Lastwagen fuhr auf dem Elbdeich in eine Gruppe von Sportlern der Uni Hamburg. Der junge Lehrer aus Wellingsbüttel war zum ersten Mal dabei.

Spadenland. Die Radfahrer der Radsportgemeinschaft Uni Hamburg sind am Donnerstagabend erst wenige Minuten im Spadenland unterwegs, als ihnen auf dem Ruschorter Hauptdeich ein Laster entgegenkommt. Sie fahren im Pulk, rund 35 Männer und Frauen in Zweierreihen. Wie es sich gehört.

Eric Salzinger, 43, fährt vorne mit. Er sieht den gelben 7,5-Tonner mit Kofferaufbau, vor ihm fährt ein Radsportler, der nicht zu ihrer Gruppe gehört. Sie sind fast auf gleicher Höhe, als der Laster plötzlich Gas gibt, überholt und weit auf die Fahrbahn seines Pulks ausschert. Salzinger kann nicht glauben, was er da sieht. "Da ist doch gar kein Platz mehr", denkt er. "Ist der wahnsinnig?" Er schreit: "Vorsicht" - doch da ist es schon zu spät. Der Laster fährt frontal auf sie zu. Salzinger schafft es, den Lenker im letzten Moment zur Seite zu reißen. Dann hört er einen "Riesenknall". Als er sich umdreht, sieht er auf der Straße einen Körper liegen.

+++ "Tagesschau"-Sprecher für Schweigeminute bei Cyclassics +++

Es ist Gordian G., 33 Jahre alt. Niemand kennt den Mann, der gerade von dem Laster mit der linken Seite erfasst und auf die Fahrbahn geschleudert worden ist. Wie er da liegt mit zersplittertem Knie, blutend, erkennen Salzinger und andere Helfer aber sofort: Es steht nicht gut um ihn. Dann fühlen sie keinen Puls mehr, als sie versuchen ihn wiederzubeleben. Auch die Ärzte, die wenig später kommen, können nichts mehr ausrichten - Gordian G. stirbt am Unfallort. Drei weitere Radfahrer - ein 39-Jähriger und zwei 42-Jährige - müssen ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Um die übrigen Amateure, die geschockt im Gras auf dem Deich kauern, kümmern sich zwei Notfallseelsorger.

Nicht wenige Radsportler hatten an der Trainingsfahrt teilgenommen, um sich auf die Cyclassics Ende kommender Woche vorzubereiten. Jetzt herrscht tiefe Betroffenheit - auch weil nicht klar ist, wie es zu dem Unfall überhaupt kommen konnte. Alkohol spielte nach Angaben der Polizei keine Rolle.

"Wir sind bestürzt", sagt Thomas Jacobs, Abteilungsleiter der RG Uni Hamburg. Gordian G. kannten die Mitglieder nicht - er hatte am Donnerstag zum ersten Mal am offenen Training der Gruppe teilgenommen. Vor gut einem Jahr ist der 33-Jährige von Köln nach Hamburg gezogen, er arbeitete an einer Schule in Wellingsbüttel. Nach Abendblatt-Informationen wollte der Lehrer nach längerer Pause wieder mit dem Radsport beginnen. Jahrelang hatte Gordian G. erfolgreich Amateurrennen bestritten. "Er war talentiert, liebte die Herausforderung", sagt ein Bekannter. Gordian sei ein "sehr disziplinierter und sicherer Fahrer" gewesen.

So wie die übrigen Radler der Hamburger Gruppe auch. Vorschriftsmäßig seien sie in Zweierreihen gefahren, leicht versetzt im Windschatten des Vordermannes, sagt Eric Salzinger.

Dass der Laster auf gerader Strecke überholte, obgleich doch gar kein Platz war, kann der 43-Jährige nicht verstehen. Der Fahrer müsse die Geschwindigkeit der Gruppe oder die Breite der Straße falsch eingeschätzt haben. Dabei gilt die gut einsehbare Strecke am Elbdeich als ideales Trainingsgebiet: Sie ist "topfeben", verfügt über gut ausgebaute Straßen und ein nur mäßiges Verkehrsaufkommen. Viele Radsportler nutzen die Trainingsroute nahe der Ausfahrt Moorfleet, darunter auch "Tagesschau"-Sprecher Marc Bator. Die meisten Autofahrer führen rücksichtsvoll und vorsichtig, sagt Bator. "Ich habe überwiegend gute Erfahrungen gemacht." Eric Salzinger hat indes auch andere Situationen erlebt, Beinaheunfälle und waghalsige Überholmanöver. Gerade weil die Strecke bei Radfahrern so beliebt sei, reagierten Autofahrer gereizt und arrogant - in der irrigen Annahme, Herr der Straße zu sein.

Auch Hamburgs Ex-Innensenator Heino Vahldieck (CDU), Mitglied der Radsportgruppe Weißer Ring, nutzt die Trainingsstrecke häufig. "Die meisten Autofahrer verhalten sich zwar respektvoll", sagt er, "aber es kommt doch immer wieder vor, dass einige aggressiv werden, hupen und dicht auffahren. Radsportlerin Julia Kutscha sagt: "Nicht selten ist der Abstand zwischen Außenspiegel und Fahrer beängstigend knapp. Einige Autofahrer fühlen sich durch uns so gestört, dass sie nach dem Überholen langsam vor uns fahren und die Scheibenwischanlage betätigen."

Berichte größerer Radgruppen, die über aggressive Autofahrer klagen, kennt der Allgemeine Deutsche Fahrradclub Hamburg (ADFC) nur zu gut. "Autofahrer fühlen sich häufig durch Radfahrer gestört. Sie wissen nicht, dass Fahrräder Fahrzeuge sind und dass die Verkehrsteilnahme von Radfahrern - auch auf der Fahrbahn - keine 'Behinderung' darstellt, sondern Radfahrer gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sind. Die irrige Haltung 'Die Straße gehört mir allein' ist leider noch weit verbreitet", sagt ADFC-Sprecher Dirk Lau. Insofern komme der Unfall wenig überraschend.

Christian Schäfer vom ADAC Hansa widerspricht. Es handele sich um einen bedauerlichen Unfall, der sich nicht mit Aggressivität begründen lasse. Umso wichtiger sei im Straßenverkehr "eine gegenseitige Rücksichtnahme zwischen Autofahrern und schwächeren Verkehrsteilnehmern, ob es nun Fußgänger oder Radfahrer sind".