Im September soll die neue Anlage in Wilhelmshaven an den Start gehen - nach vielen Rückschlägen. Das Abendblatt hat sich vor Ort umgeschaut.

Wilhelmshaven. Seit vier Wochen wird die "Northern Vitality" be- und entladen. Immer wieder heben riesige rot-blaue Spezialbrücken Container vom Terminal auf das Schiff und von dort auf die Kaje, wie der Kai in Wilhelmshaven heißt. Oben am Arbeitsplatz von Anik aus der Wieschen, gut 40 Meter über der Kaje auf Containerbrücke 3, erkennt man, warum es mit der Beladung kein Ende nimmt. Die Container, mit denen die Brückenfahrer arbeiten, sind immer dieselben. An der "Northern Vitality", einem Frachter mit 2800 Containereinheiten (TEU) Ladekapazität, üben die Fahrer von Eurogate, wie man einen Hafenbetrieb testet.

Zwei Jahre lang ließ sich Aus der Wieschen, 33, von Eurogate zur Fachkraft für Hafenlogistik ausbilden. Praktische Erfahrungen sammelte er vor allem auf den Eurogate-Terminals in Hamburg und in Bremerhaven. In seinem zuvor erlernten Beruf als Physikalisch-technischer Assistent hatte er in der Region um Wilhelmshaven keine Anstellung gefunden. So arbeitete er in der Gastronomie, bis die Arbeitsagentur nach Personal für den neuen JadeWeserPort suchte. Nun sitzt Aus der Wieschen auf einer nagelneuen Containerbrücke des größten Typs weltweit und blickt auf das Wasser der Nordsee hinaus - auf das Fahrwasser des einzigen deutschen Tiefwasserhafens. "Alle Kollegen hier freuen sich, wenn wir mit dem echten Betrieb beginnen."

Als herausfordernd erweist sich das Projekt JadeWeserPort seit mehr als einem Jahrzehnt. Von Beginn an gab es politische Querelen, ökonomische und technische Rückschläge, rechtliche Auseinandersetzungen. Zu Beginn der 2000er-Jahre hatte sich Hamburg an den ersten Vorarbeiten beteiligt, war dann aber aus dem Projekt mit Bremen und Niedersachsen ausgestiegen. Zwischen den beiden Ländern, die den Bau allein realisierten, gab es Spannungen, als der Start der Anlage von 2011 auf 2012 verschoben wurde. Grund war der starke Rückgang der transportierten Container nach dem Beginn der Weltfinanzmarktkrise im Jahr 2009. Bremen wollte nicht ausgerechnet in dieser Zeit eine neue Konkurrenz für die Terminals in Bremerhaven eröffnen, die nur gut 30 Kilometer Luftlinie entfernt liegen. Die Regierung in Hannover willigte ein. Doch der Ärger war groß, denn der eine Milliarde Euro teure JadeWeserPort ist das größte Infrastrukturprojekt des Landes seit langer Zeit.

Seit sieben Jahren arbeitet Marcel Egger daran, dass Niedersachsen, Bremen und sein Unternehmen diesen Hafen bekommen. Egger, 47, ist Mitglied der Geschäftsführung bei Eurogate, dem größten Betreiber von Containerterminals in Europa mit Sitz in Hamburg und in Bremen. Zugleich leitet er das Container Terminal Wilhelmshaven (CTW), dessen Aufbau er vom ersten Federstrich für die Ausschreibung des Projektes an vorangetrieben hat. Egger und sein Manager Thomas Bartsch, 53, fahren mit einem Kleinbus über das Areal, das eine Fläche von gut 177 Fußballfeldern umfasst. Das neue Verwaltungsgebäude ist noch eingerüstet. Von der kommenden Woche an sollen die Eurogate-Mitarbeiter von ihrem provisorischen Sitz in der Wilhelmshavener Kutterstraße auf das Terminal ziehen. "Vom 1. August an haben wir hier die offizielle neue Adresse Ozean-Pier 1", sagt Egger stolz.

+++ JadeWeserPort: Krisengespräch wird fortgesetzt +++

Hochlader für Container, sogenannte Van Carrier, fahren umher und simulieren an den acht bereits aufgestellten Containerbrücken die Abläufe für die Be-und Entladung der Stahlboxen. An den Ein- und Ausgängen testen Fahrer des Unternehmens mit Sattelschleppern die An- und Abmeldung. "Wir fahren drei Monate lang Probebetrieb, bevor es losgeht", sagt Egger. "Das ist ambitioniert. Die technischen Abläufe sind stark automatisiert und müssen optimal abgestimmt werden."

Nach der vorletzten Planung hätte das Terminal am 5. August eröffnen sollen. Doch im Frühjahr wurde klar, dass die Spundwand, die Begrenzung der Kaje zum Wasser hin, an etlichen Verbindungsstellen der einzelnen Stahlplatten schadhaft war. Der Sand, der die Teerfläche der Anlage trägt, hätte austreten können. Dann könnte die Kaje die Großgeräte nicht mehr tragen. Die Wand musste saniert werden - was auch den Probetrieb verzögerte, ohne den Eurogate den Betrieb nicht aufnehmen will. Nun soll das Terminal in der zweiten September-Hälfte starten, heißt es offiziell.

Der Tonfall zwischen den beteiligten Parteien pendelt mittlerweile auf der Skala von freundschaftlich bis geschäftlich deutlich in die zweite Richtung. Bauherr für die gesamte Terminalfläche ist die JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft. Ausgeführt wird der Bau von einem Konsortium unter Führung des Papenburger Unternehmens Bunte. Beide Seiten haben sich mit Baugutachten für den juristischen Streit darüber gerüstet, wer für die Mängel die Verantwortung trägt und damit die Mehrkosten von rund 50 Millionen Euro. Auf einer Länge von 650 Metern verstärkten die Bauunternehmen die Stahlwand unter Wasser mit einer neun Meter hohen Wand aus Betonsegmenten, die von außen nicht zu sehen ist. Die übrigen sogenannten Schlosssprengungen in der Spundwand sollen von Spezialisten mithilfe von Tauchern repariert werden. Warum so viel Verbindungen vorzeitig brachen, ist bislang unklar.

1000 Meter Kajenlinie gab die Realiserungsgesellschaft am 25. Juli für die "uneingeschränkte" Nutzung an Eurogate frei. Weitere 725 Meter Kaje sollen mit dem zweiten Bauabschnitt in einem Jahr folgen. "Von uns aus wird es im September losgehen", sagte Axel Kluth, Geschäftsführer der Realisierungsgesellschaft, dem Abendblatt. "Es gibt keinen Grund, den Starttermin weiter hinauszuschieben. Jetzt ist Eurogate gefordert, die Anläufe des Hafens durch die Schiffslinien zu organisieren."

Für Wilhelmshaven, eine der wirtschaftlich schwächsten Städte in Deutschland, verheißt der Hafen die Chance, den Anschluss nicht ganz zu verlieren. Entsprechend hoch ist der Erwartungsdruck in der Region. "Wir haben 330 Mitarbeiter eingestellt", sagt Eurogate-Manager Bartsch. "Mehr als 200 von ihnen waren Langzeitarbeitslose aus der Region, die wir mit finanzieller Unterstützung der Arbeitsagentur ausgebildet haben." Mit später insgesamt 16 Containerbrücken plant Eurogate einen jährlichen Umschlag von rund 2,7 Millionen Containereinheiten. Das entspricht in etwa dem, was das Hamburger Terminal Altenwerder der HHLA heutzutage leistet.

Hinter dem Terminal entsteht eine separate Logistikzone, in der die Betreibergesellschaft Unternehmen ansiedeln will. Nordfrost ist bereits da und bereitet eine Anlage für den Import von Obst und Gemüse in Kühlcontainern vor. Der JadeWeserPort besitzt eine zweigleisige Bahnanbindung und eine Autobahnzufahrt vor dem Eingangstor. Daraus lässt sich viel machen. Vor allem deshalb, weil Wilhelmshaven mit einer Wassertiefe in der Fahrrinne von 18 Metern der einzige Hafen in Deutschland ist, der die größten Containerschiffe der Welt auch mit hoher Beladung abfertigen kann. Bis zu 1000 Menschen sollen in dem neuen Hafen arbeiten.

Eurogate-Geschäftsführer Egger gibt sich trotz aller der Hindernisse auf dem Weg zum Start gelassen. "Für uns ist nicht entscheidend, ob es vier Wochen früher oder später losgeht", sagt er im Kleinbus bei der Ausfahrt aus dem Hafen. "Wichtig ist, dass die Anlage nach dem Start so reibungslos wie möglich funktioniert, 24 Stunden am Tag, sieben Tag in der Woche." Die weltgrößte Containerlinie Maersk, deren Schwestergesellschaft APM Terminals am JadeWeserPort beteiligt ist, wird Wilhelmshaven als Erstes anlaufen. "Aber JadeWeserPort ist offen für alle Reedereien", sagt Egger.

Mancher in der Hafenwirtschaft wird wohl bis zum Tag der Eröffnung Zweifel daran hegen, ob es mit dem JadeWeserPort tatsächlich gutgehen kann und vielleicht auch noch danach. Oft wurde in der Fachwelt darüber diskutiert, ob man in Deutschland quasi auf der grünen Wiese überhaupt ein völlig neues Terminal braucht. Für Egger bestand daran nie ein Zweifel. "Die Zahl von Großcontainerschiffen wird in den kommenden Jahren im Fernostverkehr drastisch zunehmen. Sie können auch nach der Erweiterung des Elbfahrwassers mit hoher Beladung nicht nach Hamburg fahren oder jedenfalls nur mit großen Einschränkungen", sagt er, während die Containerbrücken des JadeWeserPorts aus dem Blick verschwinden. "Für uns ist Wilhelmshaven die ideale Ergänzung. Und auch für den Standort Deutschland insgesamt."