Die Medizinerin der Altonaer Asklepios-Klinik, Dr. Barbara Hogan, kämpft seit Jahren für eine bessere Notfallversorgung in deutschen Kliniken.

Hamburg. Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 53: Dr. Barbara Hogan. Sie bekam den roten Faden von Hinnerk Bodendieck.

Ein paar Tage noch, dann wird Dr. Barbara Hogan gemeinsam mit ihrem Mann Michael nach Bayreuth reisen. Sie wird im Opernhaus auf dem Grünen Hügel unerschrocken Platz nehmen auf dem berüchtigten, unbequemen Gestühl, um dann sechs Stunden abzutauchen in die Welt von "Tannhäuser" und "Lohengrin", zwei romantischen Opern im Doppelpack. Mit Richard Wagner habe sie schon immer am besten entspannen können, sagt sie. Ausgerechnet mit Wagner?!

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"Natürlich Wagner", sagt die Medizinerin, wobei ihre Augen zu leuchten beginnen. "Da ist doch zum einen dieses Leitmotiv, das sich durch die gesamte Oper zieht, und um das sich dann wiederum weitere Motive ranken", schwärmt sie. "Einzeln für sich genommen hören die sich mal harmonisch, aber auch mal disharmonisch an, doch zusammengenommen ergibt sich ein wunderbares Klangbild. Na ja - nicht zuletzt ist das alles wohl auch ein bisschen vergleichbar mit der Sinfonie, die wir hier täglich spielen."

Mit "hier" ist die Zentrale Notaufnahme der Asklepios-Klinik Altona gemeint, "die beste und größte Notaufnahme, die wir derzeit in Deutschland haben." Mit "wir" meint sie das große Team aus Ober-, Fach- sowie Assistenzärzten, aus Pflege- und Verwaltungspersonal, wobei Barbara Hogan nicht erst explizit erwähnen muss, wer auf dieser Bühne, in diesem Orchester als Dirigentin den Takt angibt. Das spürt man, obwohl sie sich selbst höchstens als "prima inter pares" bezeichnen würde, innerhalb ihres Teams. "Als Einzelkämpferin hätte ich niemals das erreicht, was wir hier bereits erreicht haben und was ich unbedingt noch erreichen möchte", stellt sie unmissverständlich fest. Das wäre die Anerkennung des "Facharztes für Notfallmedizin", den sie für unser Gesundheitssystem als "schon lange überfällig" erachtet. Das ist ihre berufliche Lebensaufgabe. Und damit hätte auch ihr Fachgebiet endlich den Stellenwert erreicht, den es ihrer Meinung nach verdient.

Ein Journalist hat sie einmal als "Jeanne d'Arc der Notfallmedizin" bezeichnet. Darüber kann Barbara Hogan bis heute schmunzeln, denn die sagenumwobene Jungfrau, die im 15. Jahrhundert die Franzosen zum Sieg über die Engländer führte, hatte zwar einen guten Draht zum Allmächtigen, aber taugte definitiv nicht zur Teamplayerin. "Wäre ich wie sie, könnte ich doch gar nicht entspannt nach Bayreuth fahren. So aber weiß ich, dass alles gut läuft."

Doch die 51-Jährige ist tatsächlich nicht nur eine selbstbewusste Chefärztin, sondern auch eine in Kollegenkreisen leidlich gefürchtete Medizinfunktionärin. Jedenfalls teilweise, dort, wo gestriges Gedankengut und Standesdünkel gepflegt werden. Gern wird sie als "engagiert" oder "resolut" beschrieben.

Hogan amtierte neben ihrem eigentlichen Beruf jahrelang als Vorsitzende der am 17. Juni 2005 von ihr mitbegründeten Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfallaufnahme, einer Gesellschaft, die sich "der Förderung des Aufbaus und Weiterentwicklung der interdisziplinären Notfallbehandlung an Kliniken und medizinischen Einrichtungen innerhalb der Europäischen Union sowie der Förderung von Prozessorganisations- und Qualitätssicherungskonzepten im Schnittstellenbereich ambulanter und stationärer Versorgung" widmet. Das klingt zunächst fürchterlich kompliziert. Sei es aber gar nicht, meint Barbara Hogan und erklärt erst mal den Unterschied zwischen Notarzt und Notfallmediziner, weil das "leider immer noch sehr häufig verwechselt werde": "Notarzt bedeutet Martinshorn und Blaulicht, den Einsatz draußen auf der Straße. Diese Kollegen leisten hervorragende Arbeit. Notfallmedizin findet innerhalb der Notfallaufnahme in der Klinik statt und ist dann hervorragende Arbeit, wenn man es schafft, die vielen einzelnen Arbeitsabläufe zu einem harmonischen Gesamtbild zusammenzufügen." Womit sich der Kreis zur Wagner-Oper, zum Orchester und seiner Dirigentin wieder schließt.

Schon als junge Ärztin im Praktikum habe sie, die als Tochter eines Bremer Holzhändlers schon als kleines Mädchen vom Arztberuf träumte, gemerkt, dass die Notfallmedizin genau ihren Veranlagungen entsprach. Die heißen große Empathie zu Menschen und Organisationstalent, wobei Barbara Hogan großen Wert darauf legt, dass sie weder an einem Helfersyndrom leide noch eine Erbsenzählerin sei. Später, als sie bereits über mehr praktische Erfahrung verfügte und ausreichend hinter die Kulissen hatte blicken können, ärgerte es sie immer mehr, dass die Notfallmedizin im deutschen Gesundheitssystem bloß als ärgerliches Anhängsel behandelt wurde. Denn die anderen großen Medizinnationen marschierten zu diesem Zeitpunkt, Ende des vorigen Jahrhunderts, meilenweit voraus.

"Als wir in Leverkusen anfingen, waren wir sieben Mitglieder", erzählt Barbara Hogan, die damals noch im Klinikum Fulda die Notaufnahme leitete, "heute verzeichnet die DGINA annähernd 1000 Mitglieder." Inzwischen hat sie den Vorsitz abgegeben, allerdings nur, um ab kommendem Jahr als (bereits gewählte) Präsidentin der European Society for Emergency Medicine (EuSEM) zu amtieren. Für sie ein weiterer Schritt nach vorn und nach oben.

Dass sie manchmal gefürchtet ist, liegt jedoch weder an ihrem angeborenen Drang, Missstände abzubauen und Abläufe optimieren zu müssen, sondern eher daran, wie sie ihre Vision präsentiert, den unbestreitbaren Teamerfolg und letztendlich sich selbst. Barbara Hogan besitzt eine zähe, bisweilen hartnäckige Überzeugungskraft, die sie mit nicht unbeträchtlichem, typisch weiblichem Charme unterstützt. Und selbstverständlich kann sie ihre Argumente, die sie ruhig, klar und eindeutig formuliert, mit Fakten belegen. Auf diese Weise hat sie es geschafft, einige wesentliche Teile des verkrusteten deutschen Notfallmedizin-Systems aufzubrechen. Natürlich nur im Verbund mit ihren Mitstreitern von der immer mächtiger werdenden DGINA.

Nein, da schwebt kein Weißkittel ein paar Zentimeter über dem desinfizierten Krankenhausflur. Auch die sprichwörtliche Arroganz des "Halbgottes in Weiß" - "das ist doch Schnee von gestern", sagt Barbara Hogan, - musste nicht erst von der Aura der kompetenten Bodenhaftung verdrängt werden, die sie umgibt. Nur manchmal blitzt ein Funke zufriedener Stolz in ihren Augen auf, denn Frauen in medizinischen Führungspositionen haben ihren exotischen Stellenwert zwar mittlerweile verloren, aber im Vergleich zu den Studienanfängerinnen sowie der Zahl der Ärztinnen findet man sie im höheren Gesundheitsmanagement nach wie vor selten. "Die Sache mit der Karriere funktioniert natürlich nur, wenn die Ärztin sich organisieren kann. Wenn sie ihre Aufgabe des Kinderkriegens, ihre Familie und ihren Mann trotz ihres kräftezehrenden, zeitintensiven Berufs unter einen Hut bringt." Barbara Hogan selbst hat keine Kinder. Und sie hat auch erst vor knapp vier Jahren geheiratet; einen englischen Wirtschaftsjournalisten, der für die Agentur Reuters in Hamburg arbeitet. "O nein, nein - ich hatte auch schon vorher Beziehungen", sagt sie rasch, "aber ich habe mir eben Zeit gelassen, bis der Richtige in mein Leben kam. Darüber habe ich jedoch den Zeitpunkt für eigene Kinder verpasst - aber mein Mann hat ja bereits zwei Kinder, also hab ich jetzt auch welche."

Seitdem Barbara Hogan im Jahre 2008 ihren Dienst als Chefärztin in Hamburg antrat, ist die ZNA in der Asklepios-Klinik Altona eine eigenständige Abteilung. Nach geduldiger Überzeugungsarbeit bei den Architekten konnte sie einen nun wahrhaft prozessorientierten ZNA-Neubau begleiten, sorgte für freundliche, positive Farben an den Wänden, für eine hervorragende medizintechnische Ausstattung und nicht zuletzt auch für Kaffeeautomaten und Wasserspender, mit und ohne Kohlensäure. Sie krempelte mal wieder um, hatte jedoch immer den Rückhalt durch Asklepios und die Chefarzt-Kollegen in der Klinik Altona. Sie ließ all ihre Erfahrungen und Lehren aus ihren vorherigen Stationen in Hannover, Fulda und Aachen in die Konzeption der Altonaer ZNA einfließen. So sind heute 70 Prozent der Mediziner, die an 365 Tagen rund um die Uhr in drei Schichten ihren Dienst versehen, Fachärzte der verschiedenen Fachrichtungen, die explizit als Notfallmediziner arbeiten wollen und nicht, wie noch vielerorts üblich, zu dieser besonders anstrengenden und belastenden ärztlichen Tätigkeit zwangsverpflichtet werden müssen. Darüber hinaus - auch das eine weitere Besonderheit - ist in der Altonaer ZNA der Pflegedienst von Anfang an in die vielen verschiedenen medizinischen Abläufe und Prozesse voll integriert.

Nur so kann man dem Anspruch der Patienten gerecht werden, die für die erstaunlich geringen Vergütungssätze im ambulanten Bereich ein Maximum an medizinischer Kompetenz und Versorgung erwarten. Wobei die menschlichen Aspekte - Hin- und Zuwendung, Einfühlungsvermögen und Freundlichkeit - in dieser ZNA eine Selbstverständlichkeit sind.

Auch Barbara Hogan, die nebenbei ihren Master of Business Administration gemacht hat und zurzeit an ihrer Habilitation arbeitet, weiß, dass man mit einer gut funktionierenden Notaufnahme stets als Kostenverursacher auftritt. "Andererseits ist eine ZNA wie die hier in Altona eine Visitenkarte für die Klinik. Wir sind eine eigenständige Abteilung, die Fachärzte vorhält, die Notfallmedizin machen und vor allem machen wollen. Die meisten anderen Krankenhäuser haben dezentrale Notaufnahmen, etwa für Schlaganfälle oder Koronarerkrankungen oder Schnittverletzungen." Die zweite Variante sei eine ZNA, die zwar über einen gemeinsamen Eingang für alle Notfallpatienten verfüge, hinter dem die medizinischen Notfälle jedoch wieder auf die einzelnen medizinischen Fachbereiche getrennt würden. "Wir haben das nicht mehr. Bei uns werden alle Patienten in der Notaufnahme versorgt und sehen innerhalb von höchstens zehn, manchmal auch 15 Minuten einen Arzt, der nach einer symptomorientierten Diagnose die weiteren Untersuchungsschritte anordnet." Dieser Arzt sei stets der erfahrenste Mediziner, derjenige mit der höchsten Kompetenz. "Unser "First View-System" ("auf den ersten Blick") erspart die gefürchteten langen Wartezeiten und sorgt für mehr Patientenzufriedenheit und -sicherheit. Denn so wissen die Assistenzärzte, die jetzt die notwendigen Untersuchungen durchführen, dass der Patient schon auf dem richtigen Pfad ist." Nach Abschluss der Untersuchungen würden dann die Ergebnisse dem Oberarzt vorgelegt, der wiederum über den weiteren Behandlungsverlauf entscheidet.

Bis vor Kurzem hing noch eine Fotomontage in ihrem Büro, von der George Clooney alias Dr. Douglas Ross herunterlächelte, der Serienheld aus der amerikanischen TV-Serie "Emergency Room". Clooney hat sie jedoch inzwischen in den Fortbildungsraum verbannt. "Es ist nicht gut, wenn Ärzte in der Notaufnahme rennen, wie oft in ,Emergency Room' dargestellt", sagt Barbara Hogan. Das mache die Patienten nur nervös.

Rennen tue sie nur im Blankeneser Treppenviertel. Für die Fitness, zweimal pro Woche, mit einer persönlichen Trainerin. Und ein bisschen Wagner in den Kopfhörern.