Christoph Rüffer hat zwei Michelin-Sterne - und dankt dafür seinem Team. Er ist so etwas wie das Enfant terrible der Hamburger Spitzenküche.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 55: Christoph Rüffer, Küchenchef im Hotel Vier Jahreszeiten . Er bekam den roten Faden von Jörg Achim Keller, Chefdirigent der NDR Bigband.

Christoph Rüffer ist keiner, der gern laut wird. Er gehört auch nicht zu den Köchen, die zu viel reden. Er hat keine Kochshow, kein eigenes Kochbuch. Selbst von der Katastrophe des Tages erzählt er ruhig: "Heut' Morgen die Rotbarben, die sind nicht rot, sondern grau." Die kann der Lieferant dann mal gleich wieder abholen.

Trotz und vielleicht gerade wegen seiner gelassenen Art ist Rüffer so etwas wie das stille Enfant terrible der Hamburger Spitzenküche geworden, seine Gerichte stecken voller Überraschungen. Seit November 2011 steht der Küchenchef mit dem Restaurant Haerlin im Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten mit zwei Sternen im Guide Michelin. Für Christoph Rüffer, 39, ist das fast schon Schnee von gestern. "Die Entwicklung hört ja nicht auf, wir sind längst weiter."

Er bringt Gesamtkunstwerke auf den Teller, spielt virtuos mit Konsistenzen und Aromen, richtet bühnenreif an. Kann von vielen Gerichten selbstbewusst sagen: "Das hab ich erfunden." "Mein Kaisergranat mit Aprikose und Kürbis. Mein Cordon bleu von Gänseleber und Kalbsbries mit Paprika-Curry-Vinaigrette - da würden viele sagen: Paprika und Curry geht gar nicht. Ist aber perfekt, das geht nicht besser. Das hab ich nicht mal ansatzweise anderswo gesehen. Holsteiner Reh mit Roter Vysocke, einem alten Gemüse, einem roten Spitzkohl. Oder Kalbstatar mit Gänselebereis und Topinambur-Espuma." Zu den Tellern werden kleine Kärtchen serviert, damit der Gast die anregende Komplexität repetieren kann, die der Service so elegant auswendig weiß.

Die meisten Kreationen komponiert er im Kopf, sagt Rüffer. Manche Ideen kommen beim Kochen mit befreundeten Kollegen, manchmal entstehen sie durch Zufall in der Küche. Wie sein Steinbutt mit Zwiebelemulsion, "der wird über den grünen Klee gelobt von den Gästen", mit gerösteten Hummerstücken dazu und einer Miso-Tamarinden-Hollandaise, was schon ein bisschen nach Hexenküche klingt, aber begnadet schmeckt. "Diese spezielle Hollandaise kam von einem Seezungen-Austern-Gericht. Steinbutt an sich ist eher etwas Nussiges, Süßliches, deshalb passt Zwiebel gut dazu, auch Lauch. Dann kam der Hummer und die Hummer-Jus. Die Miso-Tamarinden-Hollandaise bringt Säure hinein. Sie haben also Süße von der Zwiebel und vom Lauch, Säure von der Hollandaise und das Kräftige von der Hummer-Jus."

Manchmal sind's auch kulinarische Erinnerungen, "wenn ein Geschmack im Kopf haften bleibt, kann man damit arbeiten. Manchmal klappt's gleich beim ersten Mal, manchmal auch beim zehnten Mal nicht." Wie sein Versuch, das Prinzip eines genialen geräucherten Mango-Eises nachzukomponieren. "Das haben wir mit einem Ananas-Sorbet probiert - schmeckte wie kalter Aschenbecher. Dann legt man's erst mal nebenhin."

Alle vier Wochen wechselt die Speisekarte im Haerlin, Zwei-Sterne-Niveau duldet keinen Stillstand. Rüffers große Stütze bei der Gestaltung der Speisekarte ist sein langjähriger Souschef Tobias Günther: "Sehr geschmackssicher, kreativ, der Fels in der Brandung." Inzwischen kann sich Rüffer auch gezielt bei gerühmten Kollegen umsehen, "Blicke über den Tellerrand und sehen, wohin die Reise geht", im Auftrag des Hotels. Fünf, sechs Spitzen-Restaurants besucht er mit seinem Restaurantchef pro Jahr. Sammelt Ideen für Küche und Service. Gerade waren sie in Holland, Belgien und Paris.

Manchmal denkt er zurück an Tante Berta. Die ist nämlich an allem schuld. Sein Vater war Goldschmied, seine Mutter führte ein Haushaltswarengeschäft in Essen. Daheim kochte Tante Berta. "Eine richtige Tante Berta, gutes Volumen, sie hat gern gut gegessen. Ich war fünf oder sechs, sie hat mir ein Stühlchen an den Herd gerückt, damit ich mitschnippeln konnte. Und wenn sich jemand gesorgt hat wegen der scharfen Messer, sagte sie: 'Der passt schon auf.'" Das war der Grundstein seiner Begeisterung.

Zweiter Anstoß: Die ZDF-Kochshow "Essen wie Gott in Deutschland", 1987. Porträts von Spitzenköchen und ihren Restaurants, Rezepte zum Nachkochen. "Da war ich 14, das mochte ich, ich hab da auch was für meine Eltern nachgekocht." Mit wechselndem Erfolg: "Ich erinnere mich an eine Grünkohlsuppe - nicht essbar." Aber die Begeisterung ist wieder da. Goldschmied würde er, hofft der Vater, die Mutter sieht ihn in einer Bank. Christoph Rüffer macht eine Kochlehre.

Kochen ist ein Knochenjob, sein Souschef in der Ausbildung ein "harter Hund". Rüffer boxt sich durch. Sein Vorteil: Für ihn ist Kochen der Aufbruch in eine neue, eigene Welt, "ich empfinde Kochen einfach nicht als Arbeit." Ausbildung im Sheraton in Essen, danach kurz zum Marriott in München, Langeweile zwischen Club-Sandwich und Cäsar-Salat. Er ruft in München bei Otto Koch im Sterne-Restaurant Le Gourmet an. Probetag, Anstellung. Hier lernt er den Unterschied kennen zwischen Essen zubereiten und Sterne-Küche. Und zieht bald weiter in Zwei- und Drei-Sterne-Häuser. "Als Jungkoch hab ich gedacht: Wenn du mal Chef-Saucier bist - das muss ein göttlicher Job sein, dann stehst du ganz oben. Dann war ich das und dachte: Souschef wär auch nicht schlecht."

Mit 25 macht er seinen Küchenmeister. Seit 2002 ist er Küchenchef im Haerlin. Verteidigt den ersten Stern, den das Restaurant kurz vor seiner Ankunft bekam. Entwickelt langsam seinen eigenen Stil. Und versucht bis heute, den Verwaltungsanteil am Beruf auf zehn Prozent seiner Zeit zu begrenzen. "Ich sehe meine Aufgabe darin, zu kochen. Am Herd zu stehen. Derzeit am Fischposten, nächsten Monat beim Fleisch. Den Geschmack, den man im Kopf hat, auf das Gericht zu übertragen."

Er besucht gern Lieferanten. Fisch, Fleisch. Historische Gemüse entdecken im Alten Land. Da kommt er richtig ins Schwärmen, lässt sich die Namen auf der Zunge zergehen: "Butterkohl, Duwicker Möhren, Goldball - das ist eine gelbe Rübe, Tonda di Chioggia - eine rot-weiß geringelte Bete, die Mangold-Sorte Bright Lights, die sprießt bunt - gelb, orange, rot, die Kartoffelsorte Rote Emma. Oder wenig bekannte Kräuter von Esculenta in Rotenburg/Wümme." Willkommene Bausteinchen in Rüffers Kabinett der kulinarischen Überraschungen. So viel Begeisterung hat an anderen Stellen Opfer gefordert. Seine Töchter, sieben und zehn Jahre, sieht er sonntags und montags; das sind die Schließtage des Restaurants. Und im Urlaub. Seine Ehe hat nicht ausgehalten, dass ein Spitzenkoch auch mit dem Restaurant verheiratet ist. Können denn die Töchter dem Beruf des Vaters etwas abgewinnen? Ein gedehntes "Jaaa". "Die Ältere will jetzt Serviererin werden." Nicht Köchin? "Das kann sie selbst entscheiden." Ihn freut, dass sie Papas Bratkartoffeln und Reibekuchen mag und neugierig ist aufs Essen. Sollte sie doch Köchin werden wollen, würde er ihr das mit den Arbeitszeiten noch mal erklären. "Aber die beiden sehen auch so, dass sie mich nicht oft haben - da geht keine klassische Vaterrolle mit spielen abends und dann ins Bett bringen."

Zehn Jahre Küchenchef im Sterne-Restaurant. Am 10. Juni gab es "unten", das ist in der Haerlin-Küche, ein Gläschen Champagner darauf - und auf ein gutes halbes Jahr mit dem zweiten Stern. Der hat neue Gäste gebracht. Etwa aus Blankenese und Rissen. "Bis die hier bei uns landen, müssen die ja an Vier-Sterne-Restaurants vorbei: Süllberg, Jacob, Landhaus Scherrer, Güngörmus. Jetzt kommen sie häufiger." 30 Prozent mehr Gäste hatte er über viele Monate, auch viele Jüngere. Bis die Fußball-EM ein kleines Atemholen ermöglichte.

Der Ruck, der mit dem zweiten Stern durch die Küche ging, hilft, branchentypische Wechsel gut zu überstehen. Nach drei Jahren ziehen gleich drei Köche aus dem siebenköpfigen Küchenteam weiter. Er hat sehr gute Nachfolger. "Grad hat einer angefangen aus Timmendorfer Strand, aus der Orangerie von Herrn Niemann, ein Stern. Dann kommt einer vom Reinstoff in Berlin, zwei Sterne. Und im November noch einer aus dem Aqua in Wolfsburg, drei Sterne." Rüffer weiß, dass der Erfolg des Haerlin nur im Team möglich ist und dass jeder einzelne Koch seinen Teil zum Zwei-Sterne-Glanz beiträgt.

Was Rüffer mag: "Unsere Gäste sind mutiger geworden und freuen sich, dass hier auf klassischem Fundament eine kreative, moderne Küche angeboten wird." Und wenn ein Gast trotzdem nur Seezunge will? "Man kann schon dem vertrauen, was wir machen, das ist ja nicht aus dem Handgelenk geschüttelt und dahergekocht, sondern ausgereift. Wer Filet Wellington oder Hummer Thermidor sucht, ist hier nicht ganz richtig. So wie jemand, der Sphären will, die im Mund zerplatzen, Sachen, die in Stickstoff frittiert werden oder mit Pipetten in den Mund gespritzt wie in der Molekularküche - das machen wir nicht."

Rüffers Kochkunst ist auch so ganz großes Theater und Esskultur. "Mit wunderbarem Service-Personal, das - geleitet von Raoul Steinbach, mit dem neuen Spitzen-Sommelier Marco Franzelin - auch Gourmet-Einsteiger locker an die Hand nimmt und durch den Abend führt."

Im kommenden Jahr wird seine Küche von Grund auf erneuert. "Und dann schaun wir mal, was wir dann machen." Wie sagte er, als er die Nachricht vom zweiten Stern bekam? "Ich bin fast am Ziel meiner Träume." Fast. Bei Christoph Rüffer heißt das: Da geht noch eine Menge.

Christoph Rüffer reicht den Roten Faden am kommenden Wochenende weiter an Michael Otto, den Aufsichtsratsvorsitzenden der Otto Group: "Weil er mit seiner Stiftung Aid by Trade durch fairen Handel Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika ermöglicht."