Michael Otto erzählt, warum er den Umweltschutz zum Unternehmensgrundsatz machte. Bereits in den 70ern begann er mit ersten Projekten.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 56: Michael Otto. Er bekam den roten Faden von Sternekoch Christoph Rüffer.

Als sein Vater noch eine Schuhfabrik betreibt, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, stöbert der Sohn, fünf, fünfeinhalb Jahre alt, die Lederreste durch. Größere Stücke fischt er heraus und verkauft sie den Schustern in der Umgebung. "50 Pfennig", fordert der Knirps selbstbewusst. Bietet einer nur 40, zieht er weiter zum nächsten. Das erste selbst verdiente Geld. Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group, lacht. In dieser Geschichte bündelt sich, was ihn als Unternehmer auszeichnet: Initiative, Geschäftssinn und die Idee, nachhaltig zu wirtschaften.

Von seinem hellen, geräumigen Büro im sechsten Stock von Haus 10 auf dem Otto-Gelände an der Wandsbeker Straße in Bramfeld hat er einen spektakulären Panoramablick über Hamburg. Neben dem Konferenztisch hängt ein Gemälde seiner Frau Christl, die sich als Malerin einen Namen gemacht hat. Michael Otto, Jahrgang 1943, schaut zurück.

Nachkriegszeit, Werner Otto, seine erste Ehefrau Eva, Tochter Ingvild und Sohn Michael kommen 1948 aus Westpreußen als Flüchtlinge nach Hamburg. "Man ging öfter hungrig ins Bett. Aber alle packten irgendwo an, bauten auf. Grundstimmung: Wir schaffen das."

Die Eltern lassen sich scheiden, als er fünf Jahre alt ist; der Vater heiratet noch zweimal, hat drei weitere Kinder. Von Vater und Mutter wird er zu Offenheit und Toleranz erzogen. Zu Anstand und Rücksichtnahme. Er soll früh selbstständig werden, Verantwortung übernehmen. Das Taschengeld ist mager, er jobbt schon als Schüler, verdient später sein Studium selbst. Gibt Nachhilfeunterricht, arbeitet im Hafen. Und im Versandhandel des Vaters. Der hatte seine Schuhfabrikation bald schließen müssen. Und war seiner Maxime gefolgt: "Natürlich darf man auch mal hinfallen im Leben. Aber niemals liegen bleiben." Also bringt er 1949 den ersten Otto-Katalog heraus, 28 Seiten.

Der Vater starb im November 2011, 102 Jahre alt. Er ist unausgesprochen präsent, wenn man mit Michael Otto spricht. Die Energie des Gründers, sein Erfolg. Derselbe Spaß daran, beide Hirnhälften zu nutzen: Rechner zu sein, Analytiker und kreativer, schöpferischer Mensch. Es ist nicht einfach, da als Sohn einen eigenen Weg zu finden. Michael Otto geht nicht, wie der Vater plant, nach dem Abitur gleich ins Unternehmen. Überlegt sogar, ob er Medizin studiert. Macht eine Banklehre in München, studiert dort auch Wirtschaftswissenschaft.

Mauerbau 1961, Kubakrise 1962. Der Vater sucht, wie viele andere, Immobilien im sicheren Ausland. Nach Kanada darf jederzeit einreisen, wer dort Grundbesitz hat. Also wird der Sohn nach Kanada geschickt, Immobilien einzukaufen. Lernt die Grundlagen des Geschäfts. Macht sich, zurück in München, damit selbstständig, parallel zum Studium.

In München findet er eine Konstante seines Lebens: 1969 heiratet er die Modedesignerin Christl, eine Ehe, die bis heute Bestand hat. Wie das geht? "Vertrauen gehört dazu, die Gewissheit einer tiefen Liebe, auch wenn man mal unterschiedliche Auffassungen hat. Und dass man zum Schluss immer wieder zusammenfindet." Die beiden bekommen zwei Kinder, Benjamin und Janina. Michael Otto promoviert - über Absatzprognosen im Versandhandel.

1971 steigt er ins Unternehmen des Vaters ein. Vorstand, Bereich Einkauf Textil. Seine Geschwister gehen andere Wege: Schwester Ingvild wird bedeutende Kunstsammlerin und Kuratorin in München, Bruder Frank Medienunternehmer in Hamburg, Katharina Regisseurin in den USA. Und Alexander Otto übernimmt die ECE, die vor allem Einkaufszentren baut und verwaltet.

Michael Otto entwickelt bald eigene Ideen. Er bekommt 1972 die topaktuelle Studie "Die Grenzen des Wachstums" in die Hände. Umwelt wird sein Thema, Michael Otto spürt: "Jeder muss bei sich anfangen. Jeder Bürger, jeder Unternehmer. Ich kann nicht sagen, die anderen sollen was tun, wenn ich nicht selbst anfange." Noch in den 70ern beginnt er mit ersten Projekten. Lässt später Produktionsverfahren und Transportketten auf Umweltauswirkungen untersuchen und Untersuchungsmethoden dafür entwickeln, "da hatte ja früher nie jemand drüber nachgedacht".

Er ernennt Umweltverantwortliche, installiert ein Umweltmanagement im Konzern, erklärt 1986 - da ist er fünf Jahre Vorstandsvorsitzender - Umweltschutz zum weiteren Unternehmensziel. Mitarbeiter, die das als Marotte betrachten, die vor allem Arbeit macht, lernen bald: Es ist ihm ernst.

Manchmal rechnet sich das für den Konzern schnell, wenn etwa Überlegungen zur Kohlendioxid-Reduzierung auch die Transportwege verringern, "es gibt eine ganze Reihe von Projekten mit Win-win-Situationen." Manchmal geht etwas immerhin kostenneutral, manchmal muss erst investiert werden, bevor positive Auswirkungen sichtbar werden.

Er verbannt Pelze und Tropenholz aus dem Katalog. Otto denkt aber nicht in kurzfristigen Effekten, sondern in Jahrzehnten, sieht heute die wachsende Akzeptanz bei den Kunden, die wachsende Anziehungskraft auf junge, gut qualifizierte Mitarbeiter. Freut sich, dass selbstverständlich wird, was vor 30, 40 Jahren belächelt wurde.

Zu Hause am Elbhang wird kompostiert, im Garten mit Brennnesselsud gespritzt, mit grüner Seife gescheuert. Er nutzt Solartechnik, spart Wasser, macht das Licht hinter sich aus. "Es geht darum, unsere Gewohnheiten zu ändern." Es geht aber größer.

Otto wird Mitte der 90er-Jahre aus eigenem Antrieb Mediator, mit Kolloquien und vielen Gesprächen bis zum Bundesverkehrsminister, um Alternativen zum Ausbau der mittleren Elbe zu einer Wasser-Magistrale zu finden und so die europaweit einzigartigen Auenwälder im ehemaligen Grenzgebiet der DDR zu retten. Sein leiser, aber hartnäckiger Einsatz ist erfolgreich. Seine Michael-Otto-Stiftung kümmert sich seit 1995 um den Schutz und Erhalt der Lebensgrundlage Wasser. "Ich will damit nicht Säuberungen von Flussbetten finanzieren, sondern andere anstoßen und Dinge strukturell verändern."

So wie mit der Stiftung Aid by Trade. Er will Entwicklungspolitik ausrichten auf Hilfe zur Selbsthilfe, kein Geld geben, das versickert. "Cotton made in Africa" ist so ein Projekt. "Mittlerweile in sechs Ländern werden Baumwollbauern geschult in besseren Anbautechniken, höhere Erträge, weniger Chemie. Kinder gehen zur Schule, wir akzeptieren keine Kinderarbeit. Und wir verlangen von den Abnehmern in Europa und den USA eine Lizenzgebühr. Die wird wieder eingesetzt für Bildungsprojekte, Lehrer, Schulbau."

Er ist jedes Jahr selbst vor Ort, um zu sehen, wie es vorangeht. "Wir haben inzwischen 400 000 Baumwollbauern in dem Programm. Mit den Familien profitieren mehr als zwei Millionen Menschen davon - etwas mehr, als Hamburg Einwohner hat."

Da schwingt sogar Stolz mit. Sonst spricht Otto mit dem unaufdringlichen Selbstbewusstsein des erfolgreichen Unternehmers. Größtes Versandhaus der Welt - 53 000 Beschäftigte in mehr als 20 Ländern, 11,6 Milliarden Euro Umsatz, 53 Prozent davon im Internet. Damit Zweitgrößter im Internet nach Amazon - da hat er früh die Zeichen erkannt, sich auf Reisen nach Silicon Valley zeigen lassen, was die Zukunft bringt. War von Anfang an dabei, fördert heute selbst Start-ups, um keine neue Entwicklung zu verpassen.

Michael Otto wird auf der aktuellen Forbes-Liste der reichsten Deutschen auf Platz 3 geführt. Doch Reichtum bedeutet ihm wenig, sagt er. "Mein Vermögen steckt in den Unternehmen. Ich brauche kein Privatflugzeug, keine Yacht, keinen Koch zu Hause."

Er nutzt sein Geld anders. Finanziert der Jugendmusikschule in Hamburg einen Konzertsaal. Unterstützt das Jugendmusikprojekt "The Young ClassX", das Kinder an Musik heranführt. Er hat selbst in einer Schülerjazzband Banjo gespielt und weiß: "Musik integriert, fördert Lernfähigkeit und soziale Intelligenz." Er hat aber auch zehn Millionen für die Elbphilharmonie gespendet.

Michael Otto reist gern. War als Student mit seinem Käfer in der Sowjetunion, später in Kirgisien, Amazonien, Chile, fuhr mit dem Pferdewagen durch Irland, war in der Mongolei mit einer Karawane unterwegs, träumt von einer Fahrt mit dem Hundeschlitten durch Grönland. "Da komme ich ganz runter auf den Boden. Ich bewundere, wie nachhaltig diese Menschen mit der Natur, von der sie leben, umgehen." Er erzählt von Buschmännern in der Wüste Kalahari, die stundenlang Tautropfen von Blättern in Straußeneiern auffangen, bis sie Wasser haben für den Tag. Oder von Menschen im Altai-Gebirge, die Wildzwiebeln ernten, aber sofort den Samen wieder anpflanzen, "damit der nächste auch etwas davon hat".

Als Aufsichtsratschef hat er mehr Zeit dafür. Und für Gedanken über die Zukunft. Freut sich, dass Sohn Benjamin, 37, einen ähnlichen Weg gegangen ist wie er selbst: Er hat erst etwas Eigenes aufgebaut. Und nun? "Ich würde mich freuen, wenn er ins Unternehmen kommt, und er hat's auch vor."

Tochter Janina, 39, "hat einen anderen Weg gewählt. Sie pflegt mehr meine andere Ader: Umwelt und Sozialengagement, war einige Jahre in Afrika, ist jetzt in Kenia und leitet da eine eigene kleine Stiftung mit Projekten in den Slumgebieten von Nairobi. Ich würde mich freuen, wenn sie in Zukunft mal meine Stiftungen unter ihre Fittiche nimmt."

Wenn sich Michael Otto noch etwas wünschen dürfte für die Zukunft? "Dass wir unsere Verantwortung für die Umwelt und die Menschen wahrnehmen. Dass wir aufhören, unsere Natur über die Maßen zu strapazieren. Im Grunde, wenn man das intensiv betreiben würde, wenn weltweit alle Regierungen dazu stünden, wär's eine überschaubare Größenordnung, das zu erreichen."

Michael Otto reicht den roten Faden weiter an Sabine Schulze, die Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe: "Sie hat dem Haus eine neue, moderne Ausrichtung gegeben, die auch ökologische Aspekte berücksichtigt. Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche sind ihr Motiv."