Als im August 2002 in Sachsen Bäche und Flüsse über die Ufer traten, starteten Medien die Aktion “Hamburg hilft den Flutopfern“.

Es gibt wohl kaum einen zauberhafteren Ort in Dresden. Besonders in diesen Sommertagen nicht. Wer sich auf der Terrasse des Pflegeheims "Maille-Bahn" niederlässt, wird mit einem schönen Blick auf die träge fließende Elbe belohnt. 80 Meter sind es bis zum Ufer. Der Weg dahin führt durch eine saftig-grüne Wiese. Die Gräser reichen bis zum Bauchnabel. Der Elbedampfer "Leipzig" fährt gemächlich vorüber.

Doch die Friedlichkeit der Elbe trügt. Der Strom kann auch anders. Wie im August vor zehn Jahren. Tagelang regnet es im Erzgebirge. Die Waldböden saugen sich wie ein Schwamm voll. Doch es regnet weiter und für zusätzliches Wasser gibt es keinen Halt mehr.

+++ Jahrhunderthochwasser +++

Die Elbe hat zu diesem Zeitpunkt längst neue Hochwasserrekorde erreicht und das ein paar Hundert Meter flussaufwärts gelegene, charmante Schloss Pillnitz überflutet. Bis der Strom sich die Terrasse des Altenpflegeheims einverleibt, fehlen nur noch Zentimeter. In der Nacht zum 17. August 2002 überspülen die Fluten erst die Terrasse, dann den Garten und die drei Wohngebäude, die erst eineinhalb Jahre zuvor bezogen worden waren.

"Aus 4000 Sandsäcken hatten wir eine Barriere um die Gebäude errichtet", erzählt der Leiter des Alternheims, Werner Menzel. Vorsorglich wird das Heim mit den 72 Bewohnern evakuiert. Dann kommt das Wasser schneller als gedacht. Die letzten Bewohner werden mit einem Hubschrauber ausgeflogen. "Lüftung, Licht, Fahrstühle - nichts ging mehr", erzählt Menzel. "Hier im Hof stand das Wasser am Ende gut 90 Zentimeter hoch."

Als die Elbe sich zurückzieht, wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Mit Eimern habe der Schlamm aus tiefer gelegenen Geschossen herausgebracht werden müssen, erzählt Menzel. "Wir mussten Fliesen und Putz abhacken." Die im Keller untergebrachte Küche stand tagelang unter Wasser. "Wir mussten sie leer pumpen."

Fast sieben Monate dauern die Sanierungsarbeiten. Das Geld kommt zum großen Teil von Hamburgerinnen und Hamburgern. 400 000 Euro fließen so in den Wiederaufbau. "Ich denke noch heute, dass so eine Hilfsbereitschaft nicht alltäglich ist", sagt Menzel. "Vielleicht war es gerade diese Hilfe, die uns damals hat weitermachen lassen."

Dass es diese Hilfe gibt, hat mit einer Aktion zu tun, die in Hamburg bislang ihresgleichen sucht. Während in Sachsen Landstriche in den Fluten versinken, entsteht unter Hamburger Chefredakteuren die Idee einer gemeinsamen Hilfsaktion. Peter Kruse, damals Herausgeber des Hamburger Abendblatts, schreibt in seinen Erinnerungen "Mein Deutschland": "An einem Abend dieser beginnenden Notzeit meldet sich bei mir der Geschäftsführer der Hilfsorganisation 'Arbeiter-Samariter-Bund (ASB)', Knut Fleckenstein: 'Meine Kollegen in Dresden fürchten das Schlimmste, was der Stadt seit Kriegsende geschehen wird. Was halten Sie davon, wenn das Hamburger Abendblatt und alle anderen Medien in dieser Stadt die Hamburger zu Spenden für die Dresdner aufrufen?' Schon am darauffolgenden Tag erscheint der Appell: 'Hamburg hilft den Flutopfern'." Das Ziel der Aktion: den Opfern der Flut rasch und unbürokratisch mit Geld zu helfen. "Bei einem ersten Treffen haben wir geschätzt, in welcher Höhe wir Spenden bekommen könnten", erinnert sich Fleckenstein. "Unsere Schätzungen reichten von 2,5 Millionen bis drei Millionen Euro."

Doch es sollte anders kommen. In nur zwei Wochen spenden die Hamburger erstaunliche rund 13 Millionen Euro. "Eine unfassbar hohe Summe", erzählt Fleckenstein, der heute als Europaabgeordneter der SPD in Brüssel arbeitet. Den Verantwortlichen ist klar: Sie müssen mit dieser Summe sehr sorgsam umgehen. Fleckenstein reist mit Peter Kruse und dem Journalisten Joachim Weretka fast 15-mal nach Sachsen und Tschechien.

"Wir hatten uns darauf geeinigt, bei jeder Zahlung gleich vorzugehen", sagt Fleckenstein. Zunächst habe man Kontakt mit vertrauenswürdigen Menschen vor Ort gesucht. "Das waren Bürgermeister, Pastoren oder Spendenbeiräte. Es ging uns um moralisch integre Menschen, die wirklich Kenntnis der Situation hatten." Diese bezifferten die Höhe des Schadens und schrieben die Adresse der Hilfsbedürftigen auf. Das Team um Fleckenstein machte sich dann vor Ort selbst ein Bild und entschied sofort über die Höhe der Hilfe.

So kommt die Hilfstroika auch nach Tharandt. Die sächsische Kleinstadt liegt im Tal der Wilden Weißeritz. Sanierte Häuser drängen sich an der Durchfahrtsstraße oder schmiegen sich an die bewaldeten Hänge. Die Wilde Weißeritz gurgelt an diesem heißen Augusttag 2012 vor sich hin, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

Aber am 12. August 2002 lässt sie dem beschaulichen Städtchen keine Chance. Die in den Bergen gelegene Talsperre ist voll. Es wächst die Angst, die Staumauer könnte brechen. "Ich war mit einem Freund oben am Damm, der vibrierte richtig", erinnert sich Ivo Ruscher, Vorsitzender des Vereins Jugendklub Tharandt. Um den Druck auf die Staumauer zu verringern, werden wenig später die Schleusen geöffnet. Wie freigelassene wilde Tiere jagen die Wassermassen ins Tal. Aus dem unscheinbaren Flüsschen ist ein Monster geworden, das nichts mehr aufhält.

"Die Weißeritz raste quer durch unseren Jugendklub und nahm mit, was nicht niet- und nagelfest war", erinnert sich Daniel Ulbricht, Vizechef des Vereins. Für den Kuppelsaal des ehemaligen Kurbades, die Heimstatt des Jugendklubs, scheint das Ende gekommen. Das Wasser erobert jeden Raum und steigt bis zu den Fenstern. Für den Jugendklub, der mit ohnehin kargen öffentlichen Mitteln streng haushalten muss, ist die Zukunft ungewiss. "Keiner konnte sich vorstellen, woher Geld für die Sanierung kommen sollte", sagt Bettina Weber, die noch immer hier arbeitet. "Wir standen alle unter Schock."

Umso größer ist das Wunder, als das Team um Fleckenstein in Tharandt auftaucht. "Wir hatten in Dresden von der erfolgreichen Arbeit für die Jugendlichen gehört", berichtet er. Als sein Team die schlimme Zerstörung sieht, dauert die Beratung nur kurz. Fleckenstein übergibt den Klubverantwortlichen einen Scheck über 100 000 Euro.

Die können ihr Glück nicht fassen. "Wir haben uns erst mal gekniffen und hatten Angst, aus einem Traum aufzuwachen", erinnert sich Ulbricht. Die Spende aus Hamburg wird zur Initialzündung, nicht nur zu reparieren, sondern das Gebäude von Grund auf instand zu setzen. Gut ein halbes Jahr später habe man das Klubhaus wieder eröffnet, erzählt Bettina Weber. Die Botschaft lautete: "Uns gibt es noch." Heute ist das ehemalige Kurbad ein Mehrgenerationenhaus. Neben Veranstaltungen für Jugendliche gibt es Angebote für Kinder und Senioren.

Die finanzielle Hilfe aus Hamburg entfaltet in den Tagen so kurz nach der Flut ihre hohe Wirksamkeit nicht nur, weil das Geld an sich benötigt wird. Hinzu kommt die Schnelligkeit, mit der ausgezahlt wird. "Üblicherweise wird abgewartet, was an staatlicher Hilfe kommt, bevor private Spenden ausgezahlt werden", erzählt Fleckenstein. "In unserem Fall wurde der Verrechnungsscheck unmittelbar übergeben."

Anfangs wurde Privatpersonen geholfen, "deren Keller vollgelaufen oder deren Wohnungen in der ersten Etage zerstört waren". Da sei es um die Waschmaschine, den Kühlschrank oder die Sanierung des Fußbodens gegangen. "Ich habe Verrechnungsschecks von 800 bis mehrere Tausend Euro ausgestellt", erzählt Fleckenstein. Nachdem klar wird, dass statt der erwarteten drei Millionen fast 13 Millionen Euro gespendet wurden, wird die Hilfe auf Institutionen ausgeweitet. "Wir bezogen Kindertagesstätten, Jugendklubs und Altenheime in unsere Hilfe ein."

Und die Schwimmhalle in Eilenburg. Wer sich dem kleinen, gut 20 Kilometer nordöstlich von Leipzig gelegenen Städtchen auf der Landstraße von Taucha aus nähert, mag sich nicht vorstellen können, dass hier ein Hochwasser biblischen Ausmaßes wüten könnte. Die abgeernteten Felder lassen einen weiten Blick über die flache Landschaft zu. Die Mulde führt in diesem Sommer in Eilenburg so wenig Wasser, dass man mit hochgekrempelten Hosen von einem Ufer ans andere gelangen könnte.

"Es sind immer die kleinen Flüsse, die bei Hochwasser die größten Schäden verursachen", sagt Hubertus Wacker. Während bei Elbe oder Rhein der Pegelstand langsam steige, geschehe das bei Bergbächen sprunghaft. "Innerhalb von zwei Stunden kann das Wasser durchrauschen, und der Pegel steigt schlagartig um drei, vier Meter." Für die Anwohner bleibt da kaum Zeit, Hab und Gut in Sicherheit zu bringen.

Hubertus Wacker ist seit 1994 Oberbürgermeister von Eilenburg. In seinem getäfelten Rathausbüro ist es angenehm kühl, während die Marktstände draußen wegen der Sommerhitze kaum Besucher haben. Kein Vergleich mit der Situation am 13. August vor zehn Jahren. "Der Pegelstand der Mulde stieg und stieg und stieg", sagt Wacker. "Es war einfach zu viel Wasser. Die Innenstadt wurde komplett überflutet." Am Markt messen die Verantwortlichen einen Wasserstand von einem Meter; in einigen Wohngebieten sind es sogar drei Meter.

Die Eilenburger Schwimmhalle ist zu diesem Zeitpunkt fast 25 Jahre alt und heruntergekommen. Das Hochwasser gibt ihr den Rest, zerstört alle technischen Anlagen, beschädigt das Gebäude. Aus eigener Kraft hätte Eilenburg die Halle nicht aufbauen können. Nachdem das Land Sachsen signalisiert, 90 Prozent der Sanierungskosten zu übernehmen, entscheidet das Team Fleckenstein: Die Hamburger Spendeninitiative zahlt 250 000 Euro dazu. "Es ist beeindruckend, wenn man eine Hilfe in dieser Größenordnung erhält", sagt Wacker. "Bis zu diesem Moment hätte ich mir das nicht vorstellen können."

Für Peter Kruse hat Hamburgs Hilfe für die Opfer der Flut 2002 eine historische Dimension. Die Solidarität in jenen Tagen sei nach der deutschen Einheit das Ereignis, das die Menschen ihr Gefühl der Zusammengehörigkeit am eindrucksvollsten spüren lassen würde, schreibt er in seinem Buch "Mein Deutschland". Tobias Kogge, damals Zweiter Bürgermeister von Dresden, sieht die Hilfe Hamburgs vor allem pragmatisch: "Es war das erste Geld, das wir auf den Konten hatten."