Bergedorfs Bezirksamtsleiter Arne Dornquast spricht über die Zukunft Bergedorfs als lebenswerter Technologie-Standort.

Bergedorf. Der Bezirk Bergedorf im Jahr 2030. Was wird sich verändert haben? In der Abendblatt-Serie schreibt heute der sozialdemokratische Bezirksamtsleiter.

Ich traf heute Anna Hirnle, die Physik-Nobelpreisträgerin, die einst als "Raketenmädchen" für ein Pro-Technicale-Jahr nach Bergedorf kam und heute hier als Lichtgestalt der Energietechnik Hunderte Forschende im sogenannten Tellerschnecken-Valley um sich schart. Der große Erfolg der vor mehr als 20 Jahren eingeleiteten Hinwendung Bergedorfs zur Hochtechnologie ist auch ihrem Bekenntnis zum Standort Bergedorf zu verdanken.

"Erst war ich skeptisch, aber die anderen technisch interessierten Frauen, die vielen Unternehmen und Wissenschaftler und vor allem der Geist der Zukunft in Bergedorf haben mich getragen und inspiriert!" Grund genug, neben dem Studium in der zur "Denkfabrik Schleusengraben" entwickelten alten Gewerbehalle am Weidenbaumsweg mit anderen Quer- und Weiterdenkenden zu experimentieren und so die Grundlagen zur Erfindung der "Bergedorfer Kapsel" zu legen.

Diese heute als B-Ball bekannte Speicherkugel war der Durchbruch zur handlichen, tragbaren Energiequelle, ohne die heute kein Fortbewegungsmittel zu Lande, zu Wasser und in der Luft mehr vorstellbar wäre. Aber es ist noch mehr: "Ich lebe hier so gern, der Charme der Stadt Bergedorf ist einzigartig. Trotz der über 130 000 Einwohner wird das Miteinander gelebt, Alt und Jung ergänzt sich prächtig, und dann erst die Kultur - warum sollte ich woanders leben wollen?" Ja, warum? Die Bergedorfer Museumslandschaft: das Heimatmuseum in Schloss und Rieck-Haus mit internationalem Renommee für seine Forschungserfolge, die dem Publikum in nie gekannter Form dargebracht und vermittelt werden; das Unesco-Weltkulturerbe Sternwarte, deren Dachbodenfunde die Geschichte der Astronomietechnik fast auf den Kopf gestellt haben; das Zentrum für Völkerfreundschaft auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers in Neuengamme, in dem jedes Jahr Tausende junger Menschen gelernt haben, miteinander in Frieden und Freundschaft zu leben; Musik, Kunst und Theater - viel Inspiration für eine, die verstehen will, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Die dank Annas Ideen heute für alle mögliche, fast lautlose Fortbewegung des elektromobilen Zeitalters hat das Alltagsleben stark verändert. Das Wohnen an Hauptverkehrsstraßen ist inzwischen wieder äußerst beliebt. Überhaupt das Wohnen - der wirtschaftliche Erfolg Bergedorfs hat nicht nur ein junges Szenevolk nach Alt-Lohbrügge gebracht, sondern auch in Lohbrügge selbst ist man heute stolz darauf, Pionier in der Chancenwahrnehmung durch Bildung gewesen zu sein, ein Vorbild, dem auch die anderen großen Siedlungen erfolgreich nacheifern. Perspektive, Zukunft, Solidarität, Erfolg - so lauten die Pluspunkte, die nicht nur neue Bewohner anziehen, sondern auch die Alteingesessenen stolz und zuversichtlich nach vorn schauen lassen. Hier bleibt niemand auf der Strecke, alle verstehen sich als wichtiges Teil des Ganzen, werden respektiert und gebraucht.

Dies gilt ganz besonders auch für ältere Menschen. Barrierefreiheit als Prinzip war einst im Wohnungsbauprogramm ambitioniert bis revolutionär. Heute fragt sich der Rest der Republik, warum man darauf nicht viel früher selbst gekommen ist.

Die gewonnene Freiheit ist ja nicht nur Bewegungsfreiheit; vielmehr bedeutet es auch die Möglichkeit zur Teilhabe am gesamten gesellschaftlichen Leben der Stadt, wenn man sich sicher sein kann, nirgendwo an Hindernissen zu scheitern.

Das ist in der freien Landschaft naturgemäß schwieriger. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen hat aber in Bergedorf seit Langem einen hohen Stellenwert, sodass sich heute wieder viele Bereiche vor allem in den Vier- und Marschlanden so präsentieren, wie man das von einer Flora und Fauna zurückgegebenen Kulturlandschaft erwarten darf. Hier zeigt sich exemplarisch, wie das gedeihliche Nebeneinander von Naturrefugien, Naherholung, Landwirtschaftsflächen und Wohngebieten aussehen kann.

Gewässer und ihre Ufer haben ihre natürlichen Funktionen zurückerobert, seltene Arten nehmen ihre Lebensräume ganz selbstverständlich ein, und die Vielfalt hier erzeugter land- und gartenwirtschaftlicher Produkte ersetzt die früheren Monokulturen, die aus der heute lächerlich erscheinenden Energiepflanzengewinnung resultierten. Aufwuchsflächen für Lebensmittel für Pflanzen zu verschwenden, die nur zur biochemischen Verhüttung erzeugt werden - na ja, Jahrhundertwendentechnologie eben ...

Anna Hirnle jedenfalls freut sich, eine wunderschöne Landschaft direkt vor der Haustür zu haben: "Ich erinnere mich noch an die Worte zur Begrüßung damals, wie Sie sagten, Bergedorf sei 'die schöne Stadt im Garten Hamburgs, eine Stadt der kurzen Wege für Familien und Industrie mit Köpfchen' - ich bin froh, dass sich all das so bewahrheitet hat!"

Ich übrigens auch.