Bezirksamtsleiter von Billstedt, Markus Schreiber, spricht über Bildung und Trendstadtteile. 2030 soll es praktisch keine Arbeitslosigkeit mehr geben.

Hamburg-Mitte. Der Bezirk Mitte im Jahr 2030. Was wird sich verändert haben? In der Abendblatt-Serie schreibt heute der sozialdemokratische Bezirksamtsleiter.

Im Bezirk Hamburg-Mitte des Jahres 2030 gibt es nur gut qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und praktisch keine Arbeitslosigkeit mehr. Es gibt deshalb auch keine Stadtteile mit großen sozialen Problemen, allerdings auf der anderen Seite auch keine "gentrifizierten" Schickimicki-Stadtteile. Wie konnte dies gelingen? Wie hat man es in den letzten 20 Jahren geschafft, die "soziale Schere" wieder zu schließen?

Das wichtigste Werkzeug dafür hieß und heißt Bildung. Über Bildungsmaßnahmen sind die Bewohner des Bezirks Mitte qualifiziert worden. Und das hat sogar Geld gespart: 1000 Schulabgänger pro Jahr ohne Abschluss werden 1000 Hartz-IV-Empfänger, für die 5000 Euro pro Nase im Jahr aufgewandt werden müssen. Das sind 5 000 000 Euro im Jahr. Wenn diese Personen im Schnitt 50 Jahre Transferleistungen beziehen, bekommen sie eine Viertelmilliarde Euro in ihrem Leben. Wenn diese Menschen stattdessen arbeiteten und Steuern zahlten, würden sie nicht eine Viertelmilliarde Euro kosten, sondern eine Viertelmilliarde Euro Steuern zahlen - macht einen Unterschied von zusammen einer halben Milliarde Euro in der Hamburger Haushaltskasse. In nur einer Wahlperiode von vier Jahren werden daraus zwei Milliarden Euro, die man hätte sparen können, wenn alle Schulabgänger einen Abschluss geschafft hätten. Und diese riesige zukünftige Einsparsumme hätte niemandem wehgetan, sondern alle gefreut.

Es müssen also alle Schulabgänger einen qualifizierten Abschluss erhalten und danach einen Ausbildungsplatz und einen Arbeitsplatz finden. Dafür gab es vor rund 20 Jahren, also im Jahre 2010, folgende Ansätze des Bezirks Hamburg-Mitte, wo in diesem Bereich ein Schwerpunkt gesetzt wurde:

Zwei "Kompetenzagenturen" haben in Wilhelmsburg, St. Georg und Billstedt-Horn Beratung und Vermittlung bis hin zum Case-Management im Übergang Schule/Beruf angeboten.

Das Programm "Stärken vor Ort" hat zum Beispiel die "Veddeler Kiezläufer" (ProQuartier) gefördert und den "Lehrstellenatlas Hamburger Osten" des Billenetzes finanziert.

"Schulverweigerung - die 2. Chance" hat eine Koordinierungsstelle beim Rauhen Haus in Horn und versucht, Kinder und Jugendliche wieder in die Regelschule zu integrieren.

Das Programm "sportjobs" - angesiedelt im Haus der Jugend Rothenburgsort - hat Jugendliche im Bereich Sport qualifiziert und ihnen Honorarjobs in Kitas, Kinder- und Jugendeinrichtungen und Vereinen vermittelt.

Das Projekt "Jobsen" hat eine niedrigschwellige Berufsberatung im Haus der Jugend in der Manshardtstraße in Horn angeboten.

Der "Lernort Praxis" hat an der Wilhelmsburger Schule Stübenhofer Weg Jugendliche, die nicht ausbildungsfähig waren, im Rahmen eines Kiosk-Betriebes an feste Tages- undArbeitsstrukturen herangeführt.

Das Projekt "KoRa-Regionales Übergangsmanagement" entwickelte und erprobte in Billstedt-Horn und auf den Elbinseln eine neue Art der Berufsorientierung.

Alle diese Projekte arbeiten mit dem Zusammenspiel von Jugendhilfe und Sozialraum-Management daran, Schülerinnen und Schüler nach der Schule in einen Beruf zu bringen, um ihnen damit eine Perspektive zu bieten. Und im Jahre 2030 sieht man: Es klappt, fast alle Schülerinnen und Schüler des Bezirkes Hamburg-Mitte erhalten einen Ausbildungs- und danach einen Arbeitsplatz.

Schulen wie vor 20 Jahren gibt es nicht mehr. Ausgehend von der "Tor zur Welt"-Schule in Wilhelmsburg gibt es jetzt nur noch Bildungszentren. Diese Bildungszentren bestehen aus der Grundschule und der Oberschule sowie zusätzlich Angeboten der Volkshochschule, der Elternschule, vom offenen Jugendzentrum, von Sportvereinen und Kultureinrichtungen mit Musik- und Theaterangeboten. Hier können die Schülerinnen und Schüler nicht nur lernen, sondern auch ihre Freizeit verbringen, Sport treiben und musizieren.

Die Veränderungen innerhalb des Bezirkes lassen sich auch daran ablesen, dass Wilhelmsburg und Billstedt jetzt so begehrt sind wie vor 20 JahrenOttensen. Neben den neuen Bildungseinrichtungen in Wilhelmsburg ist ein "Mintarium" in Mümmelmannsberg entstanden, wo Schülern aus ganz Hamburg die Mathematik, die Informatik, die Naturwissenschaften und die Technik nähergebracht werden. In Horn hat sich das neue Stadtteilzentrum "Horner Freiheit" etabliert - mit Bücherhalle, Elternschule sowie Stadtteilverein. Durch den Einwohnerzuwachs in Wilhelmsburg, Billstedt und der HafenCity wohnen jetzt über 350 000 Menschen im Bezirk.

Der Arbeitsmarkt, auf dem sich die allermeisten Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer guten Ausbildung bewähren, hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich gewandelt. Neben Industrie- und Dienstleistungssektor ist der "Dritte Sektor" immer wichtiger geworden. Schon vor 20 Jahren ist mit dem "Dialog im Dunkeln" in der HafenCity ein Arbeitsmarkt für Sehbehinderte und Blinde geschaffen worden: Als Führer in abgedunkelter Welt konnten sie die Sehenden leiten und für sie arbeiten und ihnen gleichzeitig vermitteln, wie es sich ohne Augenlicht lebt. Weltweit sind damit Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen worden.

Schon vor 20 Jahren arbeiteten Hunderttausende bei freien Wohlfahrtsverbänden, Stiftungen, anderen Verbänden und gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Dieser Bereich hat sich erheblich ausgeweitet. Und die Gesellschaft kann und muss ihn sich aufgrund fortschreitender Computerisierung und Technisierung auch leisten, weil der Fortschritt in diesen Bereichen der gesamten Gesellschaft und nicht nur einigen wenigen zugutekommen muss. Der "Dritte Sektor" ist der Bereich der sozialen Verantwortlichkeit. Er trägt Sorge für Millionen Menschen, um die sich sonst niemand - weder der Staat noch die Wirtschaft - kümmern würde.

Ergänzt wird dieses Leben im Bezirk Hamburg-Mitte im Jahr 2030 durch eine neue Art der Bürgerbeteiligung. Es gibt jetzt Volksbefragungen über das iPhone 2030. Zwar hat sich die parlamentarische Demokratie weiterhin bewährt und bleibt insofern grundsätzlich erhalten, aber sie wird durch einfache Bürgerbefragungen ergänzt. Dafür können sich alle Bürger registrieren lassen und anschließend dann an Abstimmungen teilnehmen. Die Verwaltung kann dann für viele Sachverhalte die Bürgerinnen und Bürger befragen: Soll der illegale Bauwagenplatz Zombule in Billstedt geräumt werden? Soll die "Trinkhalle" am Hauptbahnhof weiter geführt werden, damit die Alkoholiker nicht im öffentlichen Raum trinken müssen? Diese und ähnliche Fragen können beantwortet werden und damit eine noch unmittelbarere Demokratie gelebt werden und eine noch größere Zufriedenheit unter den Einwohnern Hamburg-Mittes erreicht werden.