Eine Glosse von Silvia Stammer

Es ist heller als Schwarz und dunkler als Weiß: Grau ist bei näherer Betrachtung keine Farbe, sondern ein Farbreiz - Betonung auf Reiz. Und manchmal kann Grau sogar ein Gefühl, ein Zustand sein. Doch für solche Feinheiten hat Schauspielerin Mariella Ahrens leider offenbar kein Gespür. Dabei wäre bei der angeheirateten Gräfin der Bleistift-Dynastie Faber-Castell eigentlich eine besondere Nähe zu allen Schattierungen zu vermuten. Aber nein: Die Dame aus dem Grunewald hält nichts von gedecktem Grau. Als Jurorin eines Modewettbewerbs zog sie jetzt gegen die Novemberstimmung zu Felde: Die sei ja schon farblos genug, man solle sich nicht so unscheinbar präsentieren. Und insbesondere den Hamburgern täte mehr Buntes gut.

Das ist ja wohl die Kritik des Grau-ens. Grau ist das Hanseatische auf der Malpalette, es ist nicht langweilig, sondern klassisch. Es ist die Nuance, die zu Hamburg gehört wie Fischbrötchengeruch, Alstertannenlicht und Hafenlärm. Wer braucht aufdringliches Rot oder gar Gelb, wenn er Gemütlich-auf-dem-Sofa-Grau oder An-der-Elbe-spazier-geh-Grau haben kann? Der Hamburger Jung Stefan Gwildis hat der Schwester des Silbers sogar ein Lied gewidmet: "Wunderschönes Grau".

Spätestens seit Wolfgang Joop - das ist der Mittsechziger mit dem nie ergrauenden Haar und dem braunen Teint - über wohlhabende Hamburgerinnen und ihren Stil lästerte ("gelungene Mischung zwischen Pferd und Frau"), ist klar, dass Modekritik manchmal böse daneben gehen kann. Grau ist eben die Farbe der Weisheit. Und die kann nicht jeder tragen.