In Debatte um Vorratsdatenspeicherung werden Pflichten des Rechtsstaats verwischt.

Es sieht ganz danach aus, als müssten Unionspolitiker, Behördenleiter, aber auch einige Bürger wieder an etwas Wesentliches erinnert werden: Es gibt in Deutschland kein Grundrecht auf Sicherheit. Jedoch sieht der Staat einige andere Grundrechte vor, damit die Eckpfeiler einer freiheitlichen Gesellschaft fest im Boden der Verfassung verankert sind: die Menschenwürde allen voran, das Recht auf freie Entfaltung der Person und inzwischen auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sprich: den Schutz persönlicher Daten.

Leben in einer Demokratie heißt also auch: Leben mit der Gefahr, dass Menschen ihre Freiheit missbrauchen für kriminelle und auch mörderische Taten. Das Fundament Deutschlands aber ist und bleibt die Freiheit, nicht die Sicherheit. Diese Prämisse muss Leitbild jeder Rechtspolitik, aber auch jeder Sicherheitspolitik sein. Doch im Dauerstreit um die Vorratsdatenspeicherung, dem Sammeln sämtlicher Daten von Telefonen und Computerverbindungen der Bürger auf Vorrat, wird diese Prämisse verwischt.

Gestern lief eine Frist der Europäischen Kommission zur Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aus. Und das in einer Zeit, in der Deutschland auch über die Bekämpfung eines Terrors von rechts diskutiert. Nun gibt es in der deutschen Politik so etwas wie eine Soforteritis. Diese allergische Reaktion befällt Politiker immer dann, wenn Deutschland ein Ereignis aufrüttelt, meist Attentate oder Kapitalverbrechen wie zuletzt die der sogenannten Zwickauer Neonazi-Zelle. Schnell nutzen Politiker dann diese schlimmen Taten, um sie für die Debatte im Parlament zu verwerten. Zwar stehen Politiker nach Verbrechen wie den Morden der Neonazis unter Zugzwang, und vor allem Rechtspolitiker der Union und der Chef des Bundeskriminalamtes fordern die Wiedereinführung der anlasslosen Datenspeicherung. Deutschland habe eine reale Sicherheitslücke, die geschlossen werden müsse, so der Tenor. Solche Sätze sind taktisch klug, vielleicht verständlich. Aber sie sind auch gefährlich. Denn sie verhärten einen Diskurs, der die deutsche Gesellschaft in einen permanenten Ausnahmezustand drängt. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York gibt es eine chronische Forderung nach Verschärfung der Sicherheitsgesetze im Kampf gegen den "globalen und lokalen Terrorismus". Deutschland muss auch jetzt nach den Morden, mutmaßlich begangen von Neonazis aus Thüringen, aufpassen, dass es nicht in eine Ära neuer Notstandsgesetzgebung abdriftet, die den Kern der Demokratie, die Freiheit, unterwandert. Räume des Rückzugs für den Bürger sind keine Gefahr für die Gesellschaft - gerade sie muss der Staat per Gesetz schützen.

Es gibt wenig, wofür man die FDP in diesen Monaten loben kann. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aber verdient ein Lob. Sie widersteht dem Druck von CSU bis EU - und schlägt vor, Daten nur "einzufrieren", sobald es vage Anhaltspunkte bei suspekten Personen gibt, um sie dann "aufzutauen" und zu verwerten, falls sich ein Verdacht erhärtet. Mit diesem Gesetz berücksichtigt die FDP-Ministerin nicht nur den Einspruch des Bundesverfassungsgerichts gegen das anlasslose Speichern von Daten und das damit verbundene Erstellen aussagekräftiger Profile praktisch jeden Bürgers. Sie bietet der Union damit sogar einen Kompromiss für ein neues Gesetz an.

Doch die ignoriert den FDP-Vorschlag. Und nicht nur das. Sie ignoriert auch den Einspruch des Verfassungsgerichts gegen die Vorratsdatenspeicherung. CDU/CSU sollten sich darauf konzentrieren, mögliche Versäumnisse, Pannen oder bewusstes Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden im Fall der Neonazi-Morde aufzuklären - anstatt alte Maximalziele für diesen Sicherheitsapparat durchzudrücken.