Ein Kommentar von Christian-A. Thiel

Wenn es am schönsten ist, soll man gehen. Der Schweizer Tennisprofi Roger Federer, der in seinem Sport mehr gewonnen und verdient hat als jeder vor ihm, hätte nach seinem Triumph beim ATP-Tour-Finale am Sonntag in London sagen können: "Vielen Dank, Freunde, das war's." Als erster Spieler hat der 30-Jährige nun zum sechsten Mal das Jahresfinalturnier gewonnen, die unfassbare Zahl von 16 Grand-Slam-Titeln sowieso. Was soll da noch kommen?

Doch so tickt dieser Roger Federer nicht. Auch wenn es ihm immer schwerer fällt, sich gegen die nachdrängenden Jungstars zu behaupten, hat der Rekordspieler Ziele genug. Als da wären Olympia 2012, der Daviscup und jedes einzelne Grand-Slam-Turnier. Natürlich hat der elegante Tennis-Gentleman an den häufiger gewordenen Niederlagen zu knabbern, er steckt sie aber weg und nimmt den Wettkampf aufs Neue an.

Nach dem Tour-Finale Ende November wird gern über die hohe Belastung der Tennisprofis gejammert. Die Branchenführer Rafael Nadal und Novak Djokovic scheiterten sang- und klanglos, der britische Lokalmatador Andy Murray gab verletzt auf. Nur Federer, der Älteste des Spitzenquartetts, trat als Einziger ohne Blessuren und sichtbare Müdigkeit in London an. Dabei hatte er mit 76 offiziellen Spielen in diesem Jahr das gleiche Pensum bestritten wie Djokovic.

Dennoch wird Federer auch 2012 bei den großen Turnieren wieder nur Außenseiter sein. Vielleicht gilt auch deshalb mehr denn je: Von Zeit zu Zeit sieht man den Alten gern.