Die Olympischen Spiele machen die Welt nicht besser, zeigen aber, wie es gehen könnte

Es gibt immer noch Menschen, die in der Austragung Olympischer Spiele mehr sehen wollen als die Veranstaltung von 26 Weltmeisterschaften an einem Ort. Diejenigen erinnern dann eine Szene während der Sommerspiele vor vier Jahren in Peking. Am Eröffnungstag eskaliert der schwelende Konflikt zwischen Russland und Georgien zum Kaukasuskrieg. Kurz danach gewinnt die Russin Natalja Paderina im Luftpistolenschießen Silber, die Georgerin Nino Salukwadse Bronze. Bei der Siegerehrung umarmen sich beide Frauen und küssen sich demonstrativ.

Der Krieg wurde dadurch nicht beendet, die Geste, die um die Welt ging, aber verstanden. Kriege führen Politiker und Militärs, nicht die Bevölkerung.

Dass die Welt in den vergangenen vier Jahren keineswegs friedlicher geworden scheint, belegt in London der Aufmarsch von Polizisten, Soldaten und privaten Sicherheitskräften. Mehr als 45 000 sind in den kommenden noch 15 Tagen dort im Einsatz. Olympia, das ist der erste Superlativ der Spiele, wurde nie besser bewacht. Und damit nicht genug. Ein Kriegsschiff ankert auf der Themse, auf Wohnblocks in der Nähe des Olympiastadions sind Boden-Luft-Raketen stationiert. Die Geheimdienste hören rund um die Uhr Telefonate ab oder lesen Mails mit. Dass Großbritanniens Premier David Cameron "freundliche Spiele" verspricht, mag angesichts dieser Szenarien wie Hohn klingen.

Die Kraft Olympischer Spiele sollte dennoch niemand unterschätzen. 204 Länder machen mit, mehr als die Vereinten Nationen Mitglieder haben. Und zum ersten Mal ist in jedem dieser Teams mindestens eine Frau vertreten. Auch das ist ein Superlativ.

Olympia kann die Welt nicht friedlicher machen. Olympia zeigt jedoch Wege auf, wie sie friedlicher werden könnte: durch Begegnungen, Gespräche, durch dieses streitende Miteinander im Wettkampf, das zwar Gewinner wie Gescheiterte hervorbringt, herzzerreißende Dramen bietet, aber trotz aller gewollten Gegensätze keine Feindschaften schürt.

London sollte dafür die ideale Plattform werden. Der Sport kehrt nach Hause zurück, an die Wiege vieler seiner Sportarten. Und Olympia ist zum dritten Mal in seiner neuen Geschichte in jenem sportbegeisterten Land zu Gast, das einst das Fairplay als Haltung schuf: Achtung und Respekt vor dem Gegner, die über die Einhaltung sportlicher Regeln hinausgehen.

Dass sie weiter einige mit Füßen treten, indem sie dopen oder anderweitig manipulieren, gehört ebenfalls zum größten Sportfest der Welt. Die olympische Welt - mit all ihrem Kommerz und Fällen von Korruption - bleibt ein Spiegelbild der wirklichen, was auch sonst. "Der Sport ist eine grandiose Arbeitsteilung zwischen Gut und Böse der Menschen. Es ist einseitig, wenn man immer nur schreibt, dass der Sport zu Kameraden mache, verbinde, einen edlen Wetteifer wecke: Denn ebenso sicher kann man behaupten, dass er einem weit verbreiteten Bedürfnis, dem Nebenmenschen eins aufs Dach zu geben oder ihn umzulegen, entgegenkommt, dem Ehrgeiz, der Überlegene zu sein", notierte der Schriftsteller Robert Musil schon 1925.

Olympia, das ist zuzugeben, fordert diesen Konflikt geradezu heraus. Schneller, höher, stärker - das ist nichts anderes als der Aufruf zur Grenzüberschreitung, der Auftrag, den Rahmen unserer Vorstellungskraft zu sprengen. Aber Olympia lehrt uns auch Demut, mit Niederlagen umzugehen, dem Sieger zu gratulieren, den Verlierer zu trösten. Olympia, das sind zwei Wochen diese kleine Welt, die vielleicht doch ein Stückchen besser ist als die, in der wir leben. Und deshalb gibt es keine Alternative: The games must go on.