Widerstand gegen Naturschutzgebiet: Deichvogt Hennig Cordes sieht den Hochwasserschutz für Wilhelmsburg gefährdet.

Wilhelmsburg. Hennig Cordes ist voller Sorge. Der Deichvogt hat Angst, dass "die in Hamburg" etwas tun, was ihn und die anderen Wilhelmsburger gefährden könnte. Mit "die in Hamburg" meint er die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU), die im nächsten Jahr im Wilhelmsburger Osten auf 750 Hektar das Landschaftsschutzgebiet "Wilhelmsburger Elbinsel" einrichten will.

Dann unterläge auch das Deichstück zwischen Goetjensort und Moorwerder den strengen Bestimmungen eines solchen Reservats. Und das, meint der für den Hochwasserschutz verantwortliche Cordes, könne die Sicherheit der Wilhelmsburger extrem gefährden. "Bei akuter Gefahr könnten mich die dann für das Gebiet geltenden Landschaftsschutzbestimmungen an der Durchführung notwendiger Maßnahmen hindern", sagt Cordes. Daher fordert er, das Deichgebiet von den Planungen auszuschließen. "Ich stehe für die Sicherheit der rund 50 000 hinter dem Deich lebenden Wilhelmsburger, einschließlich meiner Familie", betont der Deichvogt, der mit Frau und zwei Söhnen zwischen Norderelbe und Dove Elbe lebt. "Daher wehre ich mich gegen jegliche Einschränkung des Hochwasserschutzes."

Das neue Landschaftsschutzgebiet erstreckt sich über die als Grünland, Acker- und Gartenbauland genutzten Flächen östlich und westlich der Autobahn 1, weitere Flächen liegen an der Autobahnauffahrt Stillhorn sowie in der Talniederung der Wilhelmsburger Dove Elbe. Damit will die Behörde ein Naherholungsgebiet für die Wilhelmsburger schaffen und das Gebiet als Lebensraum zahlreicher Amphibien-, Fisch-, Vogel- und Insektenarten erhalten. "Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe überhaupt nichts gegen Natur- und Landschaftsschutz", sagt Hennig Cordes, "aber als Deichvogt habe ich berufsbedingt eine sehr eingeschränkte Sichtweise."

Und so kann er gar nicht anders, als sich Szenarien vorzustellen, die andere als "eher unwahrscheinlich" einordnen würden. Was sei beispielsweise, falls durch das IBA-Projekt Kreetsand, mit dem im Rahmen des Tideelbe-Konzepts der Hamburg Port Authority (HPA) auf der Ostseite der Elbinsel zusätzlich Flutraum für die Elbe geschaffen werden soll, unerwartete Strömungen auftreten? Und sich herausstellt, dass die Deckstein-Pflasterung, die den Deichsockel vor schwerem Eisgang schützen soll, nicht ausreicht? "Vielleicht muss der Deich dann vollständig asphaltiert werden", sagt Cordes. "Das ist in einen Landschaftsschutzgebiet meines Wissens unvorstellbar." Oder was, falls der Klimawandel gravierendere Auswirkungen auf den Wasserstand der Elbe hat als bisher angenommen? "Dann müssten die Deiche durch eine Mauer erhöht werden", sagt Cordes. "In einem Landschaftsschutzgebiet ist das wohl kaum möglich." Jedenfalls nicht ohne langwierige Genehmigungsverfahren.

Seit Mitte des 14. Jahrhunderts wird Wilhelmsburg durch Deiche vor den Fluten geschützt. "Ohne die Deiche stünde Wilhelmsburg zweimal täglich unter Wasser", sagt Deichvogt Cordes, der bei der Ausübung seines Ehrenamts von zehn Deichgeschworenen unterstützt wird.

Statt, wie früher, die Deiche abzuschreiten, wird heute das Auto benutzt. Und statt der alten Trachten tragen Deichvogt und Deichgeschworene heute blaue Allwetterjacken. Eine Tradition hat sich jedoch gehalten: Bei den zweimal jährlich stattfindenden Deichschauen kommt nach wie vor der silberne Pokal zum Einsatz, den König Ernst August von Hannover dem Wilhelmsburger Deichvogt 1852 schenkte - als kleines Dankeschön dafür, dass ein Deich nach ihm benannt worden war. Der Becher mit Deckel befindet sich in Cordes' Gewahrsam. Vor der Sturmflutsaison im Herbst und danach im Frühjahr erheben Cordes und seine Deichgeschworenen den Pokal "auf des Landes Wohlfahrt" und "aller Deichschauer und Deichschauerfrauen Gesundheit". Auch Mitarbeiter des Landesbetriebs für Straßenbau, Brücken und Gewässer (LSBG) gehen und trinken bei den Deichschauen mit. Sie sind seit der großen Flut 1962 von städtischer Seite für die Instandhaltung der Deiche verantwortlich. "Wir schauen ihnen dabei aber auf die Finger", sagt Deichvogt Hennig Cordes. Denn er, seine Deichgeschworenen und alle Wilhelmsburger seien auf die Deiche angewiesen.