Ein Tag lang bei Ikea in Schnelsen: Ein Erfahrungsbericht zwischen Frühstücksoffensive, Umtauschexperten und 300 Kindern im Småland.

Schnelsen. Irgendwas findet man immer. Schnäppchen des Tages ist das Sofa "Klippan" in Fliegenpilzoptik. 129 Euro soll das rote Sitzmöbel mit weißen Punkten kosten. Kurz vor der Kasse, in der Ikea-Fundgrube, fertig zusammengeschraubt. Einige Pärchen interessieren sich dafür, doch mal winkt der Mann ab, mal passt der Frau etwas nicht. "Da kannst du allein drauf sitzen", nölt einer. Nicht auszuschließen, dass hier schon Ehen zu Bruch gingen.

Ein ganzer Tag bei Ikea - es gibt nicht wenige Leute, die halten das für die Hölle. Andererseits gibt es Menschen, die auf die Frage "Was ist groß, gelb und geht jeden Morgen auf?" ernsthaft antworten: "Ikea!" Was nicht nur zeigt, dass der schwedische Einrichtungskonzern seit seiner Gründung im Jahr 1943 eine ähnliche Erfolgsgeschichte schreibt wie die eigentlich gemeinte Sonne. Es zeigt auch, wie tief sich Ikea ins Unterbewusstsein gegraben hat. 46 Filialen gibt es inzwischen bundesweit, Hamburg bekommt neben Moorfleet und Schnelsen bald einen dritten Standort in Altona. 655 Millionen Menschen waren im Jahr 2011 bei Ikea, 24,7 Milliarden Euro setzte der Konzern in 41 Ländern um, 3,65 Milliarden davon allein in Deutschland.

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In der Schnelsener Filiale lässt sich bereits von 9 Uhr an besichtigen, was einen Teil des Geheimnisses ausmacht. Etwa 50 Leute drängen schon eine Stunde vor der Eröffnung der Möbelausstellung in Richtung Eingang. Die meisten sind Rentner. Vor den geschlossenen Türen warten aber auch tätowierte Chefstyler und Familien. Möbel wollen die wenigsten kaufen. Die immer größer werdende Gruppe hat Hunger. Fünf Prozent des deutschen Umsatzes - immerhin 174 Millionen Euro - erwirtschaftet Ikea mit seinen "Food-Produkten" aus Restaurant, Bistro und Schwedenshop. Das Frühstück "Stockholm" - zwei Brötchen, Lachs, Wurst, Käse, Marmelade und ein nachfüllbarer Cappuccino - kostet 2,95 Euro. "Günstiger als bei McDonald's", sagt Vanessa Fricke, die mit ihrer Freundin Henrike von Hacht eigentlich nur die Spülbürste "Plastis" für 99 Cent kaufen will. Doch wenn sie schon so zeitig da sind, ist auch ein Frühstück drin. Mit großem "Ohhh" und "Ahhh" gehen die Türen um 9.31 Uhr auf.

Frauen, so scheint es, lieben die blau-gelben Möbelhäuser noch immer etwas mehr, als es Männer tun. In der Schnelsener Filiale ist das Geschlechterverhältnis allerdings ausgeglichen. Menschen aller sozialer Schichten liegen in Betten, die ihnen nicht gehören, essen Hotdogs, die nie ohne größere Röstzwiebelverluste im Mund landen oder kaufen Sachen, die "Ingolf" (Stuhl) oder "Billy" (Regal) heißen. Für viele Hamburger ist Ikea offenbar wesentlich und richtig - beziehungsweise "Väsentlig" (Gardinenstangen-Endstück) und "Riktig" (Raffhalter).

Ikea-Mitarbeiterin Kirsten Michalski kennt das schon. Die Frühstücker, die Pärchen, die viel zu vollen Einkaufswagen, die viel zu kleinen Autos, die ganzen Dramen und die Stimmung zwischen Schweißausbruch und Schwedenhäppchen. Michalski zieht hinter den Kulissen die Strippen. "Und ich muss nicht jeden Mittag Köttbullar essen", sagt sie. Die Fleischbällchen stünden nur selten auf der ausgewogenen Speisekarte der hauseigenen Mitarbeiterkantine. Dafür trichtert Ikea-Gründer Ingvar Kamprad jedem der 250 Filialmitarbeiter von einem Foto aus die Unternehmensgrundsätze ein. Bevor es in den Kundenbereich geht, wird jeder Angestellte nicht nur nach skandinavischer Art in Grund und Boden geduzt, sondern per Türbeschriftung auch daran erinnert, recht freundlich zu sein.

Im Småland, dem Kinderbereich bei Ikea, ist schon mittags recht erfreulicher Hochbetrieb. Sonnabends werden hier bis zu 350 Kinder abgegeben, neuerdings aber nur noch für maximal 90 Minuten betreut, damit das bunte Reich aus Fernseher, Mal-Ecke und Schaumstoff nicht als Ersatz-Kita missbraucht wird. Der kleine Rasmus wird gerade abgeholt. "Und? Wie war's?", will Mama wissen. "Anstrengend", sagt Rasmus. Er habe viel ferngesehen.

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Doch nicht jeder ist so abgeklärt wie Rasmus. Denn es gibt tatsächlich noch Ikea-Anfänger. Ein Mann mit geschäftsmännischem Auftreten stürmt am Nachmittag sehr motiviert mit einem Einkaufswagen in den Eingangsbereich. Zu motiviert. Er muss vor der Treppe kapitulieren und wird vom Personal darauf hingewiesen, dass er vorerst keinen Wagen brauche. In der Markthalle, wo es einen Großteil der 9500 Ikea-Produkte gibt, könne er aber beruhigt zum Lastkarren greifen. "Aha", sagt der Mann.

Im Reklamationsbereich zieht dagegen Tim Krügenau aus Niendorf die Wartenummer 116. Der Mann ist Ikea-erfahren. "Ich will meine vier Jahre alte Matratze 'Sultan Huglo' umtauschen", sagt er. Die Diagnose lautet: durchgelegen. Den vier Jahre alten Kassenbon hat er dabei. "Mal sehen, was passiert." 800 Reklamationen werden sonnabends vom Personal entgegengenommen. Meistens sehr geduldig, meistens sehr kulant. Und auch Tim Krügenau kehrt mit einer neuen Matratze zurück. 25 Jahre Garantie sind eben 25 Jahre Garantie.

Ähnlich erfolgreich verlief der Umtausch von Tanja Lauckner. "Wir haben zwei Regale zurückgegeben. Klassischer Fall von Fehlkauf", sagt ihr Vater Joachim, während sich die Familie - Mutter Kerstin und die jüngere Tochter Lea sind auch dabei - in einem Muster-Jugendzimmer erholt. Etwa zweimal seien sie im Monat bei Ikea.

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"Es ist halt preiswert hier", sagt Paul Schwartau, 74. Der Rentner kommt jeden Tag, ist Stammkunde, sitzt auf seinem Stammplatz im Restaurant und erklärt: "Ich esse hier günstig und treffe Menschen zum Reden." Eine Begegnungsstätte - auch das ist Ikea. Dabei habe Paul Schwartaus Frau nach dem ersten Ikea-Besuch gesagt: "Hier müssen wir nicht wieder hin." Doch ihr Mann ist inzwischen Experte. Er zeigt eine Bonuskarte, die es nur im Internet gebe und von der nur wenige Eingeweihte wüssten "Sechsmal Essen - das siebte ist kostenlos", raunt er. Der Ikea-Fuchs wirkt zufrieden.

Und während sich draußen die letzten Kunden der Herausforderung stellen, die Einkäufe kofferraumkompatibel ins Auto zu quetschen, schiebt Birgit Ipsen einen merkwürdig monothematisch beladenen Wagen zur Kasse. 240 Bügel hat sie gekauft: "Meine Freundin eröffnet eine Boutique - und günstiger kriegt man die Dinger nirgends", sagt sie. Für sich selbst hat sie aber auch etwas entdeckt: eine Plastikbox. "Denn irgendwas findet man immer bei Ikea", sagt sie. "Und nicht selten etwas, das man gar nicht gesucht hat."