Lohndumping und Sozialversicherungsbetrug - der Diakonie Hamburg droht ein Skandal

"Die Diakonie kann in direkter biblischer Tradition gesehen werden." So schreibt das Diakonische Werk Hamburg über sich selbst. Und wer denkt da nicht an die Geschichte mit dem barmherzigen Samariter, der Nächstenliebe praktiziert, obwohl sie niemand von ihm erwartet. Die Diakonie, so heißt es in der Selbstbeschreibung weiter, tritt ein für "eine Gesellschaft in Solidarität und Gerechtigkeit, die sich an der Würde jedes einzelnen Menschen orientiert". Betriebswirte würden das eine gute "Corporate Identity" nennen. Und angesichts der 435 000 Mitarbeiter, die das Diakonische Werk in Deutschland beschäftigt, und des Umsatzes von rund 20 Milliarden Euro würden sie wohl auch von einem Groß-Konzern sprechen.

Ein schiefer Vergleich, gewiss. Schließlich will die Diakonie im Gegensatz zu Konzernen ausdrücklich keinen Gewinn erwirtschaften. Vielmehr bekennt sie sich zum Sozialstaat und zu den Interessen der Arbeitnehmer. Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der EKD, hat das vor wenigen Wochen erfreulich klar formuliert: "Diakonische Unternehmen, die über privatrechtliche Konstruktionen (...) ausweichen wollen, müssen mit Ausschluss aus der Mitgliedschaft im Diakonischen Werk rechnen. Missstände wie Outsourcing mit Lohnsenkungen, ersetzende Leiharbeit und nicht hinnehmbare Niedriglöhne müssen zu ernsthaften Konsequenzen führen." Wenn sie Wort hält, dann müsste in der Hamburger Einrichtung Alten Eichen das Diakonie-Schild bald abgeschraubt werden. Wie dort mit Arbeitnehmern umgegangen wird, ist nicht nur skandalös, sondern möglicherweise kriminell. Da bekommen Mitarbeiter einer Tochterfirma, die 40 Stunden pro Woche arbeiten, 1400 Euro Monatslohn - brutto. Dabei beträgt selbst das Einstiegsgehalt für Ungelernte laut Kirchentarifvertrag 1719 Euro, also 22,8 Prozent mehr. Das nennt man Lohndumping.

Da wird einem Mitarbeiter zusätzlich ein Gehalt von 200 Euro gewährt, deklariert als Minijob bei einer anderen Tochterfirma. Obwohl er gar keinen Zusatzjob ausübt. Das nennt man Sozialversicherungsbetrug und Steuerhinterziehung.

Ein bedauerlicher Einzelfall? Leider nicht. Diese Methoden haben zumindest in Alten Eichen System. Und was tut die Diakonie? Beschwichtigen. Da werden Outsourcing und Zeitarbeit als akzeptable Ausnahmen deklariert. Und überhaupt: Schuld sei das Gesundheitssystem, in dem es viel zu wenig Geld gebe. Landespastorin und Diakonie-Chefin Annegret Stoltenberg - sonst immer gerne an vorderer Stelle dabei, wenn es darum geht, soziale Missstände zu kritisieren - hat offenbar kein allzu großes Interesse an Aufklärung. Spätestens jetzt möchte man wütend werden. Wer so hohe moralische Maßstäbe an sich und andere anlegt, sollte angesichts eines Skandals im eigenen Haus etwas Demut zeigen. Und zumindest aufklären wollen.

Dass die Diakonie auf einem hart umkämpften Markt unter schwierigen Umständen agiert, ist unbestritten. Wenn sie aber, um dort zu bestehen, zu ausbeuterischen Methoden greift, dann kommt das einer moralischen Bankrotterklärung gleich.

Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer besteht aus Geben und Nehmen. Die Beschäftigten der Diakonie geben viel. Sie haben nicht zufällig einen sozialen Beruf gewählt. Sie wollen nicht "nur" Geld verdienen - sie wollen anderen Menschen helfen. Und die allermeisten von ihnen tun das mit bewundernswertem Engagement, unbezahlte Überstunden inbegriffen. Sie dürfen mehr erwarten als selbstgefällige Doppelmoral.

Wie hieß es doch? "Die Diakonie kann in direkter biblischer Tradition gesehen werden." In der Bibel gibt es viele Gleichnisse. Von Splittern in den Augen des anderen und von Balken in den eigenen. Von Samaritern - und von Pharisäern.