Eine Glosse von Alexander Schuller

Das gemeinsame Abendessen, am Esstisch eingenommen, ist unbestrittener Höhepunkt des täglichen Familienlebens. Der Vater erzählt von seinen Erfolgen in der Firma, die Mutter berichtet von den Verfehlungen und Versäumnissen der Kinder, und die wiederum versuchen, gerade zu sitzen, mit Messer und Gabel zu essen und vor allem nicht zu kleckern.

Gibt es etwas Schöneres, als sich für all die Dinge, die uns als Einzelner und als Familie beschäftigen, zu interessieren? Nein. Gemeinsame Mahlzeiten bedeuten: "Wir sind uns wichtig!" Dann aber kam das Fernsehen. Irgendwann dann auch Nintendo, später das Handy, jetzt das Smartphone. Parallel zu dieser technischen Aufrüstung versiegte zunehmend der natürliche Gesprächsfluss bei Tisch; auch wenn Millionen Frauen, die nach wie vor die Hauptlast der täglichen Speisenzubereitung tragen, für ein befristetes Nutzungsverbot der technischen Kommunikationshilfen kämpfen. Denn was im Flugzeug verboten ist, sollte bei Tisch ebenfalls nicht erlaubt sein.

Doch gegen den olympischen Geist hat die Esskultur keine Chance. Sogar Entscheidungen im 20-Kilometer-Gehen der Männer, Dressurreiten oder im Synchronschwimmen müssen live verfolgt werden. So flimmern zurzeit in Millionen Familien die Glotzen während des Essens, auch wenn Mutti heftig meckert. Doch weil Streit und Mahlzeiten äußerst kontraproduktiv sind, empfehlen Familientherapeuten, besser von vorneherein Schnittchen zu servieren - vorm Fernseher. Olympia ist schließlich in einer Woche gegessen.