“Gib Deinen Zehnten“ ruft zu Spenden für den St. Petersburger Mitternachtsbus auf, der in der Stadt regelmäßig seine Runde dreht.

Hamburg. Es sind immer viele. Aber jetzt, wenn der Winter Einzug hält, es jeden Tag kälter wird in St. Petersburg, kommen noch mehr. Dick vermummt die meisten, in abgetragenen Mänteln und notdürftig geflickten Jacken, solchen, in denen es nie ganz warm wird. Fast jeden Abend stehen sie in der Nähe der Newa-Brücke am äußeren Rand der glitzernden Innenstadt. Männer mit großen Arbeiterhänden, auch einige Frauen. 30, manchmal auch 50 oder 60. In die Gesichter hat sich die Hoffnungslosigkeit gegraben, und der Hunger. Sie warten – auf einen grünen Transporter mit der bunten Stadtsilhouette St. Petersburgs an der Seite: den Mitternachtsbus. Ähnlich wie in Hamburg fährt er in der russischen Partnerstadt regelmäßig seine Runde, um Obdachlose zu versorgen. Mit einem Teller warmer Suppe, Brot, Tee und dem Gefühl, nicht ganz verloren zu sein.

„Man sieht das Elend, und das sehr direkt“, sagt Leonid Zaostrovskiy. St. Petersburg ist seine Heimat. Bevor er im April nach Hamburg kam und sich an der Universität für Soziologie und Afrikanistik einschrieb, arbeitete der 36-Jährige als Dozent und war ehrenamtlich in dem Projekt des Obdachlosen-Vereins Nachtasyl (Notschleschka) aktiv, das von der Hilfsaktion Brot für die Welt und der Diakonie Hamburg unterstützt wird. Seit er in Deutschland ist, engagiert der Student sich beim Hamburger Mitternachtsbus, schenkt Kaffee aus, verteilt Brötchen und warme Kleidung. Trotzdem ist es ganz anders. In Hamburg leben etwa 1000 Menschen auf der Straße, in St. Petersburg sind es nach Schätzungen 30 000. „Es ist sehr einfach, in Russland obdachlos zu werden“, sagt der Mann mit dem Haarzopf in bitterem Ton und berichtet von Männern, die aus anderen Landesteilen auf die Baustellen der Vier-Millionen-Metropole an der Newa kommen, die Arbeit verlieren, als nächstes den Schlafplatz, und plötzlich auf der Straße stehen. „Dann dreht sich die Abwärtsspirale immer schneller: Man wird bestohlen, der Ausweis ist weg und das Geld. Oft kommt Alkohol ins Spiel. Und schon bleibt man hängen.“

Andere, die abends auf den Bus warten, weil es das einzige ist, was ihnen ein bisschen Halt gibt, sind Verlierer des politischen Umbruchs, haben die Arbeit verloren, die Wohnung, die Familie. Sie sind Gestrandete in einer Gesellschaft, die wenig übrig hat für Schwache und Hilfebedürftige. „Wer keinen Wohnsitz hat, bekommt keine staatliche Unterstützung und ist nicht krankenversichert“, sagt Leonid Zaostrovskiy. „Deshalb existieren sie praktisch nicht im staatlichen System.“

Sie schlafen in Kellern, Abbruchhäusern, wärmen sich am offenen Feuer. In St. Petersburg liegt die Durchschnittstemperatur bei 4,3 Grad. „Es ist das pure Elend. Für viele ist der Teller Suppe am Nachtbus die einzige warme Mahlzeit am Tag“, sagt Jutta Fugmann-Gutzeit, die das Obdachlosen-Projekt von Hamburg aus mitbetreut, für das die Kampagne „Gib Deinen Zehnten“ jetzt zu Spenden aufruft. Denn: Ohne die Unterstützung aus Deutschland gäbe es auch das nicht. Durch die Städtepartnerschaft hatten sich nach der Auflösung der Sowjetunion Kontakte aufgebaut, schnell auch zur der Obdachlosen-Hilfsaktion „Nachtasyl“, die unter anderem eine Übernachtsstätte, Notunterkünfte in Zelten und medizinische Versorgung für Wohnungslose anbietet sowie Hilfe bei Alkoholsucht. „Zusammen haben wir die Idee entwickelt, einen Zwillingsbruder unseres Mitternachtsbusses in St. Petersburg zu initiieren“, sagt Fugmann-Gutzeit. Seit 2002 fährt der Bus von Montag bis Freitag zwischen 19 Uhr und Mitternacht seine Route mit mehreren Haltepunkten am nördlichen und südlichen Innenstadtrand. Im Jahr werden mehr als 60 000 Portionen Suppe verteilt. An manchen Tagen kommen 200 und mehr Obdachlose und Straßenkinder zum Bus. Fast alles, was verteilt wird, wird gespendet. Der Betrieb kostet 20 000 Euro im Jahr, die ausschließlich mit Spenden aus Hamburg finanziert werden.

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Dort ist der Mitternachtsbus seit 15 Jahren eine wichtige Anlaufstelle für Obdachlose. „Wir fahren jeden Tag, auch Weihnachten“, sagt Projektleiterin Sonja Norgall. Mehr als 30 000 Kontakte sind es im Jahr, dabei werden in 32 000 Pappbechern 8000 Liter Kaffee, Tee, Kakao uns Brühe ausgeschenkt. Es gibt Brötchen, Brot und Kuchen, die von einer Bäckerei gespendet werden. Außerdem hat das Team Schlafsäcke, Wolldecken und warme Kleidung zum Verteilen an Bord. Etwa 100 000 Euro kostet das Projekt jedes Jahr, auch das sind ausschließlich Spenden. Dazu kommen die, die ihre Zeit geben. In Hamburg engagieren sich 140 Freiwillige, so Norgall.

Die zu finden, ist in der russischen Partnerstadt deutlich schwieriger – trotz der vielen Menschen ohne Obdach. Freiwillige Arbeit und bürgerschaftliches Engagement sind nicht sehr verbreitet. Besonders Obdachlose würden gesellschaftlich stigmatisiert, sagt Jutta Fugmann-Gutzeit von Brot für die Welt. Zwar gebe es inzwischen Anfänge, ein Sozialsystem aufzubauen. „Trotzdem stellen wir uns darauf ein, dass wir noch länger Spenden brauchen.“ Natürlich müsse der Staat in die Pflicht genommen werden, auch angesichts des zunehmenden Reichtums im Land. „Aber solange das noch im Aufbau ist, können wir die betroffenen Menschen doch nicht im Stich lassen.“

Genau das war auch für Leonid Zaostrovskiy der Grund sich ehrenamtlich in der Straßensozialarbeit zu engagieren. „Für mich ist es auch eine Form des Widerspruchs gegen unser System, gegen die Aggression und Fremdheit in der Gesellschaft“, sagt er. Und, dass er bei der Arbeit im Nachtbus-Team zum ersten Mal das Gefühl gehabt habe, „etwas wirklich Sinnvolles zu tun. Jeder Mensch hat ein Recht auf Hilfe, um seine Würde zu behalten.“ Oft, wenn er jetzt in den Hamburger Nächten Brötchen und Getränke verteilt, denkt er an die Menschen, die am Zwillingsbus an der Newa Schlange stehen für einen Teller Suppe. „Man kann das gar nicht vergleichen. Hier gibt es viele Hilfsangebote, bei uns nur Nachtasyl und den Nachtbus.“

"Gib Deinen Zehnten" ist ein Bibelzitat - und eine gemeinsame Kampagne der beiden großen christlichen Kirchen in Hamburg und des Reeders Peter Krämer. Die Initiative versteht sich als Hilfe zum Helfen und will das bürgerschaftliche Engagement fördern. Der NDR und das Hamburger Abendblatt unterstützen die Idee. Zeit- und Geldspenden sind gleichermaßen willkommen. Und was geben Sie? Im Internet können Sie Flagge und Herz zeigen, berichten Sie uns von Ihrem Engagement unter www.gib-deinen-zehnten.de/herz-zeigen .