Auf der Barkasse “Hamburger Deern“ fragten Leser den Bürgermeister nach Stadtbahn, Wohnungsbau, Innerer Sicherheit und Familienpolitik

Hafencity. Es war ein sommerlich warmer Tag - und es wurde zwei Stunden lang heiß debattiert an Bord der "Hamburger Deern", auf der sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den Fragen der Abendblatt-Leser stellte.

Karsten Schulze:

Während in anderen Städten, beispielsweise in Kassel, die Straßenbahn ein großes Comeback erlebt, hat Hamburg das Projekt Stadtbahn eingestellt. Warum?

Olaf Scholz:

Ich habe gerade die Documenta besucht und kenne Kassel auch sonst ganz gut. Die Stadt ist mit Hamburg nicht vergleichbar. Wir haben Hafenfähren, S-Bahn, U-Bahn und ein gut entwickeltes Bussystem. Wenn wir neben diesen vier Verkehrsträgern noch einen weiteren einrichteten, müssten wir dafür mehr als zwei Milliarden Euro ausgeben. Das können wir nicht. Im Übrigen bauen wir den öffentlichen Nahverkehr, insbesondere den schienengebundenen, sehr stark aus. Wir verlängern die U 4 bis zu den Elbbrücken, wir bauen die S 4 nach Ahrensburg und Bad Oldesloe. Das alles wird dazu beitragen, dass noch mehr Hamburger vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen.

Karsten Schulze:

Aber wird durch die U 4 nicht die HafenCity gegenüber beispielsweise Lurup bevorzugt?

Scholz:

Was Lurup betrifft: Es gibt in der Nähe die S-Bahn-Station Elbgaustraße. Aber natürlich versuchen wir, mit unserem Busbeschleunigungskonzept auch eine noch bessere Anbindung von Lurup zu erreichen.

Ewald Hauck:

Irgendwann kollabiert das Nahverkehrssystem. Der Hauptbahnhof ist schon jetzt ein Nadelöhr. Das gilt auch für das Harburger Unterelbekreuz, wo sich Güter- und Personenverkehr um Trassen streiten. Wann bekommt Hamburg einen General-Nahverkehrsplan mit Perspektive?

Scholz:

Das mit dem Hauptbahnhof stimmt. Mit der S 4 kommt es zu einer deutlichen Entlastung dieses Verkehrsknotens. Wir müssen weiter dafür sorgen, dass sich Güter- und Personenregional- und Fernverkehr nicht gegenseitig beeinträchtigen und blockieren. Es gibt eine Untersuchung im Auftrag des Bundesverkehrsministers, die besagt, dass Investitionen in den Güterverkehrsknoten Hamburg und den Hauptbahnhof einen besonders hohen Kosten-Nutzen-Faktor haben. Deshalb haben wir mit dem Bund ein Gespräch darüber geführt, dass diese Investitionen, die eine überschaubare Dimension haben, unbedingt getätigt werden müssen. Und wir haben natürlich eine Verkehrsplanung für Hamburg. Ich bin aber dafür, dass man Verkehr stetig weiterentwickelt und sich nicht zehn Jahre damit beschäftigt, nur Linien zu zeichnen.

Renate Rojahn:

Warum soll trotz der zu hohen Schadstoffbelastung der Luft der Wohnungsbestand im Zentrum weiter stark verdichtet werden?

Scholz:

Es gibt nichts Ökologischeres als die Stadt, und es gibt nichts Unökologischeres als weitflächig verteilte Einzelhäuser, aus denen die Leute mit dem Auto zur Arbeit und wieder zurückfahren. Es ist schön, dass Hamburg eine Stadt mit viel Natur ist, das soll so bleiben. Darum müssen wir so bauen, dass links und rechts noch Platz für Grün bleibt. Das spricht für die Verdichtung - und dafür, dass man öfter ein oder zwei Stockwerke höher baut.

Kai Krüger:

Warum ändert die Stadt nicht die Ausweisung von Industriegebieten, in denen es schon lange keine Industrie mehr gibt? In Rothenburgsort und Billbrook verfallen Straßenzüge, Büros stehen leer.

Scholz:

Ja, es ist gut, wenn man an der ein oder anderen Stelle Büroraum in Wohnraum verwandelt. Das geschieht auch, kann aber nicht die Lösung unserer Probleme sein. Denn nicht jedes Büro eignet sich als Wohnung. Und die Umwandlung ist nicht unkompliziert. Übrigens: Jeder, der zum Beispiel eine Industriefläche hat und sie für Wohnungen nutzen kann, macht einen riesigen Gewinn, weil das Grundstück plötzlich mehr wert ist. Dabei müssen wir auch Platz haben für die Arbeitsplätze, aus denen unser Wohlstand kommt. Wir brauchen ausreichend Wohnungen, ausreichend Gewerberaum und auch Büros.

Kirsten Schuett:

Wir haben sechs Kinder, und nachdem das vierte Kind geboren war, mussten wir an den Stadtrand ziehen. Ich selbst bin in Eimsbüttel aufgewachsen. Ich fühlte mich verdrängt. Es gibt keinen Wohnraum für Großfamilien.

Scholz:

Sie sprechen zu Recht eines der wichtigsten Themen an. Die großen Altbauwohnungen zum Beispiel sind so attraktiv, dass die Mieten oder Kaufpreise für Familien mit Kindern oft nicht bezahlbar sind. Ich will aber erst einmal sagen, dass es eine tolle Sache ist, dass Sie so viele Kinder haben. Ich bin der Meinung, dass Kinderkriegen keine Angelegenheit des Staates ist. Manchmal klingt es, als sei es ein Staatsauftrag, die Geburtenrate zu steigern. Das finde ich ein bisschen komisch bei einer Sache, die doch mit Zuneigung zu tun hat. Aber zu Ihrer Anmerkung: Wir brauchen natürlich auch für Familien mit sechs Kindern Wohnungen oder Häuser. Wir müssen in der Stadt zum Beispiel immer auch Reihenhäuser ausweisen.

Siegfied Kroll:

Ich komme aus Alsterdorf. Durch die Verbrennung von Gartenabfällen und Bauschutt auf Nachbargrundstücken werden wir regelmäßig stark beeinträchtigt. Warum gibt es in Hamburg noch kein Nachbarschutzrecht und kein Landesemissionsschutzgesetz?

Scholz:

Emissionen sind auch in Hamburg gesetzlich geregelt. Da gibt es viele Beschränkungen, die dazu beigetragen haben, dass eine der größten Industriestädte Europas heute viel bessere Bedingungen hat als vor 20 Jahren. Ob es klug ist, eine Regelung zu treffen, wonach es verboten ist, Gartenabfälle zu verbrennen, will ich gern mit meinen Fachbehörden erörtern.

Peter Ulrich Meyer:

Vielleicht hat Hamburg auch ein Herz für Kleingärtner.

Scholz:

Ich glaube nicht, dass das die dabei entscheidende Frage ist. Aber Hamburg hat ein Herz für Kleingärtner.

Philipp Kunisch:

Ich merke, dass Harburg im Gegensatz zu seiner großen Schwester Hamburg ein bisschen stiefmütterlich behandelt wird. Was für Eisen haben Sie im Feuer, um Harburg attraktiver zu gestalten?

Scholz:

Ich wünsche mir zuerst, dass die Harburger stolz auf ihren Bezirk sind. Und dass sie die Geschichte, sie würden stiefmütterlich behandelt, nicht mehr erzählen. Ich werbe für Stolz und Selbstbewusstsein. Neben dem Mobilitätskonzept für den Süderelberaum ist die Technische Universität Hamburg-Harburg wichtig. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Studierenden auch erkennen, wie interessant es ist, in Harburg zu leben. Denn das hat auch einen Effekt auf die Qualität und Attraktivität des Stadtteils. Ich verspreche mir etwas davon, den Harburger Binnenhafen, die Schlossinsel ordentlich zu entwickeln.

Karin Pfadenhauer:

Ich würde gern wissen, ob Sie sich so für den Standort des deutschen Galopprennderbys einsetzen wie einst Helmut Schmidt. Er hat gesagt: Wenn das nicht mehr stattfindet, lasse ich Panzer vor dem Rathaus auffahren.

Scholz:

Na ja, ich finde, Helmut Schmidt hat die Bedeutung richtig formuliert, wenn auch mit einer nicht praktischen Handlungsanweisung. Und die Hamburger Admiralität ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Aber wir machen uns über die Frage, wie wir mit dem Pferdesport in Hamburg weitermachen können, viele Gedanken. Da geht es um die Bahnen in Horn und Bahrenfeld und darum, wie wir den Pferdesport so entwickeln, dass sich der wirtschaftlich trägt. Wir sind dabei, mit den Beteiligten zu sprechen und vernünftige Konzepte zu diskutieren. Unser Herz und unsere ganze Unterstützung gelten denjenigen, die das Derby verteidigen.

Tim Kuisat:

Ich studiere Stadtplanung an der HafenCity-Universität (HCU). Uns fehlt das Geld, wir gehen pleite. Man kann davon ausgehen, dass Studiengänge gestrichen werden. Warum lassen Sie Ihre Senatorin Dorothee Stapelfeldt so wenig erfolgreich verhandeln?

Scholz:

Sie verhandelt sehr erfolgreich, eine Hochschulvereinbarung nach der anderen ist abgeschlossen worden. Zwei stehen noch aus. Das ist die Vereinbarung mit dem Uniklinikum Eppendorf und der HCU. Und dann werden alle staatlichen Hamburger Universitäten eine klare Perspektive haben bis 2020. Die HCU mit ihrem interdisziplinären Ansatz wird eine gute Zukunft haben, die bekommt ein tolles Haus, da zieht sie ein und das ist okay.

Tim Kuisat:

Wird es denn eine Absenkung der Studierendenzahlen geben?

Scholz:

Es ist Sache der Hochschulen, mit ihren Budgets vernünftig umzugehen, und daraus kluge Entscheidungen zu treffen.

Uwe Lübbers:

Warum bemüht sich Hamburg um ausländische IT-Experten und nutzt nicht das in der Stadt schon vorhandene Potenzial?

Scholz:

Bei vielen Unternehmertreffen höre ich, es fehlen uns die Fachkräfte. Dann sage ich: Ich kenne Fachkräfte, die Arbeit suchen. Warum nehmt ihr die nicht? Es ist ganz wichtig, dass wir dafür Sorge tragen, dass die Vermittlung von Arbeit suchenden Fachleuten auf diese Stellen auch tatsächlich gelingt.

Uwe Lübbers:

Es wird extrem schwierig zu ermitteln, wie viele inländische IT-Experten wir haben, weil die Einordnung der Aufnahme in den Leistungsbezug bei der Arbeitsagentur diese Berufsbezeichnung nicht kennt. Meine Beraterin weiß nicht, was ich bin.

Scholz:

Das habe ich schon oft gehört. Sie sollten mir einen Brief schreiben. Ich werde nachfragen, wie das sein kann.

Jürgen Hanke:

Die Innere Sicherheit soll verbessert werden - aber wie?

Scholz:

Große Städte haben es mit besonderen Herausforderungen in Sachen Kriminalitätsbekämpfung zu tun. Deshalb beschäftigt Hamburg sehr viele Polizeivollzugskräfte, und die Zahl der Stellen, die dafür zur Verfügung stehen, wird nicht reduziert. Darüber hinaus gibt es Maßnahmen, die sehr wirksam sind, wie die Videoüberwachung bei S- und U-Bahnen oder die dort eingesetzten zusätzlichen 110 Sicherheitskräfte.

Jürgen Hanke:

Die Polizeigewerkschaft behauptet, dass 154 Stellen eingespart werden und der Haushalt so um 7,5 Millionen Euro entlastet wird. Stimmt das?

Scholz:

Nein. Die Zahl der im Einsatz befindlichen Polizisten, also der Polizeivollzugskräfte, wird nicht reduziert. Aber auch die Verwaltung der Innenbehörde muss zur Haushaltskonsolidierung beitragen.

Thomas Schwarz:

Es sind immer weniger Hamburger bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Was tut die Stadt dagegen?

Scholz:

Zunächst: Seit 2004 engagieren sich bei uns wieder mehr Bürgerinnen und Bürger. Das sieht man zum Beispiel an den vielen Jugendfeuerwehren, die überall entstanden sind. Ansonsten muss man mit Respekt die unterstützen, die ein Ehrenamt haben. Wir haben unter anderem eine ganze Reihe von Preisen, die wir für langjähriges Engagement vergeben.

Thomas Schwarz:

Gibt es städtische Wohnungen für Ehrenamtliche?

Scholz:

So viele städtische Wohnungen für Bedienstete haben wir gar nicht mehr. Aber Ihr Anliegen ist völlig berechtigt. Finden wir genug Leute, die ehrenamtlich tätig sein wollen, wenn sich niemand vor Ort eine Wohnung leisten kann? Auch darum müssen wir mit dem Wohnungsbau vorankommen.

Wie bewerten Sie die HafenCity?

Scholz:

Die HafenCity insgesamt halte ich für sehr gelungen, auch wenn ich nicht mit jedem einzelnen Haus einverstanden bin. Es ist doch aber so: Wenn jemand nach Hamburg kommt und die HafenCity sieht, dann sagt er: Wow!

Mitarbeit: Angela Klein

Das Video sehen Sie unter abendblatt.de/scholz