Fast jeder Deutsche kauft bei Aldi ein, doch der scheue Gründer der Nord-Gruppe, Theo Albrecht, blieb zeit seines Lebens ein Phantom.

Die Nachricht vom Tod des Unternehmensgründers kam per Fax. Ein schnörkelloses, dreiseitiges Schreiben, ohne Firmenlogo, verschickt vom Sekretariat des Aldi Einkaufs, jener Abteilung, die bei Deutschlands größter Billigkette dem am nächsten kommt, was andere Konzerne eine Pressestelle nennen. "Die Unternehmensgruppe Aldi Nord gibt bekannt, dass ihr Gründer Theo Albrecht am vergangenen Sonnabend im Alter von 88 Jahren in Essen verstorben ist" heißt es darin.

Und dann folgen die bis dahin einzigen persönlichen Sätze, die der Konzern je über den ehemaligen Firmenlenker veröffentlicht hat. "Aldi trauert um einen Menschen, der gegenüber seinen Geschäftspartnern und Mitarbeitern bescheiden auftrat und sie immer mit großem Respekt behandelte. Wir verlieren mit ihm unseren hoch geschätzten Unternehmensgründer und aufrichtigen Menschen."

Zu dem Zeitpunkt, als die Öffentlichkeit vom Tod Theo Albrechts erfuhr, war dieser bereits beigesetzt - in aller Stille im engsten Familienkreis, auf dem Essener Prominentenfriedhof im gediegenen Stadtteil Bredeney. Das breite Grab des Unternehmers - noch ohne Grabstein - wirkt schlicht und spartanisch. Einen Kranz mit Schleife gibt es. "Deine Cilly" steht darauf - der letzte Gruß seiner Frau.

Genau so hatte es sich Deutschlands Discount-König wohl gewünscht. Vielleicht würde er sogar schmunzeln, wüsste er, dass er noch einmal den Augen der Öffentlichkeit entwischen konnte. Theo Albrecht war Zeit seines Lebens ein Phantom, ein Unsichtbarer. Der drittreichste Deutsche mit einem geschätzten Vermögen von zwölf Milliarden Euro, der Erfinder der Niedrigpreise, Lenker eines weltweit operierenden Handelskonzerns mit rund 50 000 Mitarbeitern. Er galt als streng katholisch und notorisch sparsam. Ein Sammler alter Schreibmaschinen soll er gewesen sein und ein passionierter Golfspieler.

Wer der zuletzt schwer kranke Aldi -Gründer aber wirklich war, das könnten wohl nur eine Handvoll Menschen beantworten. Seine Frau Cäcilie, genannt Cilly, die Söhne Theo junior und Berthold und natürlich sein Bruder Karl (90), der über den Süden des geteilten Aldi-Reiches gebietet. Die letzten öffentlichen Äußerungen der Albrecht-Brüder selbst stammen aus den Jahren 1953 und 1971, die letzten Bilder wurden, gegen ihren Willen, in den 80er-Jahren aufgenommen. Es scheint, als sei das Wort Geheimniskrämer allein für die Aldi-Gründer erfunden worden.

Das Rätselraten beginnt schon mit der Geburt von Theo Albrecht. In Essen, im Jahr 1922 soll er geboren sein, am 13. März. Es könnte aber auch der 28. März gewesen sein, wie andere Quellen berichten. Der Vater war Bergmann, litt an einer Staublunge und nahm daher eine schlecht bezahlte Arbeit in einer Brotfabrik an. Deshalb mussten die Brüder schon früh im Lebensmittelgeschäft der Mutter mithelfen.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges bauten Theo und Karl das elterliche Geschäft mit Geschick und unternehmerischem Spürsinn aus. Bis 1960 hatten die Brüder den Betrieb schon auf 300 Filialen ausgeweitet. Der eigentliche Durchbruch gelang allerdings erst, als sich die cleveren Krämersöhne an ein Konzept herantrauten, das später unter dem Schlagwort Discount berühmt werden sollte: Beschränkung des Sortiments auf ein paar Hundert Artikel, keine Markenprodukte, stattdessen Eigenmarken mit guter Qualität, niedrige Preise, schlichte Verpackung, karge Läden. "Das Aldi-Prinzip war in den 60er-Jahren etwas völlig Neues", sagt der Handelsforscher Matthias Queck von der Marktforschungsgesellschaft Planet Retail. Billig zu sein war aber nur ein Teil des Erfolgsrezepts. "Günstige Preise allein machen es nicht, es muss Qualität dazukommen", betont er. Der besondere Aldi-Dreh sei die Begrenzung des Sortiments gewesen: Diese habe die Kostenersparnis und damit niedrige Preise ermöglicht.

1962 eröffnete Theo Albrecht in Dortmund den ersten Albrecht-Discount (AlDi), der zum Namensgeber für die gesamte Kette werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die beiden Brüder allerdings bereits getrennt. Sie hatten sich darüber zerstritten, ob Zigaretten ins Sortiment ihrer Geschäfte aufgenommen werden sollten. Theo kümmerte sich künftig um den Norden des Billig-Imperiums, Karl hingegen um den Süden. Die Trennungslinie der beiden unabhängig voneinander agierenden Unternehmensgruppen verläuft quer durch Nordrhein-Westfalen und Hessen. In der Branche ist sie bekannt als der Aldi-Äquator.

Im Norden trieb Theo Albrecht den Ausbau seines Discount-Reichs zielstrebig voran. Früh setzte er auf eine Internationalisierung, ging nach Belgien, Dänemark, Frankreich, Spanien und Portugal. Anfang der 70er-Jahre wagte er mit der Kette Trader Joe's auch den Sprung in die USA. Bruder Karl konzentrierte sich hingegen auf den Ausbau der Geschäfte in Österreich, Australien, Großbritannien und Irland.

"Heute schauen große Handelskonzerne aus der ganzen Welt genau darauf, was Aldi macht", sagt Handelsexperte Queck. Die Discount-Idee habe sich von Deutschland aus um den ganzen Globus verbreitet. Und im eigenen Land ist die Macht der Billigketten dermaßen groß, dass selbst der weltgrößte Handelskonzern Wal-Mart seine Expansion hierzulande stoppen musste. Den Preisen der Albrecht-Brüder konnte er auf Dauer nicht Paroli bieten.

Während Theo Albrechts Unternehmen immer weiter wuchs, zog sich der ohnehin scheue Firmenchef aber immer weiter in sein Privatleben zurück. Es war vor allem die Entführung Albrechts im November 1971, die ihn zeitlebens misstrauisch und extrem vorsichtig werden ließ. Dreimal hatten die Entführer - ein Rechtsanwalt mit Spielschulden und ein mehrfach vorbestrafter Tresorknacker - dem damals 49 Jahre alten Unternehmer vor der Aldi-Hauptverwaltung aufgelauert. Beim ersten Mal verließ sie der Mut, beim zweiten Mal hatten sie ihre Waffen vergessen.

Am 29. November verschleppten sie schließlich ihr Opfer mit vorgehaltener Pistole - nicht ohne sich zuvor den Pass Albrechts zeigen zu lassen. Der Konzernchef hatte einen dermaßen schlichten Anzug an, dass die Täter nicht sicher waren, den richtigen erwischt zu haben. Im Essener Polizeipräsidium lief daraufhin die bis dahin größte Fahndung der Bundesrepublik an. Nach zähen Verhandlungen der Polizei mit den Entführern, die sich per Brief oder Telefon meldeten, erklärte sich Ruhrbischof Franz Hengsbach schließlich "unter der Schweigepflicht des Beichtgeheimnisses" bereit, für die Lösegeldübergabe zu sorgen.

Am 16. Dezember händigte der Bischof auf einem dunklen Feldweg den Entführern in zwei Koffern das Lösegeld aus und sorgte damit für die Freilassung Albrechts. Der kehrte am nächsten Tag wohlbehalten zu seiner Familie zurück. Die Täter konnten schnell gefasst werden und wurden vom Landgericht Essen zu einer Freiheitsstrafe von jeweils achteinhalb Jahren verurteilt.

Bei den Beamten der Sonderkommission bedankte sich der Unternehmer mit 120 Flaschen Sekt, zwei Fässern Bier und zwölf Flaschen Schnaps.

Den Schock seines drei Wochen dauernden Martyriums verkraftete Albrecht aber nie ganz. Bis vor drei Jahren ließ sich der Herr über das Discountgeschäft zwar immer noch regelmäßig in die Essener Unternehmenszentrale fahren. Er benutzte dazu aber stets unterschiedliche Mercedes-Limousinen und wechselte häufig die Fahrtroute.

Während die Entführung Albrechts Zurückhaltung weiter verstärkte, blieb ein anderer Charakterzug von den Erlebnissen aber offenbar unberührt: seine legendäre Sparsamkeit. So sorgte der Unternehmer Ende der 70er-Jahre für Erstaunen, als er vor dem Düsseldorfer Finanzgericht die volle steuerliche Absetzbarkeit der materiellen Entführungsschäden einklagte. Es gibt zahlreiche andere Geschichten, die sich darum ranken, wie sehr der Aldi-Chef aufs Geld schaute. Einmal soll er einen Regionalleiter gemaßregelt haben, weil dieser angeblich das Eigentum der Firma beschädigt hatte. Der Mann hatte eine Büroklammer verbogen.

Theo Albrecht habe seit Beginn seines unternehmerischen Handelns auf "uneingeschränkte finanzielle Solidität" gesetzt, heißt es zum Thema Sparsamkeit in der gestern verbreiteten Aldi-Erklärung. Das hat der Billigkette einen Status eingebracht, um die sie viele andere Unternehmen glühend beneiden dürften. Aldi Nord besitzt derzeit keine Verbindlichkeiten, das Unternehmen ist nach eigener Darstellung quasi schuldenfrei.

Es gab allerdings auch Mitarbeiter aus dem Aldi-Konzern, die sich über die mangelnde Risikobereitschaft des Gründers beklagten. Dieser hatte die Geschicke der Nord-Gruppe zwar schon lange in die Hände seines Generalbevollmächtigten Hartmuth Wiesemann gelegt, versuchte aber, im Hintergrund noch immer das Unternehmen zu kontrollieren - selbst dann noch, als ihn seine Krankheit schon ans Bett in seiner Essener Villa fesselte.

So standen Gelder für die Erneuerungen in die Jahre gekommener Aldi-Filialen zuletzt kaum noch bereit, und was Innovationen anging, so war es meist das von Karl Albrecht kontrollierte Süd-Imperium, das die Impulse setzte. Aldi Süd führte zuerst die EC-Karten-Zahlung ein, experimentierte mit dem Verkauf von Kunstwerken und machte zuletzt mit ungewöhnlichen Projekten wie Discount-Tankstellen und automatischen Backstuben von sich reden.

"Nach dem Tod Theo Albrechts könnte es zu einer Reihe von Neuerungen bei Aldi Nord kommen", meint Handelsexperte Queck. Vielleicht hat der Firmengründer aber auch hier schon etwas vorbereitet, um sogar noch über seinen Tod hinaus in der Billigkette die Fäden zu ziehen. Zuzutrauen wäre es ihm, dem alten Geheimniskrämer.