenkind geworden. Mittlerweile gibt es schon Solidaritätsbekundungen wie das Gastspiel vom Lucerne Festival Orchestra, mit dem Lieben-Seutter die Reihe seiner selbst entworfenen Konzerte beginnt, notgedrungen in der Laeiszhalle und nicht oberhalb vom Kaispeicher A. Michael Haefliger, der Kollege aus Luzern, wo es ein bestens funktionierendes Haus gibt, schickt Claudio Abbado und seine Top-Musiker als großorchestrales CARE-Paket, damit der schier endlose Anlauf zur Eröffnung etwas weniger unglamourös erscheinen möge.

Kann sich noch jemand daran erinnern, dass wohlhabende Bürger dieser Stadt ein- und sogar zweistellige Millionenbeträge spendeten, um die Kultur dieser Stadt dadurch voranzubringen? Mittlerweile hört man nichts mehr von solchen großzügigen Gaben und wäre schon überrascht und froh über Meldungen aus dem bescheideneren fünfstelligen Bereich.

Aber aus der beflügelnden Euphorie der Anfangsjahre ist, so scheint es fast, eine Bruchlandung geworden, ein Trauerspiel mit dem Untertitel "Augen zu und durch, koste es, was es müsse". Über die Aktenberge aus Klagen und Gegenklagen der Bau-Streithähne können sich noch Generationen von Jurastudenten hermachen.

Die Durststrecke überwinden, das Elend aussitzen - ganz egal, wie man es auch nennt: Christoph Lieben-Seutter, Hausherr ohne schönes neues, vor allem aber fertiges Haus, ist in einem Tunnel gefangen, dessen erhellendes Ende noch lange nicht in Sicht ist. Die Elbphilharmonie ist und bleibt der ideale Sündenbock für alle Kürzungen, mit denen die Hamburger Kultur in den nächsten Jahren womöglich klarkommen muss.

Fast könnte man Mitleid haben mit ihrem gefrusteten Intendanten. Aber eben nur fast.