Sturmflut bis heute im Bewusstsein der Stadt. Zum 50. Jahrestag suchen Abendblatt, NDR-“Hamburg Journal“ und NDR 90,3 Zeitzeugen.

Hamburg. Fast ein halbes Jahrhundert ist es her, als Hamburg von einer fürchterlichen Naturkatastrophe erschüttert wurde. Während der großen Sturmflut am 16. und 17. Februar 1962 verloren in unserer Stadt 315 Menschen ihr Leben - in ganz Norddeutschland starben noch mehr. Zigtausend Tiere ersoffen, und Tausende von Häusern, Wohnungen und Existenzen wurden zerstört.

Es waren Tage wie ein Albtraum, die auch jene schockierten, die nicht in Ufernähe wohnten. Hamburgs Lebensader, die Handelskontakte ermöglichte und Wohlstand schuf, war außer Rand und Band geraten. Es war die Stunde ausufernder Gewalt und menschlicher Dramen, aber auch eine Bewährungsprobe für den Zusammenhalt in der Hansestadt. Unter dem konsequenten, unbürokratischen Kommando des damaligen Polizeisenators Helmut Schmidt wurde Hamburg der Katastrophe letztlich Herr. Mancher Nachbar entpuppte sich als Held und sorgte dafür, dass alles nicht noch schlimmer wurde.

Nicht nur den älteren Hamburger ist das Drama unvergessen. Am Morgen des 12. Februar 1962 frischte der Nordwestwind auf, doch erst mit dem letzten Orkan, der sich ab dem 15. Februar in der Troposphäre zusammenbraute und den man auf den sinnigen Namen "Vincinette" ("Siegreiche") getauft hatte, trat die Sturmflut ein, die kaum jemand für möglich gehalten hatte.

Die erste Bürgerpflicht: "Ruhe bewahren". Man wollte die Bevölkerung auf keinen Fall verunsichern oder gar in Panik versetzen. Tatsächlich aber hatte sich das Hamburger Seewetteramt bereits früh zur Herausgabe einer Orkanwarnung durchgerungen, und auch das benachbarte Deutsche Hydrographische Institut hatte rechtzeitig vor einer sehr schweren Sturmflut gewarnt.

Während sich daraufhin die sturmfluterprobten Bewohner an den norddeutschen Küsten und entlang der Elbe auf die ewig neue Schlacht des Wassers gegen den Menschen mehr recht als schlecht vorbereiteten, ging das Leben in der Millionenstadt Hamburg weiter wie gehabt. Behördenintern war zwar höchste Wachsamkeit verordnet worden, aber letztendlich wähnte man sich hier in Sicherheit. Hinzu kamen blindes Gottvertrauen, fatale Fehleinschätzungen, Desorganisation, Kompetenzgerangel, technische Pannen sowie der totale Zusammenbruch der Kommunikation, was gerade in den ersten Stunden nach dem Überlaufen und Bersten der Hamburger Deiche zu einem beispiellosen Chaos führen sollte.

In diesem Tohuwabohu gab es jedoch zum Glück auch ein paar Menschen, denen es durch ihren Mut zum Handeln zu verdanken war, dass nicht "20 000 oder gar mehr Opfer" beklagt werden mussten. So pessimistisch hatte am frühen Morgen des 17. Februar noch die erste Einschätzung des damaligen Hamburger Polizeisenators Helmut Schmidt vor dem nun eiligst einberufenen Krisenstab gelautet. Die höchste Flutwelle aller Zeiten (bis 5,71 Meter über Normalnull, eine zweite Quelle gibt 5,73 Meter an) hatte da bereits rund 130 Quadratkilometer, mehr als ein Sechstel des Hamburger Stadtgebiets, überschwemmt. Und einmal mehr hatte eine Katastrophe ausgerechnet die Ärmsten der Armen tödlich getroffen ...

Tausende hockten zu diesem Zeitpunkt bereits seit Stunden in Todesangst auf Dächern im eiskalten Wind oder klammerten sich mit letzter Kraft an die Äste der Bäume, auf die sie sich vor den eiskalten Fluten hatten retten können. Viele hatten binnen weniger Sekunden all ihr Hab und Gut verloren und nicht wenige auch ihre Partner, Kinder, Verwandten oder Freunde. Zehntausende waren in ihren Wohnungen oder Häusern von der Außenwelt abgeschnitten. Strom, Wasser und Gas funktionierten nicht mehr - das Telefon sowieso nicht - und Funkgeräte waren Mangelware (auch deswegen hatte es in der Hamburger Sturmflutnacht niemanden gegeben, der einen genauen Überblick besaß und die Einsatzkräfte bündeln konnte). Bei insgesamt 61 praktisch zeitgleichen Deichbrüchen wussten die Helfer zunächst gar nicht, wo sie mit den Rettungsmaßnahmen zuerst anfangen sollten. Sie taten jedoch intuitiv das einzig Richtige und versuchten einfach, so viele Betroffene wie möglich erst einmal ins Trockene zu bringen.

Für den Hamburger SPD-Politiker Helmut Schmidt, der mit mehrstündiger, jedoch unfreiwilliger Verspätung, dafür aber mit beispiellosem Hauruckstil am frühen Morgen des 17. Februar die Koordination der Rettungs- und Versorgungsmaßnahmen an sich riss, sollten diese schicksalhaften Tage und Nächte einen Karriereschub bedeuten, obwohl er "einfach nur das tat, was zu tun war". Sein Name wird auf ewig mit der "Sturmflut über Hamburg" verbunden sein. Noch heute sind ihm die Hansestädter dankbar für sein couragiertes Handeln, über Parteigrenzen, bestehende Gesetze und Verordnungen hinweg. So scheute er sich trotz des im Grundgesetz stehenden Verbots eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren nicht, Soldaten als Hilfskräfte anzufordern. Auch alliierte Truppen - und vor allem Hubschrauber - forderte er an.

Gemeinsam mit dem "Hamburg Journal" und NDR 90,3 sucht das Hamburger Abendblatt Augenzeugen aus diesen bewegenden Sturmfluttagen. Menschen, die ganz Besonderes berichten können, selbst geholfen oder Hilfe empfangen haben. Gleichfalls suchen wir bisher unbekannte Fotos, Briefe oder andere Erinnerungsstücke. Bitte an sturmflut@ abendblatt.de oder per Post an Hamburger Abendblatt, Lokalredaktion, Stichwort: Sturmflut, Brieffach 2110, 20350 Hamburg.