Ein Kommentar von Achim Leoni

Der richtige Zeitpunkt wurde im alten Griechenland so sehr verehrt, dass ihm eine Gottheit gewidmet wurde. Den Kairós, so ihr Name, stellte man sich mit einem langen Schopf vor, an dem eine günstige Gelegenheit zu packen war, und mit einem Messer, das die Bindungen zur Vergangenheit abschnitt. Diesen günstigen Moment zu finden erforderte vor allem Mut.

Magdalena Neuner hat ihn gefunden, dafür spricht schon die allgemeine Betroffenheit, die ihr Rücktritt ausgelöst hat. Sie macht mit ihrem Sport Schluss, lange bevor der Sport mit ihr Schluss machen konnte. Das unterscheidet diesen Abschied von dem vieler anderer Stars. Und ein solcher ist sie ja, vermutlich der einzige, den der deutsche Biathlonsport derzeit zu bieten hat.

Die Begleiterscheinungen ihres Ruhms, die Fans, die ihr auflauerten, der Verzicht, die Reiserei, all das ist ihr offenbar zur Last geworden. Es ist die Sehnsucht nach einem normalen, selbstbestimmten Leben, die sie zum Aufhören bewogen hat. Dazu passt, dass sie die Entscheidung auf ihrer Homepage verkündet hat und nicht im Blitzlicht einer Pressekonferenz.

Mit 24 Jahren ist Magdalena Neuner in einem Alter, in dem manche Biathlonkarriere erst beginnt. Früher als jede andere ist sie eine Große ihres Sports geworden - spätestens in dem Moment, als sie bei den Olympischen Spielen auf den Staffeleinsatz und damit eine mögliche dritte Goldmedaille verzichtete. Mit zehn WM-Titeln gilt Neuner schon jetzt als erfolgreichste Biathletin der Geschichte. Eine Steigerung dafür gibt es nicht. Insofern ist dieser Rücktritt nicht zu früh, sondern mutig und konsequent.