Deutschland wird in der Schuldenkrise von der harten Linie abrücken müssen

Mario Draghi konnte gar nicht mehr zurück: Nachdem er den Finanzmärkten in der vergangenen Woche Hoffnungen auf ein umfangreiches Staatsanleihen-Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank gemacht hatte, musste ihr Präsident gestern in der Pressekonferenz nach der monatlichen Zinssitzung konkreter werden. Allerdings knüpfte er die Anleihekäufe an so viele Bedingungen, dass die Börse zunächst enttäuscht reagierte. Man darf vermuten, dass Bundesbank-Chef Jens Weidmann erheblichen Anteil an dieser vorsichtigen Taktik hatte.

In der Euro-Schuldenkrise befindet sich die EZB mittlerweile aber ohnehin in einer paradoxen Situation: Nur die Notenbank hat die Mittel, kurzfristig zu verhindern, dass hoch verschuldete Länder durch hochschießende Anleihezinsen finanziell stranguliert werden. Auf der anderen Seite können die Währungshüter nicht die Ursachen der Krise beseitigen - das kann nur die Politik tun.

Zuallererst sind natürlich die Länder mit akuten Schuldenproblemen gefordert. Dort hat sich die Wirtschaft über etliche Jahre viel ungünstiger entwickelt als in Deutschland, ohne dass es den Menschen im gleichen Maße schlechter ging als hierzulande. Nun müssten die betreffenden Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, sagen Ökonomen. Aber was heißt das konkret? Löhne werden sinken, Sozialleistungen werden gekappt werden müssen, und das über viele Jahre.

Damit stehen Staaten wie Griechenland und Spanien vor einem Dilemma: Jede weitere Sparanstrengung stürzt die Wirtschaft tiefer in die Rezession, was die Schuldenquote tendenziell erst einmal weiter steigen lässt. Und bei jeder Wahl besteht erneut die Gefahr, dass eurofeindliche Parteien von den äußerst unpopulären Beschlüssen der jeweiligen Regierung profitieren und die Reformfortschritte womöglich zunichte gemacht werden.

Vor diesem Hintergrund spielt Deutschland als ökonomisch stärkster Staat der Währungsunion eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Krise. Eines zeichnet sich bereits ab: Die Deutschen werden ihre bisherige harte Linie aufgeben müssen. Das gilt zunächst für die Bundesbank. Der Eindruck der Uneinigkeit innerhalb der EZB, den Weidmann mit seinem öffentlichen Beharren auf ehernen Prinzipien der Geldpolitik immer wieder erzeugt, trägt nicht dazu bei, die Investoren zu beruhigen.

Aber auch die Bundesregierung wird von ihrer geradezu dogmatischen Haltung abrücken müssen. Man darf gespannt sein, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen solchen Schwenk erklären wird. Denn ganz ohne eine gemeinsame Haftung für Schulden - also die Einführung sogenannter Euro-Bonds in irgendeiner Form - wird es nicht gehen. Südlichere Euro-Staaten fordern ein Einlenken Berlins mit einem Argument, dem sich schwer etwas entgegensetzen lässt: Deutschland wird als Hauptprofiteur der Währungsunion gesehen, der nun gewissermaßen nachträglich einen Preis für die genossenen Vorteile zahlen muss.

Zwar gibt es unter Ökonomen keinen Zweifel, dass der Euro der deutschen Wirtschaft tatsächlich in immensem Umfang geholfen hat. In wachsenden Teilen der Bevölkerung aber steht man der Gemeinschaftswährung heute skeptisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber. Dabei hatten die Väter der Währungsunion gehofft, dass die grenzüberschreitend gültigen Münzen und Banknoten den europäischen Gedanken fördern würden. Stattdessen besteht nun die Gefahr, dass der Euro in der Öffentlichkeit zum Symbol des Scheiterns wird, wenn es nicht bald gelingt, die Wellen zu glätten.

Auch Deutschland könnte an einen Scheideweg kommen - an den Punkt, an dem man sich die Frage stellen muss, ob zusätzliche Opfer zugunsten des Euro politisch wirklich noch zu vertreten sind. Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen in Frankfurt und Berlin dies bedenken und mit Augenmaß ihren Beitrag dazu leisten, dass die Schuldenkrise noch rechtzeitig abflaut.