Immer mehr Arbeitende in Hamburg nutzen die Pause längst nicht mehr allein zur Jause, sondern suchen nach mehr Abwechslung und Entspannung.

Hamburg. Fischbrötchen, Nudelpfanne, Salat oder Currywurst? Kantine oder Stehimbiss? Fragen, denen sich die Hamburger werktäglich in der Mittagspause stellen müssen. Schließlich geht es um jene wenigen Minuten des Tages, die Laune und Produktivität bei der Arbeit entscheidend mitprägen.

Und so nutzen immer mehr Arbeitende die Pause längst nicht mehr allein zur Jause, sondern suchen nach mehr Abwechslung am Mittag. Ein Trend, der sich auch in Hamburg bemerkbar macht: Angebote für eine "alternative Auszeit" nehmen zu und werden schnell und gut angenommen, wie Saskia Schmitz weiß. Im vergangenen November eröffnete sie in Kohlhöfen 27 das Glow, eine Praxis für Heilpraktik, in der sie täglich auch Yogakurse anbietet. Soweit nicht außergewöhnlich, doch dass sie auch mittwochs mittags von 12.45 Uhr bis 13.45 Uhr eine Stunde lang Yoga erteilt, ist neu. "Lunch-Yoga" heißt der Trend, der in ihrer Praxis in der Neustadt praktiziert wird. "Mittags kommen gerade die Leute, die abends keine Zeit für Sport haben", sagt Saskia Schmitz. Die Nachfrage sei unterschiedlich stark, die Zahl der Mittagssportler variiere von drei bis sieben Personen - je nachdem, wie hoch das Arbeitsaufkommen in den umliegenden Agenturen und Büros sei.

Damit niemand hinterher bei der Arbeit komplett ausgepumpt ist, bietet Schmitz "ein nicht so schweißtreibendes Training" an: "Wir machen ein etwas ruhigres Programm. Ich gehe darauf ein, was die Schüler mir so sagen." Meist würden Lockerungs- und Dehnübungen für den Schulterbereich gewünscht, Übungen gegen typische Büroverspannungen eben. 14 Euro kostet einen solche Einzelstunde, die meisten haben jedoch Zehnerkarten.

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Oliver Tietgen besucht gern die Lunch-Yoga-Kurse. Der freiberufliche Filmemacher aus St. Pauli findet dabei "eine Mischung aus Entspannung und Bewegung". Er komme meist spontan, je nachdem, wie viel er zu tun habe. "Aber hinterher geht es mir immer super, hier tanke ich neue Kraft für den zweiten Tagesabschnitt", sagt er.

Den gleichen Effekt beschreiben die Besucher der "Lunch-Beat-Partys", einer noch weitgehend unbekannten Alternative zum Abhängen in der Kantine: Hier heißt es mittags von 12 Uhr bis 13 Uhr "abtanzen statt abhängen". Ende Mai fand die zweite bewegte Mittagspause - zuletzt im Fundbureau an der Stresemannstraße - statt, mit "einer super Resonanz", wie Mitveranstalter Dan Weigl sagt. Gemeinsam mit den beiden anderen Hamburgern Ilja Grinstejn und Inken Meyer holte er das Konzept, das aus Schweden stammt, an die Elbe: In der "Tanzmittagspause" trifft man sich eine Stunde in einem Klub, bekommt etwas zu essen auf die Hand - und tanzt. Dabei werde Bürostress abgebaut - und durch eine Spende (12 Euro kostet der Eintritt) gemeinnützige Zwecke unterstützt "Wir haben so immerhin 315 Euro für die Welthungerhilfe sammeln können", sagt Weigl. "Für September haben wir die nächste Party in Planung, der Ort wird wieder zentrumsnah sein, also auf St. Pauli, in Altona oder in der Neustadt." Er und seine Mitstreiter hatten den Lunch-Beat nebenbei organisiert, weil sie selbst "Bock drauf" hatten, wie Weigl sagt. Sonst arbeitet der 27-Jährige in einer Filmagentur. "Uns hat es total gefreut, dass unsere Gäste voller Energie aus dieser Pause gegangen sind."

Etwas ruhiger und bedächtiger wünschen es sich die Hamburger, die ihre Mittagspause nutzen, um sich bei klassischer Musik zu entspannen. So gibt es hin und wieder Lunch-Konzerte in der Handelskammer. Dann werden kostenfrei im Börsensaal am Adolphsplatz 1, wie zuletzt am vergangenen Donnerstag, beispielsweise Lieder von Gerald Finzi, Carl Loewe und Franz Schubert gespielt. Einmal pro Monat bietet der Hamburger Kammerkunstverein diese beliebte Pause zum Abschalten an.

Ebenfalls in die ruhigere Kategorie fällt die "Mittagspause für die Seele", die im Michel jeden Tag von 12 Uhr bis 12.15 Uhr bei einer Andacht mit Musik abgehalten wird. Auch die Kirchengemeinde St. Jacobi bietet immer dienstags im Kirchenschiff im Jakobikirchhof 22 von 12.30 Uhr für 15 Minuten eine Mittagsandacht an, gern hält diese der Gemeindepastor Patrick Klein ab.

"Ich finde, das ist ein wundervolles Angebot, einfach mal 15 Minuten weg vom Schreibtisch zu sein, kein Telefonklingeln zu hören", sagt er. "Wenn einer meiner Kollegen predigt, dann nutze ich diese Zeit auch selbst gern als Zuhörer." Die Orgelmusik gebe Kraft, bei der Andacht spreche er über ein paar Gedanken zu einem zeitlosen Thema. "Es kommen viele Menschen aus den umliegenden Büros - das sieht man an den dunklen Anzügen und Kostümen, aber auch Touristen oder Gemeindemitglieder kommen gern", so der Geistliche. Es kommen Stammgäste, die den Dienstagmittag als festen Termin eingeplant haben, ebenso wie Kurzentschlossene. 20 bis 50 Kirchenbesucher seien im Schnitt anzutreffen. "Ich denke, in dieser Viertelstunde kann man einfach mal abschalten und hat hinterher immer noch Zeit für einen Teller Suppe oder ein Brötchen", sagt Klein.

Für manche Hamburger Arbeitnehmer ist der Weg zur alternativen Mittagspause nicht weit, denn einige Unternehmen haben neben der Kantine bereits weitere Angebot im Haus. Dazu zählt auch Unilever mit Sitz in der HafenCity. Dort kann der Mitarbeiter sich mittags nicht nur im Spa die Nägel maniküren lassen, es wird auch besonders viel Wert auf die Gesundheit der Mitarbeiter gelegt: Dr. Olaf Tscharnezki trägt den Titel Medical and Occupational Health Director D-A-CH, früher hätte das schlicht Betriebsarzt geheißen. Aber früher hätte man den Ort zum sogenannten Power-Napping auch Sozialraum genannt. Tscharnezki jedenfalls ist auf dem Weg für mehr Wohlergehen der Mitarbeiter ganz vorn dabei, für Unilever arbeitete er sein Konzept aus: Es gibt ein Fitnesscenter mit Kursen in der Mittagspause, von "Bauch Beine Po" über Qigong, Pilates und Indoorcycling werden von 12 Uhr bis 14 Uhr jeden Tag Sportmöglichkeiten angeboten.

Zweimal pro Woche kommt ein Masseur, der verspannte Mitarbeitermuskeln lockert, und die zwei schweren, schwarzen Massagesessel, die im medizinischen Trakt des lichtdurchfluteten Unternehmens stehen, werden viel genutzt. Auch Sascha Möllering, Assistent im Event-Management von Unilever, nimmt hier gern Platz. Er setzt Kopfhörer und Brille auf und kann dann zwischen knapp 100 Programmen unterschiedlicher Länge wählen - von zehn bis 40 Minuten, mit einer Musiksession, visuellen Reizen, der Stereo-Tiefensuggestion, sprachgeführter Tiefenentspannung, der Rückenmassage mit Musik oder der positiven Affirmation mit Massage. "Es fühlt sich einfach gut an, und hinterher fühle ich mich erholt", sagt Möllering.

Und damit bestätigt Möllering den Betriebsarzt, der findet: "Es geht um Gesundheit und Produktivität. Ich meine, dass das zusammengehört." Denn nur "Gutmenschen", das sind die Entscheider von Unilever nicht. Natürlich geht es auch um weniger Krankmeldungen. Kranke Mitarbeiter kosten Geld. Prophylaxe in der Pause ist sozusagen die preiswertere Alternative. Und auch das positive Image spielt eine Rolle. "Diese Firma tritt als Marke auf und möchte selbstverständlich auch als hervorragender Arbeitgeber wahrgenommen werden", so Tscharnezki, der voller Herzblut über seine Angebote spricht. "Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es einen Benefit, also einen Nutzen, gibt. Wir als Firma sind bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um bestehende Probleme zu lösen oder zumindest zu lindern", sagt der Mediziner. Für die aktiven Maßnahmen zahle die Firma, für die passiven nicht.

Dr. Thomas Kopf ist Facharzt für Arbeitsmedizin beim Arbeitsmedizinischen Dienst der Stadt Hamburg. Er kennt sich mit allem aus, "was mit Gesundheit am Arbeitsplatz zu tun hat", sagt er. Dazu gehört auch die sinnvolle Gestaltung der Mittagspause. Er beurteilt die unterschiedlichen Angebote fern der Kantine als gut. "Ein Konzert zu besuchen oder sich einen meditativen Vortrag anzuhören, das hat sicherlich einen positiven Effekt", sagt er, "man nennt ja auch einen kurzen Mittagsschlaf oder eine Ausruhphase Power-Napping, das ist von der Wirkung her ähnlich." Das Abschalten und Beschäftigen mit anderen Dingen führe zu Regeneration, "danach ist der Arbeitnehmer leistungsfähiger". In Zahlen zu fassen sei dies allerdings schwer, da die Verbindung zwischen diesen Angeboten und der Produktivität schwierig abzuschätzen sei.

Dennoch, das gute Gefühl der Mittagspäusler, sich aktiv etwas Gutes genehmigt zu haben, bleibt sicher bis zum Abend. Nach dem Motto: Besser - und gesünder - ist es auf jeden Fall, den herabschauenden Hund im Yoga genossen zu haben als Hähnchenschenkel.