Hinnerk Bodendieck ist viel mehr als “nur“ ein maritimer Maler. Mit seiner Reeperbahn-Porträt-Serie erregte er Aufsehen in der Stadt.

Hamburg. Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 52: Hinnerk Bodendieck. Er bekam den roten Fadenvon Kapitän Jochim Westphalen.

Hinnerk Bodendieck wippt vor der Staffelei auf seinen Füßen, die in klassischen, blauen Bootsschuhen stecken. Er überlegt. Er nimmt Maß. Er versucht, sich die Perspektive, die Größenverhältnisse, eben das gesamte Szenario vorzustellen, das er in wenigen Augenblicken auf die Hartfaserplatte übertragen will. Das Bild.

Die "Hanseatic" soll es werden, jenes traditionsreiche Hamburger Kreuzfahrtschiff, das längsseits an einem Kai in New York liegt (vielleicht nur wenige Stunden vorm großen Brand, der den Dampfer dort am 7. September 1966 zerstörte). Fürs Foto soll sie mit dem "roten Faden" des Hamburger Abendblatts vertäut werden, der sich von Backbord ins Gemälde hinein schleichen, sich dann unsichtbar durch den stählernen Rumpf schlängeln und auf der Steuerbordseite des Schiffes wieder austreten soll, um sich dann irgendwo in den schmutziggrauen Wassern des Hudson River zu verlieren ...

Noch einmal innehalten. Dann taucht Bodendieck endlich einen breiten Pinsel in die wasserlösliche Ölfarbe. Binnen weniger Augenblicke entstehen nun die Umrisse eines Schiffskörpers, dann fliegen mehrere Pinsel verschiedener Stärken abwechselnd mit beinahe schon atemberaubender Geschwindigkeit und Leichtigkeit über die Hartfaserplatte. Eins, zwei, drei sind der Rumpf sowie sämtliche Aufbauten, die Brücke, der Schornstein der "Hanseatic" fertig, schon im nächsten Moment entsteht der Anleger; jetzt rasch noch ein Poller für den roten Faden, dann noch eine angedeutete Menschenmenge, mit Ockertönen auf den Kai getupft - und das Bild ist fertig. Es ist ein besonderes Bild, denn es ist vor Bodendiecks geistigem Auge, in seinem Atelier, entstanden. Und nicht vor Ort. "Denn wenn ich wirklich die Wahrheit erfahren will, muss ich hingehen", sagt er. Und scheint dennoch einigermaßen zufrieden zu sein mit dem, was er da in gerade mal einer Viertelstunde gemalt hat.

Das Atelier des maritimen Malers befindet sich in der ersten Etage eines Gewerbehofes am Bahrenfelder Beerenweg und entspricht so ziemlich dem typischen Klischeebild eines Künstlerdomizils: Es ist vollgestopft mit Gemälden, fertigen, halb fertigen und angefangenen, die überall dort herumstehen und -liegen, wo irgendwie Platz ist; da wartet ein durchgesessenes Sitzensemble aus der Gründerzeit, garniert mit speckigen Ledersesseln; in einer weiteren Ecke steht wiederum ein seltsam ordentlicher, fast puristisch anmutender Schreibtisch, bestückt mit modernstem digitalen Equipment; und dann ist da natürlich auch die obligatorische große Staffelei nebst einer rummeligen Teeküche. Dort wird ein vorzüglicher Milchkaffee zubereitet. Wobei Bodendieck sich selbst darüber zu wundern scheint, dass er ein paar saubere Tassen gefunden hat.

Hinnerk Bodendieck, hochgewachsen und hager, mit leicht gewellter Wuschelmähne, mit einem frischen, offenen Gesicht und viel jünger als 47 wirkend, ist ein schneller Maler. Einer, der nicht lange fackelt und Augenblicke, Gefühlsregungen und Lichtstimmungen festzuhalten versucht. Auf althergebrachte Weise, mit Pinseln und Staffelei, die er in einem umgebauten Kinderanhänger verstaut, den er mit seinem Fahrrad hinter sich herzieht, wenn er sich auf Motivsuche begibt. Neugierig wie ein Kind, manchmal fast schon ein wenig naiv, wie er meint, und erinnert sich mit leichtem Schaudern an seine Reeperbahn-Porträt-Serie, mit der er vor zwei Jahren einiges Aufsehen in der Stadt erregte. Er malte kaputte und gebrochene, stolze und weniger stolze, buckelige und schöne Gestalten, die alle etwas gemeinsam hatten: Sie waren im Rotlichtbezirk zu Hause, und bereits ihre Gesichter konnten immer eine Geschichte erzählen. "Zum Teil unglaublich herzliche Menschen, die unter harten Bedingungen leben. Das hat mich damals sehr interessiert", sagt er.

Dabei kam er manchmal in kitzlige Situationen. "Mein Anspruch ist es ja, den Leuten oder den Landschaften oder den Dingen gerecht zu werden. Aber wenn die dann kommen, das Bild angucken und sagen 'nee, nee, Meister - mein Busen ist ja viel zu klein - und der Mund muss schöner!', dann hast du ein echtes Problem!"

Kenner der Kunstszene beschreiben Bodendieck zum Beispiel als "spontanen, kraftvollen und impressionistischen Maler, in dessen Bildern sich hauptsächlich die tiefe Verbundenheit mit Yachten und der See, aber auch sein Gefühl für die Verlockungen der Hamburger Kiezviertel ausdrücken." Deshalb gehört er wohl auch zu der sechsköpfigen Künstler-Reisegruppe, die im Herbst nach Triest fahren und ihre Werke in der Staatsbibliothek ausstellen soll; sozusagen als hanseatische Kulturbotschafter.

Bodendieck zuckt mit den Schultern. Was ihn dagegen richtiggehend irritiert ist, wenn ihn seine Sammler und Anhänger als "begnadet" bezeichnen.

Seine beiden Töchter, Mieke und Lili, neun und elf Jahre alt, hätten sich an ihren leicht schrägen Vater, der sogar auf den gemeinsamen Badeausflügen eben mal ein paar Miniaturen entstehen lässt, inzwischen gewöhnt. Seine Frau Franziska empfindet das Malen als Bereicherung des Familienalltags. Sie ist aber auch Psychotherapeutin und daher mit dem Umgang mit extrovertierten Persönlichkeiten vertraut. "Solche Bilder nebenher werden oft meine besten", sagt Hinnerk Bodendieck ernst, "denn es sind die Bilder, die ich ohne Druck und Anspruch male."

Damit lässt er das Kernproblem seines selbst gewählten Daseins anklingen, das den gebürtigen Hamburger begleitet, seitdem er sich vor gut 17 Jahren dafür entschieden hatte, hauptberuflich zu malen. Ein Künstler zu werden, sich in einer hart umkämpften Szene zu behaupten und wenig später mit der Malerei auch noch eine Familie ernähren zu wollen.

Seine Frau steuerte mit ihrer Praxis selbstverständlich was zum Familieneinkommen bei, jedenfalls soweit es die Kinder zuließen. Die Haupteinnahmequelle aber bleibt seine Malerei. Ausflüge in andere Leidenschaften wie die Lehre an der Armgartstraße oder die seit Jahren parallele Arbeit als politischer Illustrator der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" führten in finanzielle Schwierigkeiten.

"Der Punkt ist: Ohne Malerei geht es nicht. Ich habe es ein paarmal versucht - ich will die Malerei befreien von der harten Aufgabe des Geldverdienens, aber bleibe, auch so, an sie gebunden. Das macht den Kern der Hassliebe aus, die Untreue und Undankbarkeit dem Talent und der relativen Leichtigkeit gegenüber."

Über den Daumen habe er zwei Ausstellungen pro Jahr. Davon könnte die Familie gut leben. Doch jede dieser Ausstellungen muss ein Erfolg werden, sonst könnte es eng werden. Und es gibt nun mal immer Situationen, in denen einem die Bilder nicht so leicht von der Hand gehen. "Man kriegt sie einfach nicht gemalt, weil es plötzlich ein Zwang ist und dann, ja, Scheiße, dann stehst du da, und es kommen 300 Leute hier rein, und dann erfährst du ziemlich schnell, ob es gut war, was du geschafft hast."

Aber Bodendieck will partout nicht den Eindruck eines Jammerlappens erwecken.

Dabei hatte er wider Erwarten nach dem Abitur sofort einen der raren Studienplätze für Medizin ergattert, und das sogar in Hamburg, seinem Segelrevier. Seine Eltern machten drei Kreuze. Der Junge würde einen anständigen Beruf erlernen. Er hielt tapfer drei Semester lang durch, bevor er dann, sehr zum Leidwesen seiner Eltern, doch die Kittel tauschte und sich an der Fachhochschule an der Armgartstraße einschrieb, um Grafikdesign zu studieren.

Er hätte aber auch Bootsbauer werden können; sein erstes Boot, eine offene Jolle, konstruierte und baute er zwischen seinem 19. und 22. Lebensjahr als Autodidakt, mit seiner damaligen Freundin unternahm er darauf "haarsträubende Reisen" bis hinauf nach Norwegen. "Wir waren völlig gaga! Aber ich bin nun mal mit Booten und Schiffen sozialisiert worden", erzählt er. Wahrscheinlich, weil beide Familien seiner Eltern, die bis heute in Blankenese gegenüber von Otto Waalkes wohnen, ursprünglich aus Cuxhaven stammten. Der eine Großvater fuhr zur See (und ging später zum Zoll), der andere war Werftleiter auf der Cuxhavener Mützelfeldt-Werft, "und als Enkel vom alten Bodendieck durfte ich dort rumklettern, wo ich wollte".

Seine Eltern - der Vater ist Architekt - wissen inzwischen, dass ihr Sohn längst in der oberen Malerliga mitspielt Sicherlich nicht an der finanziellen Spitze, aber im leidlich gesicherten Mittelfeld, "und das, obwohl meine Malerei eigentlich altbacken ist", wie er behauptet, "na ja, überholt." Mit aller Bescheidenheit. Aufkommenden Widerspruch erstickt er im Keim: "Aber natürlich! Es ist konventionell, was ich mache. Ich jage doch einem Malerei-Ideal hinterher, das aus dem vorletzten Jahrhundert stammt."

Er wolle damit allerdings nur klarstellen, dass er ganz genau wisse, dass seine Werke wohl weder die Kunstgeschichte noch die Welt verändern werden. Er bewundere dagegen die jungen Wilden, ihre riesigen Formate und ihren Mut, Irritation und Wut rauszulassen. "Es gibt gute Gründe dafür, dass die Richters und Biskys und Rauchs und wie sie alle heißen heute dort sind, wo sie sind. Das kommt nicht von ungefähr!", sagt er, und kein Quäntchen Neid verstellt seine Stimme.

Lieber betrachtet er versonnen ein beinahe mannshohes Bild, das eine Frau zeigt, die leicht bekleidet auf einem Stuhl sitzt. "Das ist meine Frau, so wie ich sie sehe, so wie ich sie liebe. Das ist sie. Oder zumindest ein Teil von ihr. Genau das macht für mich die Qualität von Porträts aus. Da bin ich selig. Wenn ich Glück habe, dann spiegelt ein Bild meine Begeisterung zurück - über die Liebe, das Elbufer, die Lichtreflexe, die Dampfer. Und wenn sich das widerspiegelt ..." sagt Bodendieck zwinkernd, "... dann kaufen die Leute das auch."

Hinnerk Bodendieck gibt den roten Faden an Dr. Barbara Hogan, Chefärztin der Zentralen Notambulanz in der Asklepios-Klinik Altona, weiter. "Ich wäre ja fast selbst mal Arzt geworden - und außerdem habe ich damals als Grafikstudent meine ersten Zeichenversuche in diesem Krankenhaus gemacht."