Sie weisen Wege durch einen Advent ohne Kitsch und Konsum: Joshua Brand hilft Menschen in Not, für Gabriele Naujoks ist es Fastenzeit.

A wie Advent. Wie Althergebrachtes. Alte Sitten und schöne Bräuche. Wie Adventskalender und Adventskranz, Adventssingen und Adventsbasar. Doch das A, der Advent, steht für mehr als das, was wir damit verbinden, daraus machen. Er steht für Besinnung, Innehalten und Warten. Warten auf die Geburt Jesu Christi. Denn das ist die ursprüngliche Bedeutung des Buchstaben A, des Advent: die Ankunft (lateinisch "adventus") des Sohnes Gottes.

Fast jeder weiß, dass wir Heiligabend die Geburt Jesus feiern - aber dass wir in der Adventszeit genau darauf warten und uns vorbereiten, das vergessen wir zwischen Geschenkeeinkäufen und Weihnachtsfeiern oft - oder wollen es nicht wahrhaben. Vielleicht, weil wir im 21. Jahrhundert den Glauben daran für unmodern und unrealistisch halten. Oder weil wir angesichts des Termindrucks in der Weihnachtszeit einfach keine Zeit, keine Geduld zum Warten haben.

Doch vielleicht wird das anders. Denn das A, der Advent, könnte auch für "anders" stehen. Die Möglichkeit, die Zeit bis Weihnachten anders zu füllen. Ohne Konsum und Kitsch, ohne Stress und Streit.

Hört sich weltfremd an? Idealistisch? Ist es auch! Denn das A steht für Appell. Den Appell, neue Weg zu gehen. Dem Advent einen neuen Sinn zu geben oder sich einfach auf den alten zu besinnen: das Warten!

D wie Dankbarkeit. Demut. Wenn Joshua Brand, 21, am Adventssonntag das Haus seiner Eltern in Bergstedt verlässt und zum Hauptbahnhof fährt, will er nicht zum Weihnachtsmarkt oder zum Kaffeetrinken. Er will etwas machen, das ihm wichtiger ist, mehr bedeutet. Und das ihn dankbar macht. Weil er etwas bewegen kann, verändern. Weil er anderen helfen will, direkt, ohne Umwege. Nicht seinen Freunden. Sondern Fremden, für die er manchmal der einzige Freund ist, den sie haben. Denn Joshua Brand arbeitet ehrenamtlich in der Bahnhofsmission - einer Ambulanz für Menschen in seelischen und materiellen Notlagen. Zwölf Monate hat er hier Zivildienst gemacht und auf eine Ausbildung als Bankkaufmann gewartet. Doch obwohl die Zeit längst um ist und Joshua Brand einen Ausbildungsplatz gefunden hat, fährt er weiter regelmäßig in die Bahnhofsmission.

Sogar am Adventssonntag. Oder gerade dann. Weil die Menschen auf der Straße dann noch mehr Hilfe brauchen. Und weil die Kluft zwischen den Welten dann noch größer ist. Der einen Welt mit ihren Weihnachtsbuden und Verheißungen - und einer Welt, die so anders ist, dass es dafür keine Beschreibung gibt. Weil nichts und niemand die Armut, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit beschreiben kann. Noch nicht einmal Joshua Brand. "Auf der Straße spielt Advent keine Rolle", sagt er. Es spielt keine Rolle, ob man rechtzeitig alle Geschenke hat und einen schönen Weihnachtsbaum findet. "Es geht nur ums Überleben. Um einen Schlafplatz, etwas zu essen, Unterstützung vom Sozialamt", sagt Joshua Brand. Er will sich die Probleme der anderen zu seinen eigenen machen - und sie lösen. Nein, das ziehe ihn nicht herunter. Im Gegenteil: Es zieht ihn hoch, wenn er anderen helfen kann. Gerade im Advent.

V wie Verzicht. Verzicht auf Lebkuchen und Dominosteine, Christstollen und Glühwein. Die Adventszeit ist für Gabriele Naujoks, 72, vor allem eine Zeit des Fastens und des Verzichts. Advent und Fasten? Die Vorstellung ist uns heute so fremd, wie Weihnachten im Sommer zu feiern. Dabei zeichneten sich gerade dadurch die Anfänge des Advent im 4. und 5. Jahrhundert aus. Damals wurde die Fastenzeit auf bis zu acht Wochen ausgedehnt und bedeutete nicht nur den Verzicht auf Fleisch, sondern auch auf Vergnügen. Die meisten von uns haben das inzwischen vergessen oder verdrängt - Gabriele Naujoks nicht.

"Das Fasten ist kein Verzicht, sondern eine Bereicherung", sagt sie und meint: eine Bereicherung, weil Kopf und Körper befreit werden und Platz für das Wesentliche ist. Die Vorbereitung, das Warten auf Christi Geburt - und die Endlichkeit.

Wenn man Gabriele Naujoks so reden hört, könnte man sie für eine ernste, strenggläubige Frau halten. Doch genau das sei sie nicht. "Ich wünschte, ich wäre eine fromme Christin, die sich ihres Glaubens absolut sicher ist", sagt sie und lacht. Sie habe die gleichen Zweifel wie allen anderen. Sogar im Advent - oder vor allem im Advent. Denn was sei schwerer zu glauben als die Ankunft Christi, die Menschwerdung Gottes? Sie hinterfragt, zweifelt, kritisiert und hat in vielen Sachen eine andere Einstellung als die Allgemeinheit. Wie eben zum Advent. "Mir ist dieser ganze Adventszirkus zuwider", sagt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung. Zu süß, zu kitschig, zu laut. Sie mag es lieber ernsthaft - "aber bloß nicht tränenreich!", sagt sie eilig, damit keine Missverstänisse aufkommen. Denn tränenreich, das sei nun wirklich nicht ihr Ding. Advent hin oder her.

E wie Erholung. Einkehr. Wer in die Bahnhofsmission kommt, lässt die Welt draußen. Taucht ein in eine geschützte Blase. Manchmal sind es Reisende, die Hilfe brauchen. Meistens Obdachlose, Gestrandete, Gescheiterte, deren Leben entgleist ist. Joshua Brand kennt die Geschichten vieler Besucher wie seine eigene. Geschichten von Wohnungslosigkeit und Hunger, Verzweiflung und Selbstmordgedanken. Es sind Geschichten, die wir lieber nicht hören wollen, weil sie zu deprimierend sind. Doch es sind Geschichten, die passieren. In Hamburg. In derselben Stadt, in der Weihnachtsbuden stehen und Wünsche erfüllt werden.

"Manchmal komme ich mir vor wie in einem Paralleluniversum", sagt Joshua Brand. In der gegenüberliegenden Spitalerstraße drängen sich Menschen mit Einkaufstaschen. Kinder weinen. Eltern schimpfen. Alle scheinen in Eile. "Ich bin froh, dass ich nicht da drüben bin", sagt Joshua Brand. "Sondern hier." Hier, in der Bahnhofsmission. Hier, im anderen Advent.

N wie Norm. Normal. Normalität. Wenn Gabriele Naujoks über ihren anderen Advent spricht, fragt sie sich manchmal, was eigentlich normal ist und was anders. Ist es normal, von einem Geschäft ins nächste zu hetzen, von einer Weihnachtsfeier zur anderen? Oder haben wir das erst zur Normalität gemacht? Das ist eines von vielen Dingen, über die Gabriele Naujoks nachdenkt, wenn sie sich im Advent Zeit nimmt. Zeit zur Besinnung, zum Nachdenken, zum Meditieren, Bibel lesen, Musik hören. Jeden Tag, eine Stunde lang.

Trotzdem ist Gabriele Naujoks, ehemalige Studiendirektorin der Landespolizeischule Hamburg, nicht der Typ, der den ganzen Tag versonnen vor einer Kerze sitzt und sich Gedanken macht. Sie will etwas anpacken. Deswegen backt sie im Advent Kekse, füllt sie in 150 Tüten und verteilt sie an Menschen in ihrem Umfeld, an den Postboten, die Frau aus der Apotheke. Das ist ihre Art, gegen den Strom zu schwimmen, anders zu sein und anders zu feiern. Auch wenn es für sie normal ist.

T wie Traum. Der Traum von einem anderen Advent. Ein Advent ohne Hektik, Stress, Streit. Ohne die Verpflichtung, Geschenke kaufen und Karten schreiben zu müssen. Ohne den Druck, Kekse zu backen und das Weihnachtsessen selbst kochen zu müssen. Ohne den Zwang, etwas tun zu müssen, weil alle es tun. Ohne das Gefühl, keine Zeit zu haben. Aber vor allem ohne das Gefühl, etwas zu verpassen. Ohne schlechtes Gewissen, wenn man den Adventskalender für die Kinder nicht selbst bastelt, keinen Christstollen backt und den Weihnachtsbaum nicht eigenhändig schlägt.

Ein Advent "ohne" - das klingt erst einmal nach einem großen Verzicht. Ist es aber nicht. Sondern eine Befreiung. Weil er die Chance bietet, neue Wege zu gehen. Andere Wege. Alles ist möglich, alles erlaubt. Wenn es sich gut anfühlt. Nicht für andere, sondern für Sie. Es geht nicht darum, sich etwas zu verbieten, sondern etwas Neues zu versuchen. Am Sonntag im Altenheim einen Bewohner besuchen, der keine Angehörigen mehr hat. Keine Zeit mit der Jagd nach Geschenken für Freunde vergeuden - sondern die Zeit mit ihnen gemeinsam verbringen. Eine Dose Weihnachtsgebäck in der Obdachlosenunterkunft abgeben. Spontan in die Kirche gehen. Mit den Kinder Spielzeug ausrangieren und an die Tafeln in Deutschland schicken. Eine Tante anrufen, mit der man seit Jahren nicht gesprochen hat. Einem Sozialhilfeempfänger im Seniorenheim ein Geschenk vorbeibringen, der sonst nichts bekommt. Die alte Flöte herausholen und ein Weihnachtslied spielen. Oder nichts tun. Einfach innehalten. Ausruhen. Warten.

Klingt idealistisch? Ist es auch! Aber es ist eine Chance. Die Chance auf einen anderen Advent.

Noch mehr Anregungen für einen anderen Advent bekommen Sie im gleichnamigen Kalender des ökumenischen Vereins "Andere Zeiten". Ungewöhnliche Texte und Bilder begleiten die Leser vom 26. November bis zum 6. Januar. Der Kalender kostet 7,50 Euro zuzüglich Versandkosten und ist erhältlich unter Telefon 040/47 11 27 27 sowie im Internet: www.anderezeiten.de